© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/17 / 07. Juli 2017

Erbe und Identität bewahren
Vortrag: Der konservative britische Philosoph Roger Scruton in der Berliner Bibliothek des Konservatismus
Christian Dorn

Die Lufthoheit auf dem Feld des intellektuellen Konservatismus dürfte den Angelsachsen gehören. Jedenfalls gibt zu denken, daß ausgerechnet dort der Himmel in zwei Begriffe geteilt ist: einen profanen „sky“ und einen metaphysischen „heaven“. Einen Heimathafen für diesen spezifischen Erkenntnisgewinn bot vergangene Woche die Bibliothek des Konservatismus. In der Vortragsreihe „Konservativ heute“ referierte mit Sir Roger Scruton einer der namhaftesten zeitgenössischen Philosophen und Publizisten des Konservatismus.

Für Scrutons Sendungsbewußtsein spricht – neben dem hierfür jüngst erteilten Ritterschlag durch den Prince of Wales – beispielhaft die Zuschauerreaktion auf die in der BBC gezeigte Dokumentation Scrutons „Why Beauty Matters“, die einhellig gelobt wurde mit dem Fazit: „Thank Heavens someone is saying what needs to be said“.

Als Großbritanniens bekanntester intellektueller Dissident, der die englischen Traditionen und die englische Identität gegen die offizielle Kultur der Selbsanklage verteidigt, ist Scruton zugleich einer der produktivsten. Ausdruck dessen sind das von ihm 1982 gegründete konservative Magazin The Salisbury Review oder die über vierzig Buchveröffentlichungen des Universalgelehrten, von denen die Werke „The Meaning of Conservatism“, „Sexual Desire“, „The Aesthetics of Music“ und „How To Be A Conservative“ zu den bekanntesten zählen. Daneben reüssierte Scruton auch als Schriftsteller und Opernautor.

Bei seinem Berlin-Auftritt unter dem Titel „Konservativ sein heute – Nationale Identität, Globalisierung und Netzwelt“ machte Scruton deutlich, daß Konservatismus in erster Linie eine Einstellung reifer Menschen sei. Sie gründe auf die Erkenntnis, daß kollektive Güter – etwa Frieden, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Gemeinsinn,  aber auch die Sicherheit des Eigentums und das Familienleben – leicht zerstört, nicht jedoch leicht erschaffen werden können. Deren Beschaffenheit – ihre zumeist unsichtbaren, über Jahrhunderte entwickelten, in langen Prozessen austarierten Regeln – sei zugleich der Grund dafür, warum die Konservativen in der Öffentlichkeit eine so nachteilige Position einnähmen. Ihre Einstellung sei wahr, aber langweilig, die der Gegner des Konservatismus dagegen aufregend, jedoch falsch.

Europa erlebt eine Masseneinwanderung

Daher, so Scruton, würden sich die meisten Politiker niemals mit Konservatismus beschäftigen. Sie machten sich keine Gedanken über die Wurzeln der Gesellschaftsordnung. Die Vorstellung von einer Nation und ihrer moralischen „Persönlichkeit“ belächelten sie als das Erbe der christlichen Zivilisation. Sie verstünden nicht, daß Ehe und Familie die Voraussetzung der sozialen Reproduktion darstellen. Diese Art Politiker habe unseren Kontinent in einen Zustand tiefer Unsicherheit geführt, doch zugleich verhindere sie die nötige Debatte über unsere Identität: „Wer sind wir? Was macht uns zu einer Gemeinschaft (...) und was machen wir mit denen, die sich ihr verweigern?“

Der radikale Islam habe diese vielschichtige Frage ans Tageslicht befördert, auf die die neue politische Klasse aber „mit vorhersehbarem Schweigen reagiert, da sie nicht in der Lage ist, darauf eine Antwort zu geben.“

Dieses Beschweigen und die damit einhergehende Entfremdung hätten letztlich für die Brexit-Abstimmung gesorgt. Für die Menschen sei das Referendum die Gelegenheit gewesen, um jene Gefühle zum Ausdruck zu bringen, die aus dem politischen Prozeß im wesentlichen ausgeschlossen worden waren. Ohne die Begriffe des Publizisten David Goodhart von den „Anywheres“ und „Somewheres“ zu benutzen, beschrieb Scruton doch das gleiche Phänomen: Zwar hätten die global agierenden und agitierenden Experten nicht ganz unrecht gehabt, als sie vor den Folgen des EU-Austritts warnten, doch seien sie über die Sorgen der gewöhnlichen Wähler hinweggegangen, deren Netzwerke die Nachbarschaften sind und denen die Frage der Identität wichtiger war als ökonomische und geopolitische Argumente.

Das hierdurch zerbrochene Vertrauen, die Tabuisierung der Identitätsfrage, habe in sämtlichen westlichen Demokratien zu einer Identitätskrise geführt. Dabei erlebe Europa eine Masseneinwanderung von Leuten, die keine territoriale Loyalität besitzen: „Menschen, deren erste Person Plural durch religiöse Vorstellungen bestimmt wird“ und die der Geschichte der einzelnen Nationen, ihren Opfern und ihren Grenzen gleichgültig gegenüberstünden. Ihre zerstörerische Wirkung auf unsere Gesellschaften sei im Fall der Deutschen „um so größer, da sie von ihrer politischen Klasse dazu ermuntert worden sind, die nationale Idee aufzugeben und sich in eine neue transnationale Identität zu flüchten“. Durch das europäische Projekt hätten sich die Deutschen vor schmerzhaften Erinnerungen zu schützen gesucht, „mittels des Schleiers einer europäischen Identität, die die Grenzen der Nationalität überwindet und die Toten verbirgt, um die nicht getrauert werden darf“. Da die politischen Eliten nicht bereit seien, einen neuen EU-Vertrag auszuarbeiten, der das „verheerende Ziel“ einer immer engeren Union ablöse, gehe „das europäische Projekt seinem Ende entgegen“.