© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/17 / 14. Juli 2017

Wahrnehmung der anderen Art
Kritik an einer deutschen Selbstviktimisierung
Konrad Faber

Bekümmert nahm der 2014 verstorbene israelische Historiker Gilad Margalit zur Kenntnis, daß selbst in Israel ein „Diskurs universalen Leids“ eingedrungen ist. Ausgerechnet am Holocaustgedenktag wagte ein privater Fernsehkanal, einen Film über den Atombombenabwurf auf Hiroshima auszustrahlen. 

Das deutsche Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkriegs, welchem vorliegende historische Studie gewidmet ist, hat für Margalit deshalb immer wieder einen nationalistischen Beigeschmack. Egal ob es um die Diskussion über „Flucht und Vertreibung“ geht oder um die Opfer des Bombenkriegs, alles diene nur einer „Viktimisierung“ der Deutschen und folglich einer Selbstentschuldung. 

Auf der anderen Seite spricht Margalit vielen Deutschen ein echtes Mitgefühl für die Holocaustopfer ab, die dafür lieber ihrer eigenen Kriegsopfer gedenken würden. Zwar könnte die Zunahme der Anzahl von jüdischen Vornamen für deutsche Kinder in den achtziger und neunziger Jahren darüber hinwegtäuschen, doch anhand vieler Zitate von deutschen Politikern, sowohl aus der Bundesrepublik wie aus der DDR, sucht Gilad Margalit deren kühles, sehr nüchternes Verhältnis zu den Opfern des Holocaust nachzuweisen. Dabei geht er weit in die bundesdeutsche Geschichte zurück und nennt als Beispiel sogar Bundespräsident Theodor Heuss. Der habe den 1946 in Nürnberg verurteilten Konstantin von Neurath nach seiner Haftentlassung 1954 „als Märtyrer begrüßt“. Aktuell muß ausgerechnet der Münchner Historiker Christian Hartmann als Beleg herhalten. Dieser weise in seinen Werken über den Judenmord in der Sowjetunion zwischen 1941 und 1944 die Tendenz auf, die Zahl der an NS-Verbrechen beteiligten Soldaten als vergleichsweise gering darzustellen. 

Als positives Beispiel, die Geschichte anders zu deuten, dient Margalit die DDR. So gelang der SED-Regierung mit ihrer rigorosen „Umsiedler“-Politik, die aus Rücksicht auf die sozialistischen Bruderstaaten Polen, CSSR und Sowjetunion eine Aufarbeitung der Vertreibung von 1945 unterdrückte, eine „schnelle Integration“, während die Bundesrepublik mit ihrer „völkischen“ Anschauung von „Flüchtlingen und Vertriebenen“ deren Status perpetuierte. 

Gilad Margalit: Schuld, Leid und Erinnerung. Deutschland gedenkt seiner Toten im Zweiten Weltkrieg. Nomos Verlag, Baden-Baden 2016, gebunden, 419 Seiten, Abbildungen, 79 Euro