© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/17 / 14. Juli 2017

Hochlohnländer vereinigt euch
Handelspolitik: Donald Trump und der Brexit bedrohen die deutsche Exportindustrie / Europa muß Alternativen zur ungehemmten Globalisierung entwickeln
Manfred Ritter

Wilbur Ross beklagte auf dem Berliner Wirtschaftsrat der CDU die Benachteiligung der US-Industrie im Welthandel, doch die 3.500 Unternehmer und Parteifunktionäre wollten ihm nicht zuhören. Der US-Handelsminister wurde mitten in der Liveübertragung abgeschaltet – ein bislang einmaliger Vorgang in der Nachkriegsgeschichte (JF 29/17). In der vorigen Woche wurde anläßlich des G20-Gipfels sogar nachgetreten: „Der Wirtschaftsrat fordert alle G20-Mitglieder auf, auf protektionistische Maßnahmen zu verzichten“, erklärte Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates. „Der Welthandel ist kein Nullsummenspiel, bei dem nur einer gewinnt und die anderen verlieren“, so der Bankkaufmann und frühere CDU-Bundestagsabgeordnete.

Leere Fabrikhallen statt blühender Industriestädte

„Strafzölle, Steuerkriege und die Mißachtung des Klimaschutzes sind am Ende ein Eigentor für den eigenen Wohlstand“, dozierte Steiger. Doch Präsident Donald Trump verdankt seinen Wahlsieg in erster Linie seinem Versprechen, möglichst viele der im Rahmen der Globalisierung ins Ausland abgewanderten Jobs zurückzuholen. Dies war angesichts eines Handelsbilanzdefizits der USA von 481 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr ein sehr populäres Versprechen.

Aber auch die in den USA diskutierte Grenzausgleichssteuer (Border tax adjustment/BTA) dürfte die US-Handelsbilanz nicht ins Positive drehen (JF 7/17). Die BTA würde den US-Handelsfirmen verbieten, ihre Importkosten steuerlich abzusetzen. Importe aus Niedriglohnländern hätten dabei wegen ihrer enormen Gewinnspannen weiterhin genügend Spielräume um konkurrenzfähig zu bleiben. Die BTA würde deshalb nicht das weltweite Lohndumping bekämpfen, sondern vor allem die Konkurrenz aus anderen Hochlohnländern wie Deutschland.

Doch welche Alternative gäbe es? Länder wie China werden in absehbarer Zeit immer mehr hochwertige Produkte in guter Qualität produzieren und aufgrund ihrer Niedriglöhne zu konkurrenzlosen Preisen anbieten können. Deshalb läge es im Interesse aller Hochlohnländer, Schutzzölle gegen die unfaire Lohn-, Sozial- und Umweltdumping-Konkurrenz einzuführen. Die Globalisierung hat zu einer einseitigen Privilegierung des Handels geführt, der in Niedriglohnländern billig produzieren läßt, um die Waren dann mit Maximalgewinnen in Hochlohnländern zu verkaufen.

Dadurch verloren viele Produzenten und ihre Arbeitnehmer in den traditionellen Industriestaaten ihre Konkurrenzfähigkeit. Auch als die Folgen der dadurch verursachten Deindustrialisierung nicht mehr zu übersehen waren, wurde jede Kritik mit dem Totschlagargument, daß die Vorteile dieser Globalisierungspolitik die Nachteile überwiegen würden, zurückgewiesen und die Diskussion über Alternativen zu dieser Politik verweigert. 

In den USA, wo leere Fabrikhallen das Bild vieler ehemals blühender Industriestädte prägen, wollen die Globalisierungsopfer mit Donald Trump den „Ausverkauf“ ihrer Industrienation verhindern. Auch Investoren, die ihr Geld lieber im eigenen Land anlegen, wie Produzenten und Immobilienbesitzer, sind daran interessiert, daß ihr Staat floriert. Zudem haben viele US-Unternehmer erkannt, daß die Globalisierungspolitik auch die Vormachtstellung Amerikas in der Welt gefährdet und besonders den Aufstieg Chinas als zukünftig stärkste Weltmacht beschleunigt. Deshalb hat Trump nicht nur den „Rust Belt“ auf seiner Seite. Aber seine „America first“-Politik ist ohne eine Verständigung mit den Hochlohnländern nicht machbar.

Bedrohte Vormachtstellung

Doch warum sollten die Europäer auf Washington zugehen? Weil die Weltmacht USA im Gegensatz zu Großbritannien oder Rußland nicht erpreßbar ist. Die Autoindustrie in Deutschland stellte 2016 5,7 Millionen Pkw her – ein Zehntel davon wurden in die USA geliefert. China nahm nur 232.633 Stück ab. Ohne die USA kann das bisherige im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO ausgehandelte Freihandelssystem nicht mehr beibehalten werden. Sollen Deutschland und Europa nicht selbst Opfer einseitiger protektionistischer Maßnahmen der USA werden, müssen der Trump-Regierung Alternativen angeboten werden.

Die Europäer könnten dazu eine große Freihandelszone vorschlagen, in der sich die Hochlohnländer nach dem Vorbild der alten EWG (Zollfreiheit im Inneren der Gemeinschaft, Schutzzölle nach außen) „vereinigen“ könnten. Das Thema TTIP ist mit Trump Geschichte, doch eine echte Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft – eventuell erweitert um Japan und Südkorea – könnte auch die Brexit-Frage lösen. Diese Schutzzollregion (Trump/EWG-TTIP) könnte dann mit Niedriglohnländern oder -regionen faire Handelsverträge abschließen, wobei durch entsprechende Einfuhrzölle die Chancengleichheit der Produzenten (gegenüber Dumpinglöhnen) gewährleistet werden kann. Dabei könnten bestimmte Produkte (oder Kontingente) auch weitgehend zollfrei bleiben. Die Zolleinnahmen könnten auch Steuersenkungen finanzieren.

Trump wirft China zudem einen zu niedrigen Wechselkurs vor, der die Exporte aus dem Reich der Mitte zusätzlich beflügelt. Deutschland lieferte 2016 Waren im Wert von 106,9 Milliarden Euro in die USA – umgekehrt waren es nur 57,9 Milliarden. Die deutschen Exportüberschüsse seien „Ausdruck hart erarbeiteter Wettbewerbsstärke“, argumentiert der CDU-Wirtschaftsrat – das stimmt aber leider nur teilweise.

Denn „gleichzeitig tun der niedrige Ölpreis und die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank ein Übriges, um Exporte aus Deutschland zu begünstigen“, wie Steiger ehrlicherweise zugibt. Die USA werden die schleichende Euro-Abwertung nicht mehr länger hinnehmen. Eine Aufspaltung der Eurozone wäre daher auch in Trumps Sinne. Denn mit einem harten Nord-Euro oder einer neuen D-Mark könnten die Deutschen wieder mehr US-Firmen und -produkte kaufen oder in Amerika billig Urlaub machen – und so ganz ohne staatlichen Zwang die transatlantische Leistungsbilanz ausgleichen.