© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/17 / 23. Juni 2017

Das große Wir-Gefühl
Fernsehen: In ihrer Themenwoche unterscheidet die ARD möglichst wenig zwischen den Religionen
Roman Goth

Die neueste Göttin auf dem Markt für religiöse Weltdeutungen heißt Brigitte. Ihre Gebote sind einfach und mehrheitsfähig: Laßt euch nicht vorschreiben, wie ihr auszusehen habt, macht Liebe und eßt Schokolade. Brigitte ist eine entspannte Gottheit, die sich ausschließlich an Frauen wendet, weshalb sie Wasser auch nicht in Wein, sondern in Prosecco verwandelt. Verkündet wird ihre frohe Botschaft von ihrer Erfinderin Katrin Bauerfeind. Die stürzte sich im Rahmen der ARD-Themenwoche „Woran glaubst Du?“, die vom 11. bis 17. Juni lief, „total subjektiv“ in Vollkontakt mit Gläubigen und Ungläubigen.

Nächstenliebe gegen Kapitalismus

Gemeinschaft, das hört die Journalistin in ihrer Reportage „Bauerfeind recherchiert“ immer wieder, stehe im Zentrum religiöser Bedürfnisse – auch bei den Passionsspielen im rheinland-pfälzischen Wintrich. Die Teilnehmer glauben „an Wiedergeburt, das geht dann so in Richtung Buddhismus“, und der Leiter der Spiele sieht Jesus als politischen Menschen, der „den Pharisäern die Wahrheit gesagt hat“. Der Jesus-Darsteller antwortet auf die Frage, was denn die Botschaft der Spiele sei: „Nächstenliebe und so weiter, übertragen auf die heutige Zeit: Abneigung gegen Kapitalismus.“

Andere Interviewte wie der ehemalige Lehrer und Erfolgsautor Philipp Möller („Gottlos glücklich“) will nicht das „spirituelle Hobby anderer Leute mitfinanzieren“ und wendet sich gegen die weiterhin starke Verflechtung von Kirche und Staat. Dieser zahle für die Ausbildung der Priester, deren Gehälter und den Religionsunterricht an staatlichen Schulen. Dies sei inakzeptabel. Rainer Dabrowski, 20 Jahre lang Gefängnispfarrer in der JVA Tegel, zitiert den Dalai Lama: „Der wahrhaft Erleuchtete braucht keine Religion mehr.“ Dem würde Offizierstochter Franziska Gräfin von Kielmansegg wohl zustimmen: Nach einer „außerkörperlichen Erfahrung“ legte sie den „unsinnlichen“ Protestantismus ab und verdingt sich als „Geistige Heilerin“, wobei sie „in Zungen spricht“, während ein nicht näher beschriebenes „Es“ mit ihr redet.

In der Filmkomödie „Wer’s glaubt wird selig“ will Christian Ulmen ein Bergdorf vor dem Aussterben retten, das infolge der durch die Erderwärmung ansteigenden Schneegrenze von Skifahrern gemieden wird. Als seine strenggläubige Schwiegermutter stirbt, will er sie heiligsprechen lassen, um den Ort in einen Wallfahrtsort zu verwandeln. Glaube hat eben auch eine nicht geringe wirtschaftliche Dimension.

Der MDR folgt in „Leahs jüdisches Leben in Dresden“ einem Mädchen durch sein Leben zwischen Familie, koscherem Lebensmittelgeschäft, Synagoge und Semper-Chor und stellt sich in einer anderen Sendung die Frage „Woran glauben Sportler?“ Judoka Luisa Malzahn unterstreicht hier die Bedeutung von Ritualen: Vor dem Wettkampf helfen lange Konzentrationsübungen, ritualisierte Abläufe und eine Wettkampffrisur. Wiederholung schafft Halt und Sicherheit.

Geradezu radikal wird es beim öffentlich-rechtlichen Komödianten Dieter Nuhr, der bei seiner Bühnenshow „Nuhr dran glauben“ schnell zu der Erkenntnis kommt, daß lediglich „die Anzahl der Gläubigen den Glauben vom Irrsinn unterscheidet“. Früher seien Männer, die meinten, Gottes Stimme zu hören, zu Propheten verklärt worden, heute „schickt man so jemanden zum Arzt“. Nuhr konstatiert, alle Religionen würden mit „Missionierung oder Massakrierung“ enden, imitiert Björn Höcke mit Hitler-Duktus und empfiehlt, islamische Terroristen „in Irrenhäuser zu sperren und mit Schweinespeck und Schnaps“ zwangszuernähren.

Die Themenwoche folgte einer sorbischen Familie bei ihren Riten und Gebräuchen, diskutierte bei „Maischberger“ für und gegen den Islam, untersuchte im Bayerischen Rundfunk „Die Grenzen der Religionsfreiheit“ und traf in Mitteldeutschland auf ein „Land ohne Glauben“. Andernorts wurde der „gefährlichen Allianz“ von „grüner Esoterik und brauner Philosophie“ nachgegangen. Gelehrte aller Konfessionen, Priester, Rabbiner, Imame und Vertreter anderer Religionen kamen zu Wort. Alle beschworen ein friedliches Zusammenleben und verkündeten die politisch korrekte wie nur zu gut bekannte Lehre: Religionen sind Ausdruck eines Bedürfnisses nach Zusammenstehen, Solidarität und Wir-Gefühl. Wenn das nur mal außerhalb des Fernsehens auch so gut funktionieren würde.


 Die Sendungen der Themenwoche stehen in den ARD-Mediatheken zur Verfügung.