© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/17 / 23. Juni 2017

Die Hilfe versandet
Mali: Trotz steigender internationaler Hilfe kommt das westafrikanische Land nicht zur Ruhe
Marc Zoellner

In Taoudenni ist die Hölle auf Erden: Nur wenige Grashalme und dürres Gestrüpp vermögen es, sich im Herzen der westafrikanischen Sahara, inmitten der meterhohen Dünen des scheinbar endlos zum Horizont reichenden Wüstenmeeres noch einen Hauch an Lebensraum zu erkämpfen.

 Mit Durchschnittstemperaturen von bis zu 40 Grad Celsius im Sommer gilt Taoudenni als einer der heißesten bewohnten Orte der Erde. Gerade einmal drei Tage Regen zählt die Siedlung pro Jahr; und auch dann nur wenige Millimeter Wasser, das vom wolkenlosen Himmel tröpfelt.

Friedensverträge halten nicht lange

Gut tausend Menschen nennen Taoudenni ihr Zuhause. Doch freiwillig leben hier nur die wenigsten von ihnen: Die meisten der Einwohner sind Schuldknechte; von ihren Gläubigern nach Taoudenni gesandt, um in der „Höhle des Teufels“, wie der Ort unter den Arbeitern genannt wird, ihre Rückstände abzuarbeiten. Taoudenni, dessen karge Hütten aus nicht mehr bestehen als dem abgetragenen Geröll jener Löcher, in denen die Arbeiter nur mit einer Spitzhacke ausgerüstet nach dem begehrten Salz des ehemaligen Salzsees schürfen, der sich einst von Algerien bis hinab nach Mauretanien erstreckte.

Noch immer ist Mali ein zerrissenes Land und das trotz aller Stabilisierungsbemühungen der mittlerweile 11.000 aus fünfzig Ländern endsandten Soldaten. Unter ihnen befinden sich auch rund 800 Bundeswehrangehörige. Im Rahmen der Minusma-Mission der Vereinten Nationen sollen sie das malische Heer nach seiner Beinaheniederlage im Tuaregaufstand vom Frühling 2012 wieder aufbauen, die malischen Militärs im Kampf gegen Dschihadisten schulen sowie den 2015 ins Leben gerufenen Friedensprozeß zwischen den Tuareg und der Hauptstadt Bamako überwachen. Doch die Fortschritte lassen sich bislang noch an einer Hand aufzählen. Denn die Gräben in Mali verlaufen tief: zwischen Ethnien und Religionen, politisch wie auch im Wohlstandsgefälle.

Daß Mali an seinen vielfältigen ethnischen und sozialen Problemen über kurz oder lang zu zerbrechen drohte, war nur eine Frage der Zeit. Schon mehrfach in ihrer jüngeren Geschichte hatten die nomadischen Tuareg keinen anderen Ausweg aus ihrer Situation gewußt, als zu den Waffen zu greifen und gewaltsam nicht nur für ihre Unabhängigkeit, sondern ebenso gegen die Marginalisierung ihres Volkes zu streiten; gegen die wirtschaftliche Ausbeutung ihres Siedlungsgebiets, aber auch gegen die kulturelle Unterdrückung ihrer nur rund fünf Prozent der Einwohner Malis zählenden Minderheit durch die schwarzafrikanische Mehrheitsbevölkerung.
Schon 1916 erhoben sich die Tuareg zum ersten Mal, damals noch gegen die französischen Kolonialherren. Erst nach einem drei Jahre währenden Guerillakrieg gelang es der Fremdenlegion, den Aufstand blutig niederzuschlagen.

Auch eine weitere Rebellion in den 1960ern endete für die Tuareg ohne spürbare Besserung ihrer Lebensbedingungen. Erst mit Unterstützung des damaligen libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi, welcher Tausende aus dem Mali geflüchtete Tuareg in seinen Trainingslagern im Hinterland militärisch drillte – nicht ganz ohne den Hintergedanken, den Norden Malis eines Tages selbst kontrollieren zu können –, errangen die Tuareg ihren ersten Erfolg: Im Friedensvertrag von 1995 erklärte sich die Regierung in Bamako zu Verhandlungen mit den Tuareg bereit.
 
Die Nomaden sollten an den Gewinnen der lukrativen Urangeschäfte des nördlichen Mali mit französischen Energieunternehmen angemessen beteiligt werden. Ibrahim Ag Bahanga, einer der charismatischsten Anführer der damaligen Revolte, zog als erster Tuareg in der Geschichte des Landes ins Nationalparlament ein.

Gute Geschäfte durch Drogenschmuggel

Doch der Vertrag erwies sich als so brüchig wie das Land selbst. Nach nur zwei Legislaturperioden verließ Ag Bahanga die Abgeordnetenvertretung, um erneut den Widerstand seiner Volksgruppe zu organisieren. „Die Regierung Malis hat keinerlei Zugeständnisse gemacht“, lautete das Fazit des Rebellenführers, weder in Fragen der Gewinnbeteiligung noch in jener der Truppenreduzierung im Norden. Und erst recht nicht in jener der kulturellen Autonomie – denn noch immer durfte in Malis Schulen nicht in Tamascheq, der Sprache der Tuareg, unterrichtet werden. Ag Bahanga selbst, dem neben seinen separatistischen Ambitionen auch vielfältige Kontakte zu Terrorgruppen wie der al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM) nachgesagt werden, wurde im August 2011 getötet, mutmaßlich beim Schmuggel von Waffen aus Libyen nach Algerien.

