© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/17 / 30. Juni 2017

Pankraz,
Alex de Waal und der Hunger in der Welt

Irgendwann platzt auch dem Geduldigsten der Kragen. Bei Alex de Waal (54), dem Direktor der „World Peace Foundation“ in den USA, die mit dem in Athen angesiedelten „World Peace Council“ kooperiert, war es jetzt soweit. In einem spektakulären Interview für die Weltpresse zum Thema „Hungerhilfe für Afrika und den Nahen Osten“ ließ er seinem lang angestauten Zorn freien Lauf und benannte die wahren Schuldigen für die sich ausbreitenden Hungerkatastrophen in den fraglichen Ländern: Nigeria, Somalia, Südsudan, Jemen … 

Der Hunger dort, so de Waal, liegt nicht am Klimawandel oder an gewissen weltpolitischen Bedingungen, sondern er ist von hinten bis vorn hausgemacht, resultiert einzig aus den Entscheidungen und Rankünen der örtlichen Politiker, ja, wird von ihnen oftmals bewußt herbeigeführt, um ihre Ziele durchzusetzen und den Gegner zu schwächen. Sogenannte „humanitäre Hilfe“ aus dem Westen oder von international operierenden Organisationen wird mit voller Absicht blockiert. Angebotene Hilfsgelder werden zwar entgegengenommen, fließen aber bis auf den letzten Cent in die Taschen der mächtigen Hunger-Organisierer.

Der „World Peace Council“ steht nicht im Dienst der Uno, sondern ist ein kurioses Überbleibsel aus den Tagen des Kalten Krieges. Er wurde 1950 in Warschau von dem französischen Physiker Frédéric Joliot-Curie und anderen westlichen Berühmtheiten gegründet und unterstützte die damalige sowjetische „Friedenspolitik“ gegen die USA. Das Geld kam aus Moskau; woher es heute fließt, bleibt unklar. Der „Council“ überlebte jedenfalls den Untergang der Sowjetunion, und seine Deklarationen richteten und richten sich nach wie vor gegen den Westen, der letztlich für alles Elend in der Welt verantwortlich sei.


Um so bemerkenswerter jetzt der Zornesausbruch des intimen Afrikakenners Alex de Waal. Seit Jahrzehnten, so klagt er, sei der Hunger überall in der Welt zurückgegangen, er schien besiegt, doch 2016 wendete sich die Statistik wieder. Doch keineswegs sei die Dürre daran schuld, wie besonders in offiziellen Verlautbarungen aus Saudi-Arabien zu lesen sei. Solche Reden seien pures Lügengespinst. Saudi-Arabien führe zur Zeit einen unerklärten Krieg gegen schiitische „Rebellen“ in seinem Nachbarland Jemen, und der Hunger spiele dabei eine wichtige propagandistische Rolle. 

Alex de Waal im Interview:  „Lassen Sie sich nicht von den vielen Bildern täuschen, die zur Zeit hungrige Menschen in trockenen Landschaften zeigen: das Wetter hat nichts mit dem Hunger zu tun, an dem im Jemen mehr als sieben Millionen Menschen leiden. Wahre Ursache ist der unerbittliche Krieg, die Zerstörung der Binnenstruktur in den Städten und kleinen Ortschaften, die ewigen Luftangriffe.“

Und weiter de Waal: „Die von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten geführte Intervention hat die Wirtschaft des Landes abgewürgt. Vor dem Krieg wurden achtzig Prozent der Lebensmittel im Jemen importiert, meist über den Hafen von Hudaida am Roten Meer. Auf Betreiben Saudi-Arabiens und mit Unterstützung der USA und Großbritanniens hat der UN-Sicherheitsrat eine Blockade über den Jemen verhängt. Auch wenn es eine Ausnahme für Lebensmittel gibt, sind die Inspektionen – wohl mit Absicht – langsam und mühevoll. Das Elend breitet sich immer weiter aus.“

Man sieht: Ganz ist die antiwestliche Speerspitze des „World Peace Council“ aus alten Joliot-Curie-Tagen nicht abgeschliffen, aber man ist immerhin realistischer geworden. Der Westen erscheint nicht mehr als primärer Verursacher aller Übel, hier des Hungers, sondern lediglich  als momentaner Komplize der eigentlichen Verursacher. Man kann, muß wohl sogar diese Komplizenschaft kritisieren. Was man aber auf keinen Fall darf (das ist die Botschaft des Interviews von Alex de Waal): die wahren Hungerstifter gewähren lassen und das von ihnen angerichtete Elend mit humanitären Maßnahmen zu lindern versuchen.


Erstens ist das (siehe oben) vergeblich, füllt nur die Geldsäcke der Hungerstifter, zweitens läßt es die Humanitären in einem derart jämmerlichen Licht erscheinen, daß jeder Vernünftige sich verächtlich von ihnen abwendet. Sie wollen ja gar keine aktiven Teilnehmer am Weltgeschehen mehr sein, sie wollen nur noch Sanitäter spielen oder, noch lieber, Gärtner, welche die Müllhalden, die die anderen auftürmen, eifrig mit grünem Rasen überziehen. Leider ist es genau das, worauf die hiesige aktuelle Politik hinausläuft: die Halunken gewähren lassen und ihnen auch noch den Dreck wegräumen, den sie hinterlassen.

Wer nicht zuletzt bei alledem das Nachsehen hat, sind eventuell im Täterland vorhandene autochthone Widerstandskräfte, die gar keine Gelegenheit mehr finden, von sich aus für halbwegs erträgliche Verhältnisse zu sorgen. „Unbändiger ist und schrecklicher nichts denn der Hunger“, wußte schon Homer (Odyssee VII/216), aber gerade deshalb erwecke er im Menschen mutigste Entschlossenheit, ungeahnte Erfinderkräfte, um ihn zu stillen. Wem diese Erfahrung von vornherein abgenommen wird, der kann auch nicht beweisen, daß er grundsätzlich in der Lage ist, ein solides Gemeinwesen auf die Beine zu stellen.

Die humanitäre Hungerhilfe hierzulande sollte ihre Schlüsse daraus ziehen, nicht zuletzt was ihre Werbung in Fernsehen und Internet betrifft. Weniger sentimentale Mitleidssequenzen mit hungrigen schwarzen Babys, die hilflos in die Kamera blicken, stattdessen mehr Bilder von verläßlichen Faktenlagen nebst möglichst konkreten Mitteilungen darüber, was mit den Geldspenden geschehen wird, durch welche Kanäle sie laufen und was dabei durch Bürokratie und Korruption verlorengehen kann. 

Sicherlich ist dies ein mühsamer Weg, aber er ist unbedingt notwendig. Und immer sollte dabei bedacht werden, was einst Arthur Schnitzler im alten Wien so formulierte: „Zuerst den Hunger abgetan, / Dann fangen die Probleme an“!