© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/17 / 07. Juli 2017

Mehr Markt im Konzert der Staaten
Andreas Marquart und Philipp Bagus schwärmen für die größere Konkurrenz in der Kleinstaaterei
Erich Weede

Andreas Marquart ist Vorstand des Ludwig-von-Mises-Instituts Deutschland, Philipp Bagus ist Professor für Volkswirtschaftslehre an einer Universität in Madrid. Beide sind der österreichischen Schule der Volkswirtschaftslehre zuzurechnen, deren bedeutendste Vertreter Mises und Hayek waren. Im vorliegenden Buch kritisieren Marquart und Bagus das Projekt einer immer engeren Union und die permanenten Bemühungen, möglichst viel politische Macht in Brüssel zu zentralisieren. 

Die Autoren zeigen, daß die EU ein recht merkwürdiges Verhältnis zum Erbe Europas hat. Das wesentliche Merkmal Europas – etwa verglichen mit den asiatischen Hochkulturen und Großreichen – war immer das größere Ausmaß an individueller Freiheit. Politische Voraussetzung dieser Freiheit war die Kleinflächigkeit vieler europäischer Fürstentümer und Staaten. Die territoriale Gewaltenteilung war Vorläufer und Voraussetzung für andere Schranken der Staatstätigkeit, für Standortwettbewerb. Garant der Freiheit ist letztlich die Exit-Option, die Möglichkeit, der Obrigkeit, Fron- und Steuerlasten zu entkommen. 

Dem größeren Ausmaß der wirtschaftlichen Freiheit der Menschen verdankt Europa die Überwindung der Massenarmut. Zentralisierung politischer Macht kann nur die Informationsverarbeitungsfähigkeit von Regierungen und Bürokratien überlasten. Außerdem haben die immer eigene Interessen, die sich von denen der Regierten unterscheiden. Marquart und Bagus postulieren, daß Verschwendung und Korruption tendenziell mit der Staatsgröße zunehmen. Daß mehr als 4.000 EU-Beschäftigte mehr als die deutsche Bundeskanzlerin verdienen müssen, kann kaum als Nachweis für sparsamen Umgang mit Steuergeldern dienen. Beim Korruptionsindex von Transparency International werden die sieben besten Plätze von Kleinstaaten – die Schweiz ist der größte davon – eingenommen. 

Marquart und Bagus geht es darum, Irrtümer möglichst schnell zu korrigieren und Verbesserungen schnell durchzusetzen. Das Instrument dazu ist der Wettbewerb. Wenn es um private Unternehmen geht, sehen das sogar Politiker ein und schaffen dazu Kartellämter. Aber in der Politik ist ihnen nichts wichtiger als die Minimierung des Steuerwettbewerbs. Großflächige Staaten leisten durch ihre bloße Existenz schon einen Beitrag dazu. Auch die EU will den Steuerwettbewerb reduzieren, um beispielsweise ihre Beschäftigten sehr gut bezahlen zu können, aber auch um Macht auszuüben. Dem Harmonisierungsgedanken stehen Marquart und Bagus kritisch gegenüber. Der schafft Überregulierungen, wie auf südeuropäischen Arbeitsmärkten und macht Volkswirtschaften für Krisen anfällig. Wettbewerb begrenzt Macht. Politiker wollen mehr und nicht weniger Macht. Sie glauben zu wissen, was gut für die Menschen ist – oft besser als die Betroffenen selbst. Marquart und Bagus sind konsequent in ihrem Plädoyer für mehr Wettbewerb. Ein Monopol gesetzlicher Zahlungsmittel lehnen sie ab. Lieber wären ihnen konkurrierende Währungen oder auch eine Goldwährung. Während Banken und Zentralbanken gegenwärtig Geld aus dem Nichts schöpfen können, damit Überschuldung, Krisen und Inflationen auslösen können, würde eine Goldwährung die Macht der Politik beträchtlich beschneiden. 

Während die ersten fünf Kapitel des Buches sich mit volkswirtschaftlichen Fragen beschäftigen, geht es im sechsten Kapitel und im Epilog auch um weltpolitische Fragen und zwischenstaatliche Beziehungen. Dabei weisen Marquart und Bagus auf einige Tatsachen hin, die sich sogar in quantitativen Studien belegen lassen. Mit der Größe eines Staates nimmt die Kriegsverwicklung zu. Mit der Größe des Staates steigt die Neigung zu Autarkiebestrebungen. Mehr Freihandel – am besten weniger bürokratisiert als der sogenannte Freihandel unter großen Staaten und Wirtschaftsblöcken – trägt zur Kriegsverhütung bei. 

Änderung des Status quo scheitert an Widerständen

Man kann die sympathische Vision einer Welt aus vielen freihändlerischen Kleinstaaten teilen und muß dennoch die Frage stellen, wie kommen wir vom Status quo dahin? Nicht umsonst gilt der Rückzug als besonders schwieriges militärisches Unterfangen. Einerseits sind sich die Autoren der Gefahr bewußt, denn sie deuten die Möglichkeit an, daß die EU die Schweiz in die Mitgliedschaft hineinnötigen könnte. Die anstehenden Verhandlungen zwischen den Briten und der EU werden uns bald verraten, zu welchen Druckmitteln die EU als Möchtegern-Großmacht zu greifen bereit ist. 

Andererseits drängt sich doch der Eindruck auf, daß bei der Analyse der zwischenstaatlichen Beziehungen das Problem des kleineren Übels mehr beachtet werden muß. Jeder Staat ist eine potentielle Bedrohung der Freiheit. Aber es muß nicht immer und überall so sein, daß der eigene Staat die größte Bedrohung der Freiheit darstellt. Wenn die Karte auf dem Umschlag etwa die Spaltung Deutschlands in Kleinstaaten – wie etwa Bayern –  suggeriert, bezweifle ich, ob Amerikaner, Chinesen und Russen oder auch nur Franzosen diesem guten Vorbild folgen würden.






Prof. Dr. Erich Weede lehrte Soziologie in den Universitäten Köln und Bonn. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft.

Andreas Marquart, Philipp Bagus: Wir schaffen das alleine. Warum kleine Staaten einfach besser sind. FinanzBuch Verlag, München 2017, 157 Seiten, 14,99 Euro