Die Wahl von Emmanuel Macron zum französischen Präsidenten hat der Diskussion um eine Vertiefung der Währungsunion euphorischen Schwung verliehen. Dabei sind die Konstruktionsfehler der Euro-Einheitswährung offensichtlich. Eine einheitliche Geldpolitik – ein gemeinsamer Zentralbankzins für alle Mitgliedstaaten bei unterschiedlichen Entwicklungsständen, Produktionsstrukturen, Branchenkonjunkturen und staatspolitischen Mentalitäten – paßt für keinen richtig. EU-weite Haushaltsregeln sollten eine fiskalische Koordination der nationalen Haushalte sicherstellen. Die Einsicht zur Nachbesserung des Regelwerkes nach der Staatsschulden- und Bankenkrise war groß: Reform des Fiskalpaktes, die Installierung einer Haushaltsüberwachung und eines Bankenabwicklungsmechanismus.
Es hat wenig gebracht – offensichtliche Verstöße und Ausnahmen wurden zur Regel. So wurde die Defizitquote seit Einführung des Euro 1999 109mal überschritten. Allerdings wächst die Erkenntnis, daß es Alternativen bedarf, will man eine Dauerkrise durch ein „Weiter so“ mit ökonomischen Verlusten für alle vermeiden. Zwei grundlegende Möglichkeiten bestehen: Entweder heilt eine Fiskalunion mit Finanzausgleich nach dem Modell der deutsch-deutschen Wiedervereinigung die Mängel – oder die Einheitswährung wird aufgegeben.
In ihrem „Reflexionspapier zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion“ legte die EU-Kommission kürzlich einen Vorschlag für einen Fahrplan bis 2025 vor. Kernpunkte sind eine Integration durch Zentralisierung, eine Stärkung der EU-Kommission zu Lasten nationaler Souveränitätsrechte und eine Vergemeinschaftung von Haushaltsressourcen. Konkret sind kollektive Fonds zur Bankenunion vorgesehen: eine Letztsicherung durch staatliche Mittel bei kumulativen Bankenzusammenbrüchen (Backstop) und ein europäisches Einlagensicherungssystem.
Heimische Steuerzahler, Sparkassen und Volksbanken würden dann marode italienische Geldhäuser finanzieren. Die aktuell 17 Milliarden Euro schwere Rettung der Banca Popolare di Vicenza und Veneto Banca müßte dann nicht mehr Italien alleine bezahlen. Das zentrale Element des EU-Reformpakets ist die Errichtung einer stabilisierenden „Fiskalkapazität“. Hinter dieser Worthülse verbergen sich ein Investitionsfonds zur Unterstützung konjunkturell gefährdeter Euro-Staaten, ein „Rainy-Day-Fonds“ zur Abwendung schockartiger Einbrüche, eine EU-Arbeitslosenversicherung sowie ein eigener Haushalt für den Euroraum.
Diese Kollektivmittel würden durch ein EU-Schatzamt verwaltet – ein Finanzministerium XXL. Entsprechend den neuen Machtverhältnissen nach einem Brexit wäre der Zugriff der Euro-Krisenstaaten („Club Med“) auf diese Mittel sicher. Darüber hinaus sollen der auf dem Völkerrecht errichtete Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) und der Fiskalpakt in supranationale EU-Institutionen überführt werden, womit die EU-Kommission weitere Machtbefugnisse erhielte. Dies macht eine Vielzahl einstimmig zu beschließender Änderungen der EU-Verträge notwendig – was kaum realistisch erscheint.
Kein gemeinsam regierbares Gemeinwesen
Fritz Wilhelm Scharpf, langjähriger Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln, hält auch aus demokratietheoretischer Sicht eine Vertiefung der Währungsunion für falsch. Dies „setzt ein politisches Gemeinwesen voraus, dessen Mitglieder willens und fähig sind, sich gemeinsam selbst zu regieren“. Doch von einer politisch belastbaren kollektiven Identität sei Europa weit entfernt. Insbesondere würde die demokratische Legitimation der Regierten aufgrund einer weitgehenden Loslösung der EU-Kommission und der EZB vom Wählerwillen fehlen.