Waffen, die nur sieben Monate später den Tuareg dazu verhalfen, beinahe sturmartig die Städte Gao und Kidal zu überrennen und selbst bis nach Timbuktu vorzustoßen. Als die Tuareg-Milizen der Nationalen Bewegung zur Befreiung des Azawad (MNLA) im April 2012 ihren eigenen Staat – das Azawad, benannt nach den die Sahara prägenden Wadi-Flußbetten – ausriefen, brach Mali endgültig zusammen. Und in Bamako putschte das Militär gegen seinen eigenen Präsidenten.
In Gao, dem Ausgangsort der meisten großen Tuareg-Aufstände der jüngsten Geschichte, befindet sich seit gut zwei Jahren auch das Einsatzlager der Bundeswehr. Auf dem knapp einen Quadratkilometer großen Gelände sollen hier künftig bis zu eintausend deutsche Soldaten stationiert sein, um Drohneneinsätze zu leiten, Rettungsmissionen aus der Luft zu koordinieren und nicht zuletzt die fragile Stabilität Malis zu gewährleisten.

Denn immerhin handele es sich, konstatierte der Wehrbeauftragte des Bundestags Hans-Peter Bartels, noch vergangenen Dezember, bei fast 200 bislang getöteten Blauhelmsoldaten, um den „gefährlichsten Einsatz der Vereinten Nationen“. Wie recht er behalten sollte, wurde nur einen Monat später deutlich, als Selbstmordattentäter der AQIM wenige Kilometer vom Bundeswehrcamp entfernt eine Kaserne der malischen Armee angriffen und sechzig Soldaten in den Tod rissen. Auch die Bundeswehr gerät immer öfter ins Fadenkreuz radikalislamischer Terroristen: Erst Mitte April beschossen Unbekannte eine deutsche Patrouille.
 
Es sind nicht mehr jene Tuareg-Separatisten, welche noch 2012 drohten, auf die Landeshauptstadt Bamako vorzustoßen, die derzeit die größte Bedrohung für die Bundeswehr sowie die Minusma-Mission darstellen: Denn nur ein Jahr nach Verkündung der Unabhängigkeit des Azawad wechselte die MNLA selbst die Fronten. Grund dafür war die Unterwanderung ihrer Rebellion durch radikalislamische Tuareg durch Anhänger al-Qaidas sowie der Terrorgruppe Ansar Dine, die anstelle eines säkulären Staates, wie er der MNLA vorschwebte, einen Gottesstaat auf Grundlage der Scharia zu errichten gedachten. Und so wie die Tuareg-Rebellen die Regierungstruppen aus Timbuktu vertrieben hatten, wurden sie nur wenige Wochen später selbst von den Dschihadisten verjagt.

 Die Extremisten verübten im Anschluß bis zur Rückeroberung der Weltkulturerbestadt durch französische Truppen unvorstellbare Greuel an Menschen und Kulturgütern, zerstörten Heiligtümer, Bibliotheken und Mausoleen, verpflichteten Kindersoldaten und ließen Hunderte Bewohner öffentlich hinrichten (JF 29/12).
Wieviele Anhänger Ansar Dine in Mali derzeit zählt, ist umstritten. Schätzungen reichen von knapp tausend bis zu über zehntausend Bewaffneten. Das Gros der Kämpfer rekrutiert sich aus den radikalislamischen Milieus Algeriens, Libyens sowie aus Mitgliedern der nigerianischen Terrorsekte Boko Haram. Viele von ihnen sind nebenher verstrickt in einträgliche Geschäfte rund um den Drogen- und Zigarettenschmuggel auf den alten Handelspfaden quer durch die Wüsten, sowie in die Entführung von Touristen und Geschäftsleuten.

Ihr Anführer Iyad Ag Ghali ist dabei kein Unbekannter in den Annalen Malis: Immerhin handelt es sich bei dem 63 Jahre alten ehemaligen Botschafter Bamakos in Saudi-Arabien um den Gründer der Volksbewegung zur Befreiung des Azawad (MPLA). Aufgrund seiner langjährigen Kampferfahrung erwarb er sich den Beinamen „der Stratege“ – und von besonderer strategischer Bedeutung für die Zukunft Malis erwies sich auch sein im März dieses Jahres organisiertes Treffen der Nomenklatura des westafrikanischen Terrorismus: Ansar Dine schwor dort al-Qaida-Führer Aiman az-Zawahiri die Treue und fusionierte gleichzeitig mit der Befreiungsfront für Macina (MLF), einer islamistisch-separatistischen Bewegung des Volkes der Fulbe, sowie den al Mourabitoun, den „mit Blut Unterzeichnenden“, einer Splittergruppe al-Qaidas.

