© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/17 / 07. Juli 2017

„Ehe für alle“
Im Grunde verfassungswidrig
Norbert Geis

Es war ein Koalitionsbruch der hinterhältigsten Art. In den Koalitionsvertrag zwischen den regierenden Parteien CDU/CSU und SPD wurde die „Homo-Ehe“ ausdrücklich nicht aufgenommen. Eine gesetzliche Regelung, durch welche die Verbindung zweier Menschen gleichen Geschlechts zur Ehe erhoben wird, widerspricht dem Selbstverständnis der Unionsparteien. Darauf hat die SPD Rücksicht genommen. Darauf hat die Union vertraut. Mit der Entscheidung zur „Ehe für alle“ hat sich der Koalitionspartner disqualifiziert.

Hinterhältig ist dieser Koalitionsbruch deshalb, weil niemand damit rechnen konnte, daß dieses Gesetz, dessen Abschlußberatung im Rechtsausschuß von der SPD selbst mindestens 30mal in der zurückliegenden Legislaturperiode verhindert wurde – daß dieses Gesetz doch noch in letzter Minute nach einer gerade einmal halbstündigen Debatte im Bundestag durchgepeitscht wurde.

Die Große Koalition war erfolgreich. Dies war nur möglich, weil ein Vertrauensverhältnis zwischen den beiden Fraktionen gegeben war. Um so schwerer wiegt der Vertrauensbruch vom vergangenen Freitag. Schuld daran ist die Spitze der SPD, die glaubt, aus ihrer Entscheidung pro „Ehe für alle“ Vorteile für die Wahl erlangen zu können. Schuld daran ist Martin Schulz, ehemals ein angesehener Bürgermeister und erfolgreicher Europaabgeordneter. Er scheint jedoch im Zuge des Wahlkampfes mehr und mehr in die Rolle eines „Hansdampfs in allen Gassen“ zu geraten.

Schuld daran ist Justizminister Heiko Maas, der noch vor kurzer Zeit ein solches Gesetz, dem er jetzt zugestimmt hat, für verfassungswidrig erklärt hat, der jetzt der Rolle des Ritters von der „traurigen Gestalt“ verfallen ist. Schuld daran ist auch der Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann, der im Fernsehen allzu oft mit dem aufgesetzten Lächeln eines Falschspielers auftritt. Sicher haben die schlechten Umfrageergebnisse die SPD dazu getrieben, in den letzten Minuten dieser Legislaturperiode ohne ausreichende Abwägung des Für und Wider sich für diesen schwerwiegenden Kulturbruch zu entscheiden. Das ist unentschuldbar.

Die Befürworter dieser Entscheidung verweisen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, die sich gewandelt hätten. Deshalb müsse man Rücksicht auf den Zeitgeist nehmen. Aber wir wissen doch, wie schnell sich Meinungen ändern. Aus den jüngsten Umfragen vor Wahlen wissen wir doch, daß auf solche Umfragen kein Verlaß mehr ist. Deshalb sind solche Umfragen nie wirklich repräsentativ. Viel richtiger ist es, dem Zeitgeist zu widerstehen und ihm nicht nachzulaufen. Von Søren Kierkegaard stammt das Wort: „Wer sich heute mit dem Zeitgeist verheiratet, ist morgen Witwer.“ Es gehört jedenfalls zur Verantwortung des Parlamentes, daß es sich nicht nach dem Zeitgeist richtet, sondern nach der Verfassung. Nicht die Mehrheit entscheidet, was Recht ist, sondern die Verfassung. Sonst geraten wir sehr schnell in eine Gesetzesdiktatur. Schon Aristoteles hat darauf hingewiesen, daß die Mehrheit, wenn sie sich über das Recht – im vorliegenden Fall über die Verfassung – hinwegsetzt, sich verhält wie ein Diktator.

Wer auch nur einen Augenblick länger darüber nachdenkt, dem ist klar, daß die Privilegierung der Ehe im Grundgesetz deshalb erfolgte, weil die Eheleute in aller Regel Kinder zeugen, sie erziehen und so die Generationenfolge sichern.

