© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/17 / 21. Juli 2017

Teure Fallstricke lauern
Roaming-Verordnung: Die Mobilfunknutzung im EU-Ausland wird billiger – aber nicht immer und für jeden
Heiko Urbanzyk

Pünktlich zu den Sommerferien telefonieren und surfen wie in Deutschland? Ja, aber Kunden müssen aufmerksam prüfen. „Roam like at home“ oder das sogenannte Roaming ist in aller Munde. Nach den Boulvard-Schlagzeilen beginnt dank EU das große Sich-reich-Sparen. Freude kommt auf, denn die Deutschen sind in ihren ganz profanen Lieblingsdisziplinen betroffen: Urlaub, Mobilfunknutzung, und das alles gleichzeitig und möglichst günstig.

Telefonate von Deutschland ins EU-Ausland weiter teuer

Roaming bedeutet wörtlich umherziehen und wird im Telefonbereich frei übersetzt mit „Surfen, simsen, telefonieren wie zu Hause“. Wer sich nun darauf verläßt, der von der EU-Kommission als großer Wurf gefeierte und nach zehn Jahren Verhandlung erzielte Coup bringe das sorgenlose Telefonieren auf Ibiza, in der Toskana oder der Bretagne zum Preis des deutschen Mobilfunkvertrages mit sich, der irrt sich. Der Grundsatz lautet: Bei der Reise in EU-Mitgliedsländern gilt der deutsche Mobilfunk- und Internettarif aus dem Vertrag mit dem heimischen Anbieter. Das Problem sind die Ausnahmen sowie technische Umstände.

Erster Fallstrick: Telefonate von Deutschland ins EU-Ausland sind von der Neuregelung gar nicht umfaßt. Wer von Deutschland nach Spanien oder Großbritannien telefoniert, zahlt gewohnt hoch. Würde er dieselben Telefonate mit seiner deutschen SIM-Karte von dort nach Deutschland führen, hätte er den günstigen Inlandstarif. „Das ist das Knifflige und das Unbefriedigende an der Neuregelung“ und bleibe ein großes Ärgernis, meint Isabelle Buscke, aus dem Brüsseler Büro der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV).

Zweiter Fallstrick: Der Tarife-Dschungel blüht. Attraktiv billige Deutschland-Tarife schließen neuerdings Auslandstelefonate aus. Technisch funktioniert das so, daß sich das Handy mit entsprechender SIM-Karte im Ausland schlichtweg in kein Netz einwählen kann. Immerhin: Vor unerwarteten Kosten schützt das im Gegensatz zu überteuerten Auslandstarifen im Kleingedruckten. Computer Bild fand Anbieter wie Drillisch oder Callmobile, die im Angebot zwischen den Deutschland- und EU-Tarifen trennen.

Wer im Urlaub zum Inlandstarif kommunizieren möchte, muß ein Vertragsmodell wählen, das drei bis zehn Euro mehr im Monat kostet. Werbe-Graphiken von Callmobile weisen jedoch vor Vertragsschluß durch Kennzeichnung mit Schwarz-Rot-Gold oder EU-Fahne sowie weiteren Schlagworten deutlich auf die feinen Unterschiede hin. Die Verbraucherzentrale findet die Nur-in-Deutschland-Tarife in Ordnung, weil nicht jeder im Ausland telefonieren möchte. Allen anderen wird geraten: „Achten Sie beim Abschluß eines Vertrags darauf besonders!“

Dritter Fallstrick: Die getrennten Sondertarife und insbesondere die Tariferhöhung für EU-Roaming umgehen völlig legal die neue EU-Regelung, nach welcher Preisaufschläge aufgrund Roaming auf Antrag behördlich zu genehmigen sind – falls die Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen.

Warum Preisaufschläge für Roaming-Gebühren? Hintergrund der höheren Gebühren war bisher, daß der deutsche Mobilfunkanbieter A zum Beispiel den portugiesischen Mobilfunkanbieter C dafür vergüten mußte, daß der deutsche Kunde von A im Portugal-Urlaub das Netz von C nutzt. Diese Roaming-Großhandelspreise liegen etwa fürs Internet derzeit zwischen 7,70 Euro und 8,50 Euro pro Gigabyte Datenvolumen. Diese Kosten, die sich die Anbieter gegenseitig in Rechnung stellten, wurden an den Endverbraucher weitergegeben. Die neue EU-Verordnung schafft die Abrechnung der gegenseitigen Netznutzung unter den Anbietern jedoch nicht ab und deckelt diese nicht. Lediglich die Weitergabe der unveränderten Kosten an den Endkunden wird gedeckelt. Den heimischen Anbieter kann dies unter wirtschaftlichen Druck setzen. Daher dürfen nach Informationen der Bundesnetzagentur „von Mobilfunkbetreibern Aufschläge erhoben werden, wenn diese ihre Kosten zur Bereitstellung regulierter Roamingdienste nachweislich nicht decken können und belegen, daß durch die Bereitstellung von Roamingdiensten zu Inlandspreisen ihr inländisches Entgeltmodell bedroht ist“.

