© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/17 / 21. Juli 2017

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Glastonbury I: Abgesehen von den Massen, die zu dem berühmten Rockfestival in der englischen Grafschaft Somerset kommen, ist die kleine Stadt bis heute ein Anziehungspunkt für jeden, der auf den Spuren von König Artus wandelt oder irgendwie „spirituell“ unterwegs ist. Letztere Gruppe überwiegt, was die Atmosphäre in der Stadt erklärt, auch den süßlichen Duft, der einem dauernd entgegenweht, die leicht oder schwer verklärten Blicke der Passanten und die Tatsache, daß die Hauptstraße vor allem Geschäfte mit esoterischem Angebot beherbergt, Buchhandlungen, Heilungszentren sowie Cafés, in denen alles „bio“ ist. Schlimmstenfalls besteht sowohl der Käse auf der Pizza wie die Milch im Kaffee aus einer Verarbeitung des Cashewkerns.

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Die weltliche Heiligsprechung Simone Veils scheint nichts aufhalten zu können. Aber vielleicht gibt doch zu denken, daß sie als Kabinettsmitglied daran beteiligt war, Giscard d’ Estaings Plan einer Rückführung von 500.000 Nordafrikanern zu hintertreiben und 1975 auf die Frage, was sie durch das von ihr etablierte Recht auf Abtreibung bewirken wollte, geantwortet hat: „Mit der Änderung des geltenden Gesetzes kann man das Modell des menschlichen Verhaltens fundamental verändern. Das fasziniert mich.“

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Glastonbury II: Sehr viele Suchende sind weiblichen Geschlechts, in der Regel über vierzig, viele Deutsche, viele aus dem Schwäbischen. In den Unterhaltungen, die sie ganz ungezwungen und in voller Lautstärke führen, geht es um „innere Schönheit“ und die Befreiung vom Beauty-Wahn durch unrasierte Achseln, um irgendwelche körperlichen, aber vor allem um seelische Gebrechen. Man hat schon alles Mögliche ausprobiert, jede Meditation durch, führt selbstverständlich ein Pendel mit und hat es vor allem auf die „Kraftlinien“ abgesehen, die berühmt sind. An der Quelle, die dort entspringt, wo Josef von Arimathia den Gral verborgen haben soll, sitzt eine Schamanin, natürlich barfuß – um den Kontakt mit Mutter Erde nicht zu verlieren – und führt seelsorgerliche Gespräche und das alles in einem Tonfall, von dem man geglaubt hatte, daß er seit den achtziger Jahren tot sei.

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Angst vor dem Beifall von der falschen Seite ist ein sicheres Zeichen geistiger Mittelmäßigkeit.

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Glastonbury III: Man sollte eine Untersuchung über die religiösen Folgen von Fantasy-Bestsellern anstellen. Ganz wichtig wären da die Auswirkungen von Marion Zimmer Bradleys „Die Nebel von Avalon“. Seit ihrem ersten Erscheinen im Jahr 1982 ist diese Bearbeitung des Artusstoffes endlos nachgedruckt worden. Ein Grund für den Erfolg war der modische Feminismus, ein zweiter die Verankerung in der keltischen Tradition, ein dritter die Verbindung mit Glastonbury, das Bradley als Überrest Avalons deutet. Das hatte und hat zur Folge, daß die ganze esoterische Szene der Stadt eine ausgesprochen weibliche Schlagseite aufweist. Natürlich gibt es im Zentrum eine Statue „der Göttin“ und einen „Tempel“ sowie einen Veranstaltungssaal – „Das Haus der Göttin“ – mit violett gestrichener Tür, und selbst im Garten um die erwähnte Quelle hocken in allen möglichen Ecken Statuen, die wie eine Kreuzung aus Maria mit dem Kind und einem finsteren chthonischen Fruchtbarkeitsdämon wirken.

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Großbritannien hat die alten Fünfpfundnoten endgültig aus dem Verkehr gezogen. Die neuen zeigen Churchill auf der Rückseite, dazu seine berühmte Redewendung: „I have nothing to offer but blood, toil, tears and sweat.“

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Glastonbury IV: Etwas zurückgesetzt liegt der Eingang, offenbar ein ehemaliges Geschäft, aber jetzt der „Tempel des Katharismus“. Als Repräsentantin der wiedererstandenen Ketzer schwebt eine ältliche Frau durch die Räume, sehr ätherisch, an der Grenze zur Magerkeit, in irgend etwas Wallend-Blaßrotes gehüllt. Sie kommt nach kurzem auf die einzigen Besucher zu. Die ausdruckslose Miene belebt sich, als sie ihnen erläutert, daß der Katharismus die älteste Religion der Menschheit sei, aber die Katharer selbst gar keine Menschen, sondern reiner Geist, der sich nur gnädigerweise den Sterblichen zuwende, um sie zu erlösen. Den kurzen Einwand, der historische Katharismus sei vernichtet worden durch den Kreuzzug der mittelalterlichen Kirche und die massenhafte Verbrennung der Häretiker, wischt sie beiseite mit der Erklärung, natürlich habe das Feuer den Katharern nichts anhaben können, da sie gar keine Körper wie andere Menschen hatten, sie seien lediglich in eine andere Dimension übergegangen. Damals sei die Welt noch nicht bereit gewesen für die Botschaft des Katharismus, aber jetzt sei sie bereit. Katharer hätten lange schon die entscheidenden Funktionen in Staat und Wirtschaft übernommen. An der Stelle nickt man noch kurz, wirft einen letzten Blick auf den etwas schäbigen Raum und wendet sich schleunigst zum Gehen.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 11. August in der JF-Ausgabe 33/17.