Die Öffnung der Ehe zwischen Mann und Frau hin zu einer Ehe mit einem gleichgeschlechtlichen Partner ist ein Verstoß gegen die Verfassung. Unsere Verfassung geht von der monogamen Ehe aus. Sie ist in der ganzen Geschichte unseres Kontinents die „Ordnungsgestalt des Verhältnisses von Mann und Frau und zugleich als Zelle staatlicher Gemeinschaftsbildung vom biblischen Glauben geformt worden“ (Benedikt XVI.). Die Ehe von Mann und Frau gehört zur Identität unserer abendländischen Kultur. „Europa wäre nicht mehr Europa, wenn diese Grundzelle seines sozialen Aufbaus verschwände oder wesentlich verändert würde“ (Benedikt XVI.). Die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes haben deshalb diese einzigartige Bedeutung von Ehe und Familie als eine Grundsäule unserer staatlichen Gemeinschaft in unsere Verfassung hineingeschrieben und haben dem Staat aufgetragen, Ehe und Familie in besonderer Weise zu schützen. Art. 6 Abs. 1 GG: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“

Nun wird mit einer nicht mehr zu überbietenden Oberflächlichkeit behauptet, in Art. 6 Abs. 1 GG werde nicht ausdrücklich festgelegt, daß eine Ehe nur zwischen Mann und Frau bestehen könne. Diese Frage jedoch ist längst ausdiskutiert. Heute behauptet kein ernstzunehmender Jurist, daß auch gleichgeschlechtliche Paare mit dem Ehebegriff des Grundgesetzes gemeint seien, weil in der Verfassung nicht ausdrücklich nur die Partner unterschiedlichen Geschlechts genannt würden. Aber gerade „weil der Verfassungsgeber die Ehe nicht definiert hat, ist sie in ihrem überkommenen Wesensgehalt vorausgesetzt worden“ (Isensee/Kirchhof, „Handbuch des Staatsrechts“, 3. Aufl., Bd. VII § 154.9).

Deshalb gilt: Wer den Ehebegriff ändern will, wer unbedingt die gleichgeschlechtlichen Paare als Ehe auch in den Schutz des Art. 6 GG stellen möchte, muß die Verfassung ändern. Dazu gehört eine Zweitdrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat. Mit der einfachen gesetzlichen Regelung vom vergangenen Freitag ist das nicht zu machen. Sie widerspricht eindeutig der Verfassung und ist deshalb verfassungswidrig, solange die Verfassung selbst nicht entsprechend geändert wird. Deshalb sollte so schnell wie möglich diese offene Frage vom Verfassungsgericht geklärt werden. Antragsberechtigt sind jeweils einzeln die Bundesregierung, der Bundestag, der Bundesrat, eine Länderregierung und ein Viertel der Abgeordneten des Bundestages. Es wäre nunmehr Sache vor allem auch der Bayerischen Staatsregierung, sich an das Verfassungsgericht zu wenden.

Das zentrale Argument in der Gesetzesbegründung weist darauf hin, daß die gleichgeschlechtlichen Partner genauso wie die Eheleute füreinander einstehen und gegenseitige Verpflichtungen übernehmen und daß deshalb die unterschiedliche rechtliche Behandlung beider Institute eine Diskriminierung sei. Wenn dies aber so ist, warum gilt diese Forderung nicht auch für andere Lebensgemeinschaften, etwa für zwei unverheiratete Schwestern, die zusammenleben und füreinander einstehen?

Wer auch nur einen Augenblick länger darüber nachdenkt, dem ist klar, daß Ehe und Familie nicht deshalb unter dem besonderen Schutz des Staates stehen, weil die Eheleute füreinander einstehen und besondere Verpflichtungen füreinander übernehmen. Die Privilegierung der Ehe im Grundgesetz erfolgte vielmehr deshalb, weil die Eheleute in aller Regel Kinder zeugen, sie erziehen und so die Generationenfolge und damit die Zukunft des Volkes sichern.

Die Sicherung der Generationenfolge aber ist den gleichgeschlechtlichen Paaren von Natur aus nicht möglich. Auch die künstliche Befruchtung hilft nicht aus diesem Dilemma. Denn die künstliche Befruchtung setzt den Samen des Mannes und die Eizelle der Frau voraus. Eltern des Kindes sind immer Mann und Frau. Dazu kommt, daß das Kind den Anspruch darauf hat, zu wissen, wer sein leiblicher Vater ist. Rechtlich gelöst ist immer Mutter des Kindes die Frau, die es geboren hat. Den Vater erkennt es durch die Feststellung der Vaterschaft.

