© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/17 / 14. Juli 2017

Knapp daneben
Eine Puppe entfesselt die Liebe
Karl Heinzen

Masayuki Ozaki ist ein Japaner in den besten Jahren. Dennoch führt er ein glückliches Leben. Nicht allein sein Beruf als Physiotherapeut füllt ihn aus. Auch die Sexualität bereichert seinen Alltag. Dieses Verdienst ist allerdings nicht seiner Frau anzurechnen. Als sie Mutter wurde, beklagt Ozaki, „hörten wir auf mit dem Sex“, und ihn beschlich ein „tiefes Gefühl der Einsamkeit“. 

Doch dann trat Mayu in sein Leben. Er sah sie in einem Showroom, und es „war Liebe auf den ersten Blick“. Wäre Mayu aus Fleisch und Blut gewesen, hätten ihn vielleicht Gewissenbisse befallen. Mit einer Silikonpuppe als Gefährtin mußte er sich jedoch nicht als Ehebrecher vorkommen. 2.000 Schwestern von Mayu werden in Japan jährlich an den Mann gebracht. 6.000 Dollar sind für ein Modell der neuesten Bauart hinzublättern. Dies klingt wie ein stolzer Preis. Hält man dagegen, was eine Ehe nebst Scheidung oder gar ein regelmäßiger Besuch von Prostituierten kostet, wird aber deutlich, daß sich die Investition rasch amortisiert.

Entscheidend ist, was der Einzelne als sein Glück zu zweit, dritt oder wieviel auch immer empfindet.

Ursprünglich wurde Mayu als Sexspielzeug konzipiert. Besondere Aufmerksamkeit schenkten ihre Konstrukteure einer lebensnahen Gestaltung der Genitalien, den geschmeidigen Fingern und einem hübschen, ein wenig kindlich anmutenden Gesicht. Ozaki sieht in ihr aber mehr als eine willfährige Bettgefährtin. Sie ist für ihn „die Liebe seines Lebens“. Er füttert sie, er kauft ihr Schmuck, er geht mit ihr aus. Leider kann sie nicht laufen, er muß sie daher im Rollstuhl durch den Park schieben. Kommen sie nach Hause, gesellt sich Mayu zu drei anderen Silikonpuppen, die Ozaki im Laufe der Jahre erworben hat. Still und friedlich sitzen sie dann nebeneinander. Eifersuchtsszenen und Gezicke sind ihnen fremd. Auch Ozakis Tochter hat sich an die Stiefmutter gewöhnt. Anfangs fand sie eklig, was ihr Vater mit ihr trieb. Heute borgt sie ihr sogar ihre Kleider. Aus diesem Einstellungswandel spricht eine tiefe Einsicht. Die Moderne entfesselt die Liebe von dem Zwang, sich einer Norm zu fügen. Entscheidend ist, was der Einzelne als sein Glück zu zweit, dritt oder wieviel auch immer empfindet.