© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/17 / 21. Juli 2017

Boten aus der Unterwelt
Ausstellung: Bilder von Otto Marseus van Schrieck im Schweriner Museum
Fabian Schmidt-Ahmad

Selbst Fachleuten der Barockmalerei ist Otto Marseus van Schrieck kaum mehr als eine Notiz. Erfinder des sogenannten Waldstillebens ist er, bei dem der Bodenbereich, meist am Fuße eines großen Baumes, zur Bühne wird. Doch bereits die italienische Bezeichnung sottobosco, die nicht nur Unterholz, sondern auch Unterwelt heißen kann, deutet etwas Dämonisches an. Einer tieferen, verborgenen Ebene im Werk Marseus’ geht die Ausstellung „Die Menagerie der Medusa“ des Museums Schwerin nach.

Marseus Herkunft bleibt weitgehend dunkel. Um 1620 in Nimwegen geboren, reist er 1648 nach Italien, wo ihm eine erfolgreiche Malerkarriere gelingt. Rund zehn Jahre später läßt er sich in Amsterdam nieder. Nach seinem Tod 1678 findet sich im Nachlaß auch ein, heute verschollenes, Bildnis der Medusa. Der Blick auf das Antlitz mit dem Schlangenhaar soll der Sage nach jeden Sterblichen augenblicklich zu Stein erstarren lassen. Ihr namenloser Schrecken, ein beliebtes Kunstmotiv des Barocks, doch bei Marseus ist es mehr.

Tatsächlich spielt die Schlange bei Marseus eine zentrale Rolle. Daneben andere Reptilien, Lurche, Insekten, stets mit zoologischer Exaktheit dargestellt. Gewiß, Marseus war nicht der erste und einzige, der seine Stilleben bevölkerte. Beispielsweise belebte Balthasar van der Ast seine Blumenbilder mit Schmetterlingen, dienten ihm Fliegen als Symbol der Vergänglichkeit. Doch bei Marseus wurde dieses Randmotiv zur Obsession. Terrarien mit zahlreichen Bewohnern hielt er sich sowohl in Rom wie Amsterdam. Hier, in der Beobachtung, wird der Maler zum Wissenschaftler, der sich inmitten einer Aufbruchsstimmung wiederfindet. Das Mikroskop, gerade erfunden, wurde von Marseus’ forschenden Kollegen, wie dem Amsterdamer Stadtrat Johann Hudde, stetig verbessert. Plötzlich stand das bisher Übersehene in der Welt groß vor einem: prächtige Grashüpfer, mächtige Käfer. Der Maler auf der Jagd nach Motiven, der Wissenschaftler, der Entdeckungen durch Zeichnungen vermitteln will – hier finden sie zu einer Synthese.

Der Mensch scheint nicht zu existieren

Doch die zahlreichen Insekten und Reptilien, die in Marseus Wimmelbildern zur Hauptfigur werden – die damit strenggenommen nicht zu den Stilleben gehören – sind nur auf den ersten Blick reiner Ausdruck wissenschaftlichen Fortschritts. Unverkennbar ist der morbide Hang, der Marseus’ Werke durchzieht. Fliegen, Salamander, Schlangen, Pilze – alles das sind überkommene Ingredienzien der Hexenküche. Doppeldeutig ist Marseus. Sein Künstlername „van Schriek“ heißt im Niederländischen „von Schrecken“.

Angst und Schrecken sind es, den die Boten aus der Unterwelt verbreiten. Wo sie auftauchen, künden sie von Krieg und Seuchen, Unglück und Tod. Hier wird die Funktion Marseus’ ersichtlich und die Wirkung, die er auf das Publikum hatte. Perseus konnte sich der Medusa nur mittels eines Spiegelbilds nähern. Diesen Rat gab ihm Athene, Göttin der Wissenschaft. Mit der Wissenschaft im Rücken nähert sich Marseus der grausigen Unterwelt. Er will sie bändigen, dem Publikum zugänglich machen.

Ausstellungskurator Gero Seelig wies darauf hin, daß auffallend oft die Schlangen Marseus’ Faltern nachstellen. Tatsächlich käme dies in der Natur kaum vor, während der Schmetterling tradiertes Symbol der menschlichen Seele sei. Ergänzend mag auch auf den beständigen Überlebenskampf hingewiesen werden, den Marseus thematisiert. Schlangen und Eidechsen, ein Titanenkampf der Winzlinge. Stilmittel barocker Dramatik, die es mit der wissenschaftlichen Exaktheit nicht übertreiben will? Oder doch etwas anderes?

In Marseus’ Werk scheint der Mensch praktisch nicht zu existieren. Eine menschliche Gestalt, ein Gesicht, ist in den rund 150 überlieferten Arbeiten kaum festgehalten. Nicht einmal menschlichen Kulturerzeugnissen räumt er einen Stellenwert ein, was für einen Stillebenmaler bemerkenswert ist. Aber doch, so betrachtet, kommt der Mensch durchaus vor. Die Darstellung der Unterwelt, es ist die eigene Unterwelt, mit welcher der Betrachter konfrontiert wird. Und der Schrecken, den diese Konfrontation auslöst.

Die Ausstellung „Die Menagerie der Medusa. Otto Marseus van Schrieck und die Gelehrten“ ist bis zum 15. Oktober in der Galerie Alte & Neue Meister Schwerin, Alter Garten 3, täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr zu sehen. Der Ausstellungskatalog kostet 39,90 Euro.

 www.museum-schwerin.de