Die Gruppe Jama’at Nasr al-Islam wal Muslimin, wie sich Ag Ghalis Organisation nun nennt, soll künftig den bewaffneten Kampf sowohl gegen die Regierungsarmee und die Minusma-Soldaten als auch gegen die säkularen Tuareg der MNLA koordinieren.

 Während die al Mourabitoun für den blutigen Anschlag im Luxushotel Radisson Blu in Bamako, bei dem am 20. November 2015 19 Geiseln und zwei der Angreifer getötet wurden, verantwortlich gemacht wurden, bekannte sich noch keine Gruppe zu dem Angriff auf eine Touristenanlage bei Bamoko am vergangenen Sonntag, bei dem fünf Menschen, darunter drei Angreifer, starben.

Ex-Kolonialmacht Frankreich tut sich schwer

Ein weiterer Tiefpunkt im ohnehin stockenden Friedensprozeß. Fünf Jahre Krieg haben nicht nur die malische Regierung, sondern auch die Zivilbevölkerung an das Ende ihrer Kräfte gebracht. Anfang April eröffnete Malis Präsident Ibrahim Boubacar Keita daher eine neue Friedenskonferenz mit den moderaten Konfliktparteien der westafrikanischen Nation.
 
Deren Forderung klang schockierend: Bamako müsse „mit den Kriegsteilnehmern im zentralen Mali verhandeln, in diesem Fall mit Amadou Koufa“, dem Anführer der MLF, „und trotzdem den säkularen Charakter des Staates beibehalten – und ebenso verhandeln mit den Extremisten des Nordens, in diesem Fall Iyad Ag Ghali.“
Durch den Entschluß der Konferenz steckt Malis Präsident in der Klemme. Frankreich, das selbst gut 4.000 Soldaten im Land unterhält, fordert mit Blick auf die acht eigenen erbrachten Opfer  von Bamako einen klaren Anti-Terror-Kurs. „Das sind Terroristen“, beharrte Frankreichs damaliger Außenminister Jean-Marc Ayrault noch Anfang April. „Wie verhandelt man mit Terroristen? Wir führen hier einen Kampf ganz ohne Unzweideutigkeiten!“

Als Entgegenkommen an Paris benannte Präsident Keita seinen Verteidigungsminister Abdoulaye Idrissa Maïga zum neuen Ministerpräsidenten – ebenso aber auch, um die Hardliner und Falken im eigenen Parlament zufriedenzustellen. Doch die anhaltenden Kämpfe der Blauhelme mit den Islamisten verschlingen jährlich mittlerweile mehr als eine Milliarde US-Dollar – und trotz aller militärischen Bemühungen dringen die Islamisten immer weiter an den Ufern des Niger ins Landesinnere vor.
Hoch oben im Norden des Landes, in der Hölle von Taoudenni, ist der Friedensvertrag zwischen Bamako und den Tuareg noch nicht angekommen. Ebensowenig wie jemals Milizionäre von Ansar Dine den Ort erreicht haben. Zu abgeschieden ist die Siedlung vom Rest der Welt – so wie viele der Ortschaften der Tuareg in den Weiten des Azawad. Zu entlegen auch, um von Bamako jemals Geld für ihre reichen Bodenschätze erwarten zu dürfen.


Deutsche Soldaten in Mali

Die Stabilisierung Malis ist laut Bundesregierung ein Schwerpunkt des deutschen Engagements in der Sahel-Region und eine zentrale Aufgabe der deutschen Afrikapolitik. In diesem Kontext betont Berlin sein „erhebliches Interesse“ daran, Terrorismus, Kriminalität und Verarmung, die mittelfristig starke Auswirkungen auch auf Europa haben können, gemeinsam mit seinen europäischen und internationalen Partnern entgegenzutreten.  Am 28. Februar 2013 billigte der Bundestag entsprechend  erstmals die Entsendung von Bundeswehrsoldaten zur Unterstützung der Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen (MINUSMA). Berlin stellte Lufttransportkapazität für Transporte aus den Anrainerstaaten nach und innerhalb Malis bereit und führte Lufttransport und -betankungen für die französischen Streitkräfte durch. Im Januar 2016 stimmte der Bundestag für die Ausweitung des Einsatzes, verbunden mit einer Anhebung der Personalobergrenze von 150 auf 650 Soldaten. Der erweiterte Beitrag konzentriert sich vor allem auf die Aufklärung. Das jüngste Mandat des Parlaments vom 26. Januar 2017 beinhaltet erneut eine Ausweitung. Demnach ist der Einsatz von bis zu 1.000 deutschen Soldaten möglich. Grund dafür ist die Stationierung von vier deutschen Kampfhubschraubern „Tiger“ und von vier Transporthubschraubern  „NH90“. Das aktuelle Mandat gilt bis zum 31. Januar 2018. Der Großteil des deutschen Einsatzkontingentes ist in Gao (Camp Castor) stationiert.