© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/17 / 23. Juni 2017

Zwölf Eintonner im vollen Galopp
Pferde: Am Wochenende findet in Brück Europas größtes Kaltblütertreffen statt
Paul Leonhard

Die Erde bebt, wenn der römische Kampfwagen heranprescht. Vier schwere Pferde im vollen Galopp. Sie werfen die Hufe, blecken die Zähne. Erdklumpen fliegen durch die Luft. Dahinter glänzen silbern die Helme der Legionäre, wippen rote Federbüsche. Aber was machen die Germanen? Statt ängstlich die Köpfe einzuziehen, zücken sie mit leuchtenden Augen ihre Handys – und tun gut daran, denn wenn das brandenburgische Brück alljährlich zu den „Titanen der Rennbahn“ einlädt, sind das drei Tage voller unvergeßlicher Eindrücke.

Der Bestand der Rassen hat sich erholt

Zum 16. Mal findet am Wochenende das legendäre Kaltblutpferderennen in dem 4.000-Einwohner-Städtchen vor den Toren Berlins statt. Es gilt als Europas größte Kaltblutveranstaltung. Auf etwa 30.000 Besucher aus ganz Deutschland muß sich die einst nordöstlichste Grenzstadt Sachsens einstellen. Dazu kommen Freiberger, Belgier, Noriker, Schwarzwälder, Schleswiger, Süddeutsche, Westfälische, Mecklenburger, Rheinisch-Deutsche – etwa 400 Kaltblüter, jedes bis zu einer Tonne schwer.

In diesem Jahr geben sich die Titanen etwas weniger kämpferisch. „Märchenhafte Titanen“ lautet das Motto, für das sich die Veranstalter entschieden haben.

Es wird ein Stelldichein von Elfen, Feen und zahlreichen anderen Märchenfiguren sein, die natürlich alle hoch zu Roß erscheinen. „Der böse Hades zerbricht das letzte Einhorn und verteilt die Splitter in der Märchenwelt“, erläutert Karina Vanderse die Handlung. Das Mädchen Mariell muß die Splitter suchen und das Einhorn wieder zusammensetzen. Dabei helfen ihr natürlich viele bekannte Märchenfiguren wie Rotkäppchen, die sieben Zwerge und Rapunzel. Auch ein Wolf und ein Frosch mit goldener Krone wurden bei den Proben gesichtet. Diese Märchenspiele sind aber eigentlich nicht der Part von Karina Vanderse.

Sie ist Actionreiterin und gehört zu einer Truppe, die während des Titanen-Spektakels kaum im Sattel, dafür aber bei den Rennreiten ohne Sattel unter, hinter und neben dem galoppierenden Pferd zu sehen sein wird. Den Zuschauern den Atem zu nehmen und ihnen ein „Wow!“ auf die Lippen zu zaubern, ist auch das erklärte Ziel von Thomas Haseloff, dem Vorsitzenden des Kaltblut Zucht- und Sportvereins Brück, der die „Titanen“ zum Leben erweckt hat.

Kaltblüter haben ein ruhiges Temperament und sind wendiger als jeder Pkw. Als Rückpferde werden sie noch heute in der Forstwirtschaft eingesetzt. Daß die meisten Kaltblut-Rassen als gesichert gelten, ist Züchtern wie dem gelernten Tischler Haseloff und seinem vor allem aus Familienmitgliedern und engen Freunden bestehenden Verein zu verdanken. Gab es vor zehn Jahren bei den Deutschen Kaltblütern nur noch 30 Zuchtstuten in Brandenburg, so sind es inzwischen wieder mehr als hundert.

Eröffnet wird das Programm mit dem 13. Offenen internationalen Kaltblutfohlen-Championat. Am Abend steigt die Eröffnungsparty und der Kutscherball.

Wichtig sind erfahrene Führpferde

Den großen Einmarsch der Reiter und Gespanne gibt es am Sonnabend. Es folgen bewährte Wettkämpfe wie die Zwei-, Vier- und Sechsspänner-Wagenrennen oder die Zugleistungsprüfungen für Zwei- und Vierspänner. Gesucht wird das stärkste Kaltblut. Es gibt Hindernisrennen mit Wasserdurchfahrten. Wie kompliziert es sein kann, zehnspännige Formationen zu fahren, war schon bei den Proben zu erleben. Erfahrene Führpferde sind dabei wichtig. Diese sind dann nur über Leinen und Zurufe erreichbar. Einer der Höhepunkte am Sonnabend abend wird der Umzug aller Reiter und Gespanne durch die Stadt sein. Am Sonntag nachmittag will man mindestens 28 Sechsspänner präsentieren, die den Parcours nicht nur im Trab, sondern im Galopp passieren sollen. „Das ist Gänsehaut pur“, sagt Haseloff, der sich selbst die Aufgabe gestellt hat, mit einem zwölfspännigen Römerwagen am Rennen teilzunehmen.