© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/17 / 23. Juni 2017

Absetzung von Schäuble und Merkel gefordert
Hayek-Tage 2017: Medaillen für Michail Chodorkowski und Peter Bernholz / „Ein Parlament, das von der Regierung kontrolliert wird“
Christian Dorn

Gerade fordert Henryk M. Broder „mehr Intoleranz“, da geistert durch die Versammlung der diesjährigen Hayek-Tage die Botschaft vom Tod des Altkanzlers. Dies mutet an wie eine Ironie der Geschichte: Findet die Tagung doch diesmal in der Bundesstadt Bonn statt, von wo aus der „Europäer“ Helmut Kohl die Einführung der „Friedenswährung“ dekretierte und so – um das bekannteste Werk des Wirtschaftsnobelpreisträgers Friedrich August von Hayek zu zitieren – den abermaligen „Weg zur Knechtschaft“ bereitete, dessen immer größere Schlaglöcher die Vorträge der diesjährigen Hayek-Tage bestimmen sollen.

Laut Euro-Kläger und Wirtschaftsjurist Marcus C. Kerber habe Helmut Kohl jedes Verständnis für die Materie gefehlt. Nur so sei seine Zustimmung zur Währungsunion zu erklären. Entsprechend richtet sich die Kritik auf der Tagung gegen die „deutsche Knechtschaffenheit“ (Jürgen Hultenreich) und so vor allem gegen den „ewigen Kronprinzen“ Wolfgang Schäuble, dessen Zurechnungsfähigkeit Broder in Frage stellt, da der Finanzminister gerade die Gastfreundschaft und Toleranz muslimischer Einwanderer den Deutschen zum Vorbild erklärt hatte.

Protektionismus gegen technischen Fortschritt?

Dazu Broder: „Ich weiß, der Mann steht unter Drogen.“ Wollte man Schäuble Glauben schenken, so Kerber ergänzend, dürften die Nationalstaaten in Zukunft keine Aufgabe mehr haben, da diese nur noch transnational gelöst werden könnten. Diese politische „Einstiegsdroge“ der Europäisierung und Supra-Nationalisierung gehe generell mit dem Verlust demokratischer Legitimität einher und führe zum Rechtsverfall. Schäubles Politik, die dem Nationalstaat die demokratische Substanz der Souveräntiät entziehe, sei „demokratiefeindlich“ und eine „Gefährdung des Rechtsstaates“. Daher laute sein Credo: „Schäuble muß weg.“

Brüssel biete unterdessen „eine Plattform, um möglichst rechtfertigungslos politisch zu handeln“. Die EU-Kommission noch als Hüterin der EU-Verfassung zu betrachten, sei „bizarr“. Deutlich werde das an der nationalen Interessenpolitik des EZB-Präsidenten Mario Draghi, der seine schützende Hand über italienische Banken halte, die längst abgewickelt gehörten: die Banca Monte dei Paschi di Siena (MPS), älteste Bank der Welt, die Banca Popolare Di Vicenza und Veneto Banca. Stattdessen verschulde sich der italienische Staat um weitere 30 Millarden Euro, um diese drei Institute zu refinanzieren. Die EU-Kommission spiele dabei „den Paten, um das Recht nicht anzuwenden“. Wir erlebten daher „eine Phase rapiden Rechtsverfalls und Reputationsverlusts“. Die „normative Dekadenz“ des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker bilde den Anfang vom Ende der EU als einer Rechtsgemeinschaft.

Auch für den Ökonomen Gunther Schnabl ist die Bankenunion der falsche Weg. Solange kein realistischer Marktzins existiere, würden nur Fehlinvestitionen befördert. Für ihn ist daher eine Teilung der Währungsunion in eine Nord- und eine Südgruppe des Euro ein wahrscheinliches Szenario. Stefan Kooths, Leiter des Prognosezentrums am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), geißelte die „Fiskalunion“ als ein „Verschuldungsinstrument“, führe doch eine solche Einrichtung zwangsläufig zur Überschuldung der beteiligten Staaten.

Unter dem Titel der diesjährigen Tagung, „Weltordnung in Bewegung“, lag ein besonderes Augenmerk auf den Effekten der Globalisierung. Laut Kooths schützt Protektionismus nicht vor den Folgen technischen Fortschritts. Der Strukturwandel sei zu fünf Sechsteln auf technische Prozesse zurückzuführen, nur zu einem Sechstel auf die Globalisierung. Donald Trump, so Kooth spöttisch, müßte also vor allem gegen den technischen Fortschritt kämpfen. Erhellend ist hier auch eine jüngste IfW-Analyse über die protektionistischen Anwandlungen des US-Präsidenten, da diese vor allem für die amerikanische Seite erhebliche Risiken birgt: So flossen bislang 50,4 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen der USA in den europäischen Binnenmarkt. Dabei übertreffen die Umsätze der hier operierenden US-Unternehmen mit über 2.500 Billionen Dollar die der US-Exporte in die EU um das Fünffache.

