© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/17 / 14. Juli 2017

Der Wachhund ruht in Frieden
Nachruf: Joachim Kardinal Meisner war ein glaubensfester Verkünder der christlichen Botschaft
Matthias Matussek

Von Joachim Kardinal Meisner, diesem tieffrommen, unbeirrbaren und unbeirrten, diesem einfachen und fröhlichen Nachfolger Jesu, und seinem Kirchenverständnis Abschied zu nehmen, fällt in diesen Tagen besonders schwer. Er stand, wo alles im Zeitgeist zerfloß. Er grub die Hacken ein, wo andere sich davonschlichen. 

Er war im schönsten Sinne eine Zumutung. Ich traf ihn nach der Kardinalsweihe meines Freundes Paul Josef Cordes und alberte für einen meiner Videoblogs herum. Kurz zuvor hatte er die leicht erregbare linksgrüne Trampelherde des deutschen Feuilletons gegen sich aufgebracht, weil er anläßlich der Eröffnung des Erzbischöflichen Diözesanmuseums davon gesprochen hatte, daß eine Kunst, die sich vom Kultus entfernt hat, „entartet“ sei. Besonders in einem kirchlichen Museum.

Ich drohte ihm mit dem Finger. „Lieber Herr Kardinal“, sagte ich, „das Wort ‘entartet’ dürfen Sie nie wieder sagen, denn das stammt aus dem Wörterbuch des Unmenschen“. Er lachte und erklärte mir sehr schlüssig, daß er ganz sicher ein anderes Wort hätte wählen sollen, „abgekoppelt“ etwa, denn für ihn gehörte der Kult, der Gottesbezug unbedingt zur Kunst. Mit anderen Worten: Dieser Seelsorger war völlig aus der Welt gefallen, wobei ich schon damals den Eindruck hatte, daß die Welt von ihm abgefallen war.

Dieser Hirte, der am 25. Dezember 1933 in Beslau zur Welt kam, das Dritte Reich durchlitten hatte und schließlich vertrieben wurde, spätberufen dann ins Priesterseminar, schließlich Philosophie in Erfurt, Kaplan in Heiligenstadt, Bischof in Erfurt, im Eichsfeld dann für einen Kirchentag von 100.000 DDR-Katholiken verantwortlich – was für eine glaubensfeste seelsorgerische Machtdemonstration gegen das Regime.

Er wurde von Papst Johannes Paul II. geschätzt, sie waren befreundet. Im April 1980 ernannte er Meisner zum Bischof von Berlin.

Meisner folgte. Er nahm an, was immer ihm der Papst auftrug. Und der wollte ihn 1989 in Köln haben. Die Kölner protestierten. Großer Aufschrei. 

Meisner, dem „Wachhund Gottes“, ging dieser orthodoxe Ruf voraus. Er passe nicht zum fröhlichen rheinischen Katholizismus, hieß es. Ach ja? Natürlich setzte sich der polnische Löwe durch, Meisner stand im Kölner Dom und sagte: „Ich habe euch nicht gewollt, und ihr habt mich nicht gewollt, das ist eine Gemeinsamkeit, auf der man aufbauen kann.“ Und die Gemeinsamkeit hielt 25 Jahre lang an. 

Er nahm an den Konklaven zur Papstwahl von Benedikt XVI. und Franziskus teil. Und er machte aus dem Erzbistum Köln eine Bastion des Glaubens und der Geradlinigkeit, mochten auch noch so viele Theologen protestieren oder protestiert haben, etwa mit der „Kölner Erklärung“, die ihn und den autoritären Führungsstil von Johannes Paul II. kritisierte, in einem Manifest, das unter anderem die Hellsichtigkeit enthielt, auch im Marxismus Heilsgedanken zu entdecken und mit dem kommunistischen Regime noch Jahre rechnen und auskommen zu müssen. Sechs Monate später fiel die Mauer.

Ach, und da gab es natürlich andere, die ihn, aus der Mitte ihres gelungenen und geradlinigen Lebens heraus kritisierten, wie Volker Beck von den Grünen, der ihn einen „Haßprediger“ nannte. Dabei hatte Meisner nie ein Wort über Crystal Meth verloren, diese Substanz kannte der schwer schuftende Arbeiter im Weinberg des Herrn sicher gar nicht.

Kardinal Woelki, sein merkwürdig schwankender und zeitgeistbiederer Nachfolger, berichtet, Meisner sei mit einem Gebetbuch in der Hand friedlich in seinem Urlaubsort Bad Füssing eingeschlafen. „Von der einen Hand Gottes in die andere gewechselt.“ Kardinal Marx, sein Nachfolger als Chef der Bischofskonferenz, rühmte seine Frömmigkeit „und die Leidenschaft, für die Botschaft Christi einzutreten“. Womit er recht hat. Einer wie Meisner hätte nie sein Kreuz versteckt. In einem an die Nieren gehenden geistlichen Testament von 2011 dankt er Jesus dafür, daß er ihn „berührt“ hat. „Christus, an dir halt ich fest/ mit der ganzen Kraft meiner Seele:/ dich Herr, lieb’ ich allein-/ suche dich, folge dir nach.“

Allerdings war er in letzter Zeit in großer Sorge um die Kirche. Mehrere Gesprächspartner bezeugen das. So  gehörte Meisner zu den Unterzeichnern der „Dubia“ über die Kommunion von Wiederverheirateten, die Papst Franziskus bisher nicht beantwortet hat.






Matthias Matussek arbeitete von 1987 bis 2013 beim Spiegel, danach für die Welt. Heute schreibt er als freier Autor unter anderem für die Weltwoche (Zürich).

 www.matthias-matussek.de