© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/17 / 07. Juli 2017

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Es irritiert, daß dauernd vor der „Spaltung“ der Gesellschaft gewarnt wird. Muß man das so verstehen, daß die Gesellschaft eigentlich gar nicht bunt und vielfältig ist, mithin gespalten, sondern einheitlich, uniform, das heißt gar keine Gesellschaft, sondern eine Gemeinschaft, eine Volks-Gemeinschaft?

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Gleichgültigkeit hat verschiedene Ursachen. Sie kann aus der Stumpfheit folgen, die das Elend erzeugt, oder aus dem Überdruß infolge von Wohlleben. Sie kann gewollte Haltung sein, Ataraxie oder désinvolture, Stoizismus oder Kriegergeste, oder vorgespielt wie im Fall jugendlicher Coolness. Sie kann aber auch zum Ausdruck einer Fehleinschätzung werden: daß nämlich nichts Konsequenzen hat, egal, was man tut oder läßt.

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Noch einmal zum Thema Katzen: Die Achtundsechziger, eigentlich die Sechsundsechziger, Siebenundsechziger, hielten sich in ihren Kommunen oder Wohngemeinschaften Katzen nicht nur aus praktischen Gründen, um im Altbau Mäuse oder Ratten zu jagen, sondern auch, weil man das Tier für typisch links, da antiautoritär, hielt. Ich mag in der Frage parteilich sein, aber mir will scheinen, daß für die Katze aufgrund ihrer Klugheit nur eine anarchische, keine anarchistische Existenz in Frage kommt.

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Trotz der Ähnlichkeit des Klangs ist der Unterschied zwischen „Erbitterung“ und „Verbitterung“ erheblich.

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Wenn die AfD vor das Bundesverfassungsgericht geht, um gegen die nun beschlossene „Ehe für alle“ zu klagen, wird das Ergebnis, ganz gleich wie es ausfällt, aufschlußreich sein im Hinblick auf die Frage, ob etwas, das da steht, eigentlich auch das Gegenteil dessen bedeuten kann, was da steht. 

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Der Verlag Gruner + Jahr hat eine neue Zeitschrift auf den Markt gebracht mit dem Titel hygge, dem dänischen Äquivalent für „gemütlich“. Offenbar geht es darum, dem deutschen Publikum das Lebensgefühl des zweitglücklichsten Volks der Erde noch ein bißchen näherzubringen. Auf Widerstand wird man dabei sicher nicht treffen, angesichts der verbreiteten Begeisterung fürs Skandinavische im allgemeinen, für puristisches Design oder den Wohlfahrtsstaat im besonderen. Aber wo Licht ist, ist auch Schatten. Im Gespräch meinte ein Däne, der Preis dafür, daß es „hygge“ zugehe, sei in jedem Fall Konformismus, die für den Außenstehenden kaum nachvollziehbare Gleichmacherei in ihrer „DDR“ – der „Dänischen Demokratischen Republik“ –, die Ausstoßung von jedem, der sich nicht an die sozialen Normen halte und jener gewohnheitsmäßige Alkoholmißbrauch, der ein Wochenende erst dann als gelungen betrachte, wenn der Montag mit einem Konterbier beginne. 

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Reformationsjubiläum 2017: „Für Dinge kämpfen und nicht alles klaglos hinnehmen – das verbinde ich mit Martin Luther.“ (Bettina Wulff, PR-Beraterin, Botschafterin der EKD für das Reformationsjubiläum)

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Die Entscheidung des Bundestags zur „Ehe für alle“ hat bei einigen zu satirischen Kommentaren geführt, des Inhalts etwa, wenn schon „für alle“, dann vielleicht auch für v und sein Meerschweinchen, für w und seinen Hund, für x und ihre Mutter, für y und seinen Sohn, für z und mehrere Männer oder Frauen. Aber man sollte vorsichtig sein im Hinblick auf die Annahme, daß es so weit nie kommen werde. An der Spitze des sexualpolitischen Fortschritts rangiert gegenwärtig Kolumbien. 2016 wurde dort die „Ehe“ für gleichgeschlechtliche Paare legalisiert. Jetzt ist ein weiterer Schritt vollzogen: Am 3. Juni akzeptierten die Behörden die gesetzliche Anerkennung eines Trios homosexueller Männer, das sich – laut eigener Videobotschaft im Netz – als „polyamouröse Familie“ versteht. Aussagen über das Adoptionsrecht fehlen noch.

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Bildungsbericht CVII in loser Folge: „Die gleichmacherische Ideologie (…) bewirkt nun im allgemeinen, daß die Menschen überhaupt kein Gefühl von Ehrfurcht und Respekt empfinden. (…) Kinderpsychologen ziehen aus ihren Kontakten mit der (…) Jugend gewöhnlich den Schluß, daß deren vieldiskutierte und oft verkündete ‘psychologische Unausgeglichenheit und Unsicherheit’ daher rühre, daß die Jugendlichen niemals Autorität kennenlernen: Vater und Mutter sind stets verzerrte Vorbilder der Nachgiebigkeit, die Lehrer sind gegen Tunichtgute machtlos, die Werbung spezialisiert sich darauf, den Launen von Teenagern oder noch jüngeren Kindern zu schmeicheln. Für den Heranwachsenden oder (…) Studenten bleibt die geistige Atmosphäre unverändert erhalten, wenn die (…) Ideologie sich voll auf ihn auswirken kann und ihm die ersten Erwachsenen-Manipulationskniffe bietet, durch die echte Unterschiede zwischen Individuen übertüncht, verbrämt oder schlankweg geleugnet werden können.“ (Der Philosoph und Historiker Thomas Molnar über die amerikanische Jugend, 1965)


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 21. Juli in der JF-Ausgabe 30/17.