© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/17 / 23. Juni 2017

Die geheimen Revolutionäre
Vor dreihundert Jahren wurde die Freimaurer-Bewegung ins Leben gerufen / Geistige Vorkämpfer der Ideale von 1776 und 1789
Karlheinz Weißmann

Humanität und Toleranz, Freiheit und Gleichheit, neue Weltordnung und Fortschritt. Das alles sind Begriffe, die heute auf breite Anerkennung treffen. Sie sind in jedem Fall positiv besetzt. Und sie entsprechen einem Wertekanon, der sich seit langem in den Programmschriften der Freimaurerei findet. Die begeht am 24. Juni den dreihundertsten Jahrestag der Gründung ihrer ersten „Großloge“, entstanden durch den Zusammenschluß von vier bereits bestehenden Logen in London.

Logen waren bürgerliche Vereinigungen, getragen von Geschäftsleuten, Bankiers und Intellektuellen. Mit der Tätigkeit eines Handwerkers hatte diese Freimaurerei trotz des Namens nichts mehr zu tun. Und ob tatsächlich ein Zusammenhang mit den Bauhütten des Mittelalters besteht, in denen Freimaurer jene waren, die den „freien Stein“ bearbeiten durften, ist mindestens fraglich. Das gilt trotz des an diese Tätigkeit erinnernden Vokabulars und einer entsprechenden Symbolik. Die spielt für die Freimaurerei schon deshalb eine wichtige Rolle, weil es sich um eine Geheimgesellschaft handelt, deren Mitglieder auf Verschwiegenheit verpflichtet werden. Was man im Lauf des Initiationsweges vom „Lehrling“ über den „Gesellen“ bis zum „Meister“ erfährt, behält man für sich, nichts darf nach außen weitergegeben werden; das gilt auch für die Ehefrauen, falls ein Mitglied verheiratet ist, denn die ursprüngliche Freimaurerei war als Männerbund organisiert.

Ihr Zweck ging aber über wechselseitige Hilfe oder die Pflege einer etwas bizarren Arkanlehre hinaus. Die Freimaurerei hatte von Anfang an auch das Ziel der gesellschaftlichen Einflußnahme, und zwar im Sinne aufklärerischer Ideen. Die wurden in den meisten europäischen Staaten des 18. Jahrhunderts als subversiv betrachtet, was gekrönte Häupter nicht hinderte, in die Logen einzutreten – bekannt ist das Beispiel der preußischen Könige von Friedrich dem Großen über Wilhelm I. bis zu Friedrich III. – , aber im letzten gab es doch eine Tendenz der Freimaurerei, Strömungen zu unterstützen, die die bestehende Ordnung, die Stände wie das Bündnis von Thron und Altar wie die absolute Macht des Monarchen, in Frage stellten. Sie arbeitete mit an dem, was die Enzyklopädisten die „révolution des esprits“ nannten und boten durch die Logen der Ausbreitung der neuen Ideen die organisatorische Basis.

Ans Licht trat dieser Zusammenhang in der „Atlantischen Revolution“, die zuerst in Nordamerika, dann in Frankreich zu einem Umsturz führte. 53 der 56 Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten waren Freimaurer. Freimaurerische Symbole fanden sich am ersten Petschaft der jungen Republik, seinen Amtseid leistete George Washington auf die Bibel der St. Johannes-Loge, bei der Grundsteinlegung des Kapitols erschien er im Schurz des Meisters, und die Feier selbst lehnte sich an maurerische Rituale an. Möglicherweise gehen auch das Pentagramm im Sternenbanner und das „Pectorale“, die in den USA bis heute verbreitete Übung, beim Spielen der Nationalhymne die Hand ans Herz zu legen, auf solche Impulse zurück.
Logen wurden als eine Art Gegen-Kirche betrachtet
Ein ganz ähnliches Bild bot das revolutionäre Frankreich. Von den 578 Abgeordneten des Dritten Standes, die 1789 zusammentraten, waren 477 Mitglieder einer Loge. Darunter befanden sich bekannte Köpfe der Radikalen wie Danton, Desmoulins, Marat und Robespierre. Die Formel „Freiheit, Gleichheit oder der Tod“ ist wahrscheinlich der Freimaurerei entlehnt, genauso wie die verschiedenen Sinnbilder, die die Kunstwerke und Alltagsgegenstände der Zeit schmückten: der Handschlag für die Brüderlichkeit, der Ouroboros, die sich selbst in den Schwanz beißende Schlange, für die Ewigkeit, das allsehende Auge im Dreieck für die revolutionäre Wachsamkeit; Winkel und Senkblei fanden sich als Zeichen der Gerechtigkeit gleichermaßen auf Münzen, Steuermarken, Armeefahnen, Siegeln und in den allegorischen Darstellungen von Regnault und Fragonard.

Ohne Zweifel spielten maurerische Vorlagen auch eine Rolle für die Liturgie der neuen Religion, den Kult der Vernunft beziehungsweise des Höchsten Wesens, und für die neue Zeitrechnung, die an die Stelle der christlichen treten sollte. Die Feindschaft der Freimaurerei gegenüber dem Ancien régime und der Kirche hat seit dem Ende des 18. Jahrhunderts eine scharfe Polemik hervorgerufen, in der die Logen als eine Art Gegen-Kirche betrachtet wurden, die teuflische Mächte anbete und den großen Umsturz durch planmäßige Wühlarbeit und systematische Untergrabung alles Bestehenden herbeiführen wolle. Reste dieser Frontstellung gibt es bis heute. Zwar hat Rom die grundsätzliche Verwerfung mittlerweile gemildert, erklärt aber nach wie vor, daß die Zugehörigkeit zur Freimaurerei eine schwere Sünde sei.

Den Siegeszug der „Ideen von 1789“ hat das nicht aufgehalten. Die kann man durchaus als exoterische, für die breite Öffentlichkeit enthüllte, nicht esoterische, allein der engeren Gemeinschaft vorbehaltene Gestalt der freimaurerischen Vorstellungen betrachten. Das gilt, obwohl die Freimaurerei in Deutschland einen deutlich konservativen Zug, in den angelsächsischen Ländern ein eher liberales Profil entwickelt hat. Denn in den lateinischen Ländern, vor allem in Frankreich, Spanien und Italien, neigten die einflußreichen Logen regelmäßig in eine linke Richtung, und die progressiven Parteien (Kommunisten nur unter Vorbehalt) versichern sich bis heute ihrer Hilfe.

Als Emmanuel Macron während seines Präsidentschaftswahlkampfs vor der Pyramide – auch die ein freimaurerisches Symbol – im Innenhof des Louvre auftrat, provozierte das natürlich Verschwörungstheoretiker auf der Rechten, aber auch süffisante Kommentare im eigenen Lager. Da war es längst ein offenes Geheimnis, daß der Ex-Sozialist Laurent Turbet einen „Cercle Desmoulins“ gegründet hatte. Beitreten kann jeder, der zwei Voraussetzungen erfüllt: Mitgliedschaft in einer Loge, etwa dem sehr einflußreichen „Großen Orient“, und die Bereitschaft, Macron zu unterstützen.

Bild: Der erste US-Präsident George Washington als Meister seiner Loge 1793: Organisatorische Basis für die Ausbreitung der neuen Ideen