Das Verfassungsgericht ist in dieser entscheidenden Frage unserer Rechtsordnung schon früher in den Rücken gefallen. Es kann sich nicht auf den Zeitgeist berufen. Es wäre vielmehr seine Aufgabe, auch gegen den Zeitgeist das Staatsschiff auf Kurs zu halten.

Auch durch die Adoption wird dieses Dilemma nicht beseitigt. Es bleibt die Feststellung, daß in einer gleichgeschlechtlichen Verbindung die Generationenfolge nicht möglich ist. Dennoch geht der Kampf um die Volladoption. Die frühere Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) war gegen diese Voll­adoption, weil es nicht auf den Willen des gleichgeschlechtlichen Paares ankommt, sondern allein entscheidend das Wohl des Kindes ist. Zum Wohl des Kindes aber gehören Vater und Mutter. Diese einfache Lebenserfahrung zu akzeptieren, dazu sind die Betreiber der Volladoption nicht bereit. Bleibt zu hoffen, daß das Verfassungsgericht ein solches Begehren, weil gegen das Wohl des Kindes gerichtet, zurückweist.

Das ist jedoch nicht sicher. Das Verfassungsgericht hat an dem jetzigen Ergebnis vom 30. Juni 2017 ein gerüttelt Maß Anteil. Durch das Urteil vom 17. Juli 2002 zur Einführung der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft wurde die vollständige Gleichstellung der Ehe, wie sie jetzt gesetzlich geregelt ist, eingeläutet. Zwar hat das Verfassungs­gericht den besonderen Schutz für Ehe und Familie ausdrücklich allein auf die Verbindung von Mann und Frau bezogen. Es bezeichnete die gleichgeschlechtliche Partnerschaft sogar als ein „aliud“ im Verhältnis zur Ehe von Mann und Frau.

Das Gericht hat aber in mehreren Folgeentscheidungen aus dem „aliud“ mehr und mehr ein „idem“, also ein Gleiches, gemacht. Das Verfassungsgericht hat mit seinen Entscheidungen zur Hinterbliebenenversorgung, zur Erbschafts- und Schenkungssteuer, beim beamtenrechtlichen Familienzuschlag, bei der Grunderwerbssteuer, bei der Sukzessiv-Adoption den Unterschied zu der in Art. 6 GG privilegierten Ehe aufgehoben. Das Verfassungsgericht ist in dieser ganz entscheidenden Frage unserer Rechtsordnung in den Rücken gefallen. Es kann sich nicht auf den Zeitgeist berufen. Es wäre vielmehr seine Aufgabe, wenn es sein muß, auch gegen den Zeitgeist das Schiff des Staates auf Kurs zu halten.

Was aber ist mit den „C“-Parteien? Über 70 Abgeordnete haben für das Gesetz gestimmt. Das ist zuviel. Die Union hat dafür Sorge zu tragen, daß die christlichen Grundüberzeugungen die tragenden Pfeiler unserer Kultur bleiben. Weicht die Union von diesem Auftrag zurück, wird sie überflüssig.

Wie aber steht es mit den zwei großen Konfessionen? Die katholischen Bischöfe haben sich eindeutig gegen dieses Gesetz ausgesprochen. Die Entscheidung der EKD für dieses Gesetz schockiert. Das Zusammenstehen beider großen Konfessionen in dieser für unsere Kultur so wichtigen Frage ist nicht gelungen. Ein schlechtes Zeichen für die Ökumene.






Norbert Geis, Jahrgang 1939, ist Rechtsanwalt. Er zählte zu den profiliertesten Rechts- und Innenpolitikern der CSU und gehörte von 1987 bis 2013 dem Deutschen Bundestag an. Auf dem Forum erörterte er zuletzt die Frage, ob Deutschland ein Zuwanderungsgesetz brauche („Wichtiger ist eine gute Familienpolitik“, JF 22/15). 

Foto: Was eine Ehe ist und was sie nicht ist: Die Stammbücher der Familien von gleichgeschlechtlichen „Ehen“ werden naturgemäß dünn bleiben