Dennoch bekannte sich Kooths zu der Bedeutung von Grenzen. So verweise der Begriff Markt auf das Verb „mark“, also dem schon in der Stammesgesellschaft üblichen Markieren einer Grenze, innerhalb derer erst Handel und Tausch möglich ist. Diesen Zusammenhang verdeutlicht auch das hier präsentierte Buch „17 Zeilen für die Freiheit“, in dem namhafte Beiträger den Zusammehang von Grenzen und Freiheit reflektieren, darunter die Ökonomen Philipp Bagus und Joachim Starbatty („Keine Freiheit ohne Grenzen“), der Unternehmer Kristof Berking oder Herausgeber Michael von Prollius in seinem Beitrag „Freiheit braucht und verschiebt Grenzen“. Beide, so von Prollius, bildeten ein unzertrennliches Paar. Er folgert: „Wenn Güter Grenzen nicht überschreiten, tun das Soldaten.“

Deutsche Gesamtausgabe der Hayek-Werke vorgestellt

Hier knüpfte Politologe Erich Weede an, der – „ein Fan der Globalisierung“ – diese zugleich für gefährlich hält. Wichtig sei daher die Definition der Nation, zumindest als einer Gemeinschaft der Gewohnheit, der Sitten und des Rechts. Die gegenwärtige Massenemigration von armen in reiche Länder mache letztere „bürgerkriegsreif“, weshalb Merkel zurücktreten müsse. Die Globalisierung sei nur zu retten, wenn die ungeregelte Massenmigration gestoppt wird. Auch hier legt der Frankreich-Kenner Kerber noch einmal nach: „Eine Gemeinschaft, die überhaupt nicht mehr ihre Grenzen schützen kann, ist gar keine Gemeinschaft mehr. Die hat ihre Raison d‘être [ihr Existenzrecht] verloren.“

Übereinstimmung herrscht unter den Hayekianern auch über die vermeintlich negativen Folgen der wirtschaftlichen Globalisierung: Tatsächlich seien diese eine Folge der asymmetrichen Geldpolitik der Zentralbanken. Das Übel sei, so Schnabl, eher die US-Fed und deren billiges Geld, nicht die Globalisierung. Generell senkten Handelsschranken die Produktivität. Jemand, der weiß, wie Produktivität erhöht wird, ist der einstige Chef des russischen Erdöl-Konzerns Yukos, Michail Chodorkowski. Der einstige Oligarch, der zehn Jahre Gulag-Haft verbüßte und sich vom Saulus zum Paulus wandelte, wird hier mit der Hayek-Medaille geehrt.
Einst der reichste Mann der Welt mit 40 Jahren, kämpft er heute mit seiner Stiftung Open Russia für zivilgesellschaftliche Reformen in seiner einstigen Heimat. Dort seien die Begriffe pervertiert, „Demokratie“ und „Liberaler“ gälten als Schimpfworte, der Begriff „Freiheit“ sei eher suspekt. Putin übersetze diesen mit Chaos, wie Unordnung oder Müll auf den Straßen. Populär sei die Beschwörung von „Gerechtigkeit“ – was im Saal für augenblickliches Gelächter sorgt und den Zwischenruf: „Das ist ja bei uns genauso.“

Hier überschneidet sich die Diagnose mit dem Baseler Wirtschaftwissenschaftler Peter Bernholz, dem in Bonn ebenfalls die Hayek-Medaille verliehen wird. Dieser macht den langsamen und schleichenden Weg in die Knechtsachaft (Road to Serfdom) am Beispiel des immer weiter sinkenden Anteils des verfügbaren Privateinkommens deutlich. Da wollte Wirtschaftspublizist Roland Tichy, Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung nicht nachstehen. In seiner Grußbotschsaft skizzierte der frühere Chefredakteur der Wirtschaftswoche den erstaunlich schnellen Verlust von Institutionen, wie etwa der Bundesbank oder der Bundeswehr. Bonn sei nur noch ein „Museumsdorf“. Aber auch in Berlin werde Demokratie nur noch simuliert, hätten wir doch „heute ein Parlament, das von der Regierung kontrolliert wird“. Die geplante Aufstockung der Windräder von heute 28.000 auf geplant 90.000 kommentiert er trocken: „Die DDR war billiger zu haben.“ Während in den Schulen Inklusion gepflegt werde, praktizierten Gesellschaft und Medien Exklusion. Frühere Insider würden zu Outsidern.

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz erinnere nicht zufällig an das Wort „Zersetzung“. Symptomatisch ob dieses Abgesangs wirkte da die Warnung am Ende der Tagung: „Ein Baukran ist in den Bahnhof Bonn gestürzt. Die Zufahrtsstraßen sind gesperrt.“ Dafür ist ab sofort „Der Weg zur Knechtschaft“ auch in der nunmehr abgeschlossenen Hayek-Werkausgabe „Gesammelte Schriften in deutscher Sprache“ erhältlich, die – im Verlag Mohr Siebeck herausgegeben – hier erstmals präsentiert wurde.


Michael von Prollius, Stefan Blankertz (Hrsg.): 17 Zeilen für die Freiheit. BoD-Verlag, Norderstedt 2017, 52 Seiten, broschiert, 5 Euro


Fotos: Frank Schäffler (l.), Michail Chodorkowski: Liberale Dissidenten, Preisträger Peter Bernholz: Verborgener Weg in die Knechtschaft


Aktuelle Termine der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft: www.hayek.de/veranstaltungen/forum-freie-gesellschaft.de/tag-der-freiheit/