Keine Dauernutzung ausländischer SIM-Karten

Werde ein solcher Nachweis durch einen Mobilfunkanbieter erbracht, könne die jeweilige nationale Regulierungsbehörde dem entsprechenden Mobilfunkanbieter auf Antrag gestatten, ausnahmsweise zur Kostendeckung entsprechende Roamingaufschläge zunächst über einen Zeitraum von zwölf Monaten zu erheben. „Pauschale Preiserhöhungen inländischer Preise für Mobilfunkdienste sind nicht Gegenstand eines solchen Verwaltungsverfahrens.“ Es müssen handfeste wirtschaftliche Probleme für den Anbieter ins Haus stehen.

Vierter Fallstrick: Die „Fair Use“-Regelung, also der Anspruch des Anbietermarktes, die Kunden werden die Nutzung des Roam-like-at-home-Prinzips nicht mißbrauchen bzw. angemessen nutzen. Es soll verhindert werden, daß Verbraucher in einem Land leben, aber einen günstigeren Vertrag eines anderen EU-Landes dauerhaft oder ausländische Billig-Prepaid-Karten nutzen.

„Sollte der Verbraucher innerhalb von vier Monaten mehr Zeit im EU-Ausland verbringen und in dieser Zeit mehr telefonieren, SMS schreiben oder surfen als im heimatlichen nationalen Netz, können nach 14tägiger Warnfrist Extra-Gebühren auferlegt werden (maximal 3,2 Cent pro Minute des Anrufs und ein Cent pro SMS)“, warnt Franka Kühn von der Verbraucherzentrale. Das Fair-Use-Prinzip war von Verbraucherschützern sowie Mobilfunkanbietern gleichermaßen gewünscht. Die Beweislast für den Mißbrauch liegt beim Anbieter. Vertragliche Datenlimits für die Internetnutzung im Ausland sind ebenso erlaubt. 

Fünfter Fallstrick: Verbraucher müssen daran denken, daß die EU-Roaming-Verordnung allein in den EU-Mitgliedsstaaten und Norwegen, Island und Liechtenstein umgesetzt wird. Für die Schweiz, die Isle of Man, die britischen Kanalinseln, San Marino, Andorra und Monaco gelten die Regeln ebensowenig wie für das beliebte Urlaubsland Türkei – trotz Nähe zur EU.

Wer in Grenzgebieten reist oder von Deutschland nach Italien durch die Schweiz, riskiert, daß sich das Handy zufällig in ein Funkgebiet einwählt, das keine Roaming-Vorteile bietet. Gebühren-Info-SMS des heimischen Netzbetreibers sind besonders aufmerksam zu lesen, bevor in diesen Situationen zum Telefon oder Internet gegriffen wird.

Auch im Flugzeug und auf Kreuzfahrt kann der günstige Inlandstarif nicht genutzt werden; denn es handelt sich um eine Regelung, die allein auf dem Festland gilt. Auf Kreuzfahrten sollten Urlauber sich daher besser anrufen lassen. 

Aufpreise und Sondertarife sind von Anbietern wie Telekom und Vodafone nicht zu erwarten, wie das Handelsblatt aus den Konzernen erfuhr. Telefónica Deutschland (O2) hält sich höhere Preise offen. 2016 hätte bereits s die einerzeitige Teilregulierung der Roaming-Gebühren aufgrund der Durchleitungsentgelte an die ausländischen Anbieterkollegen zu 35 Millionen Euro Gewinnrückgang geführt. Telekom, Vodafone und O2 haben die neue EU-Roaming-Verordnung aber schon längst eingepreist – also letztlich doppelt kassiert durch entsprechend höhere Inlandspreise für den Roaming-Ernstfall bei noch praktizierten möglichst hohen Auslandspreisen.

Ak­tu­el­le Ro­aming-Re­ge­lun­gen in der EU:  www.bundesnetzagentur.de