Gerade die Finanz- und Staatsschuldenkrise offenbarte diesen Mangel und führte zu einer europakritischen Haltung vieler (EU-)Bürger. Der Einsatz der lockeren Geldpolitik zur Staatenrettung und die Auflagen für die hilfenehmenden Staaten entbehren einer direkten Einflußnahme durch die Betroffenen. Deshalb könne die Euro- Rettungspolitik „nur als Fremdherrschaft kombiniert mit einem autoritären Expertenregime qualifiziert werden“. Einer Vertiefung fehlen die notwendigen demokratischen Entscheidungs- und Kontrollstrukturen.
Was könnten demnach mögliche Zukunftsszenarien für einen Weg aus der Einheitswährung sein? In einem Interview des Tagesspiegels plädierte der einstige Euro-Befürworter Scharpf kürzlich für ein Europa der zwei Räume. Länder müßten den Euro nach vorgegebenen Austrittsregeln verlassen können, um eine nationale Währung wieder einzuführen. Im Zentrum der Eurozone sieht er den „D-Mark-Block“ (Deutschland, Österreich, Benelux), die baltischen Staaten und Irland.
Die EU-Staaten mit nationaler Währung würden eine Koordination über den Wechselkursmechanismus II (Bandbreite +/-15 Prozent) wahrnehmen. Probleme liegen in einem überzogenen Abwertungsdruck und der Notwendigkeit eines Schuldenschnittes. Den Ansatz einer dualen Währungsunion brachte der frühere BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel 2010 ins Gespräch. Mangels Zukunft tritt der DM-Block aus und bildet den Kern eines „harten“ Nord-Euro. Der bisherige Euro würde dann de facto zu einem „weichen“ Süd-Euro mutieren. Ein unkoordinierter Ausstieg und die Frage nach Frankreichs Zugehörigkeit könnten politische Verwerfungen hervorrufen.
Eine dritte Alternative bietet der vom Verfasser 2011 entwickelte Ansatz einer Euro-Parallelwährung. Jeder Mitgliedstaat hätte ein Austrittsrecht aus dem Euro, würde seine nationale Währung wieder installieren und könnte den Euro weiterhin als Parallelwährung nutzen. Sollte ein Mitglied dauerhaft gegen die Haushaltsregeln verstoßen, käme es zu einer automatischen Beendigung im Euro-Währungsgebiet. Die Freiheit der Mitgliedstaaten und der Schutz der Gemeinschaft wären zugleich möglich.
Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Das Euro-Parallelwährungs-Konzept erläutert sein Buch „Euro-Krise: Austritt als Lösung? (Lit Verlag 2012)
Nationale Kapitalanteile an der EZB
Deutsche Bundesbank (Deutschland) 1.948.208.997
Banque de France (Frankreich) 1.534.899.402
Banca d‘Italia (Italien) 1.332.644.970
Banco de España (Spanien) 957.028.050
De Nederlandsche Bank (Niederlande) 433.379.158
Nationale Bank van België (Belgien)268 222 025
Bank of Greece (Griechenland) 220.094.043
Oesterreichische Nationalbank (Österreich) 212.505.713
Banco de Portugal (Portugal) 188.723.173
Suomen Pankki – Finlands Bank (Finnland) 136.005.388
Central Bank of Ireland (Irland) 125.645.857
Národná banka Slovenska (Slowakei) 83.623.179
Lietuvos bankas (Litauen) 44.728.929
Banka Slovenije (Slowenien) 37.400.399
Latvijas Banka (Lettland) 30.537.344
Banque centrale du Luxembourg (Luxemburg) 21.974.764
Eesti Pank (Estland) 20.870.613
Central Bank of Cyprus (Zypern) 16.378.235
Central Bank of Malta (Malta) 7.014.604
Insgesamt7.619.884.851