© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/17 / 23. Juni 2017

Knapp daneben
Schwimmen ist Privatsache
Karl Heinzen

Der Alltag ist voller Gefahren. Dies weiß Achim Wiese als Pressesprecher der Deutschen Lebensrettungs-Gesellschaft wie kaum ein anderer zu beurteilen. Besonders riskant wird es, warnt er im Zeit-Interview, wenn Menschen ihre Fähigkeiten überschätzen. So glauben viele, daß sie sich bereits sicher in Gewässern bewegen können, wenn sie nur über die „Seepferdchen“-Qualifikationen verfügen.

Dies ist jedoch weit gefehlt. Die Mindestanforderung, die man an sich zu stellen hat, ist, daß man 200 Meter in 15 Minuten schwimmen kann und den Sprung ins Wasser beherrscht. Leider dürfen dies hierzulande aber immer weniger Menschen von sich behaupten. Noch vor 25 Jahren waren gerade einmal 10 Prozent der Einwohner unserer Republik Nichtschwimmer. Heute machen sie gut die Hälfte der Wohnbevölkerung aus.

Öffentliche Bäder und Straßen sind Gefahrenräume. Wo sie verschwinden, leben die Menschen sicherer.

Was der Interessenvertreter Wiese beklagt, ist allerdings kein gesellschaftliches Problem. Es war vielmehr das Kennzeichen totalitärer Regime, die Menschen zu körperlicher Leistungsfähigkeit anzuhalten, die ihnen gar nicht gemäß ist. Leibesertüchtigung mit militaristischem Anstrich wurde großgeschrieben. Pluralistische Demokratien hingegen respektieren den Einzelnen, wie er ist, und geben ihm nicht vor, was er mit seinem Körper zu tun und zu lassen hat. Das Wasser ist nun einmal nicht der natürliche Lebensraum unserer Spezies. Zur artgerechten Menschenhaltung in der demokratischen Marktgesellschaft ist Schwimmen daher entbehrlich.

Über diese grundsätzliche Frage hinaus ist aber auch eine ganz pragmatische zu betrachten: Wer Schwimmen erlernt, möchte diese Fertigkeit auch anwenden. Früher war dies kein Problem, gab es doch in nahezu allen Kommunen öffentliche Schwimmbäder. Heute ist diese Infrastruktur entweder bereits verfallen oder ihr Betrieb nicht mehr finanzierbar. Diesen fiskalisch notwendigen Trend sollte man nicht durch weltfremde Schwimmpropaganda aufhalten wollen. Gerade Lebensretter sollten wissen: Öffentliche Infrastruktur, seien es Bäder oder auch Straßen, ist ein Gefahrenraum. Wo sie verschwindet, leben die Menschen sicherer.