© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/17 / 21. Juli 2017

Rosa Glitzerstaub für alle
Vom Fabelwesen zur Werbefigur: Einhörner tummeln sich mittlerweile in Innenstädten und Supermarktregalen
Verena Rosenkranz

Es ist auf Schokoladenverpackungen, Ketchuptuben, Bierdosen, Toilettenpapier und in sozialen Netzwerken zu finden. Längst tummelt sich das Einhorn nicht mehr nur in Kinderphantasien und Zeichentrickfilmen als zauberhaftes Fabelwesen. Plakativ ruft es zum Kauf von verschiedenen Produkten auf oder mahnt sogar gegen „Hatepeech“ im Internet. Allerdings ist die Zielgruppe keineswegs eine Meute von Kinderzimmerprinzessinnen, sondern erwachsene Bürger jeglichen Geschlechts. Die Hersteller versuchen es zumindest, und erreichen dabei vor allem metrosexuelle Menschen auf ihrem Weg zur Bewältigung schwerer Kindheiten oder ins Erwachsenwerden.

Nicht bloß vorurteilsbehaftete Theorie, wie auch die Juniorprofessorin für Literatur des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit an der Universität Kiel, Julia Weitbrecht, gegenüber shz.de bestätigte. „Auch in der Queer-Szene sind sie ein wichtiges Symbol. Einhörner stehen jenseits der Grenzen, und sie bieten die Möglichkeit, sich außerhalb zu erfinden“, versucht sie die Faszination zu beschreiben.

Als Toleranzsymbol sogar im staatlichen Dienst

Ein glänzend weißes Fell, eine pinke Mähne, auch der Regenbogen kann nicht weit sein. Ebenso wie eine kreischende Schar von Grundschulmädchen. Oder eben Erwachsene, die von sich selbst zumindest behaupten, mitten im Leben zu stehen. In Wirklichkeit standen sie Schlange im Webshop, um die mit Lebensmittelfarbe kolorierte Himbeerschokolade von Rittersport zu erwerben. Binnen 24 Stunden war der normalerweise für ein bis zwei Euro erhältliche Stimmungsaufheller ausverkauft, und die begehrten Einhorn-Tafeln wurden auf Ebay für mehr als 20 Euro feilgeboten. Völlig nebensächlich, wie das Produkt schmeckt, es ist pink, ein Einhorn auf der Verpackung – und alle wollen es haben, ein Stück eßbare Hoffnung. Denn genau das verkörpert das Pferd mit dem Horn bereits seit Jahrhunderten. Es ist Bestandteil von Sagen, ziert Wandteppiche, wurde von Minnesängern gefeiert und von Glücksrittern gejagt. Bis heute sind sie fester Bestandteil von Gute-Nacht-Geschichten – oder eben auch Begleiter auf der Flucht vor der Realität.

Während die süße Verführung zumeist Mädchen und Frauen anspricht, hat sich Wiens größte Brauerei noch einen Schritt weiter gewagt. In einer Sonder­edition bot Otterkringer eine Zeitlang Dosenbier samt Einhorndruck darauf. Um die Zahl der weiblichen Konsumenten zu steigern, Ironie oder einfach nur den allgemeinen Hype um das Fabelwesen mitzumachen? Hipster, Überlebenskünstler und solche die sich dafür hielten trugen den Gerstensaft jedenfalls ohne Scham durch die Donaumetropole. Vorbei an Opernhaus, Burgtheater und Hofburg, wo ihre Geschlechtsgenossen einst wahrlich Großartiges schufen und wahrscheinlich nicht einmal Sigmund Freud an Einhörner dachte.

Heute ist das glitzernde Traumtier allgegenwärtig: neben Schokolade und Bier besonders im Internet. Bei den Emojis, also den kleinen Bildchen auf der Tastatur, steht das Tierchen längst neben lachenden oder traurigen Smileys. Selbst die Bundesregierung hat mit Steuergeldern extra ein Doppeleinhorn als Moralapostelchen gegen „Haßsprache und Hetze im Internet“ erfunden. Der Schuß ging allerdings nach hinten los und brachte seinen Erfindern, dem MedienNetzwerk SaarLorLux, anstatt Glitzerstaub nur Häme und ausgerechnet etliche boßhafte Wortmeldungen ein. Vielleicht weil es nicht mehr als vermeintliches bunt-liberales Symbol taugt, sondern längst in der Mitte der Gesellschaft wie der Werbeindustrie angekommen ist. Einhörner finden sich auf Toilettenpapier, Speiseeis und Schlauchbooten oder wanken als Kostüme durch den Karneval und den Junggesellenabschied. Ein Getränkehersteller hat sein undefinierbares Getränk erst kürzlich ironischerweise „Einhornkotze“ getauft und löste damit wohl eher unabsichtlich einen enormen Ansturm auf seinen Smoothie aus. Ein ostdeutscher Fleischbetrieb zog nach und wagte mit einer Einhorn-Bratwurst eine noch unvorstellbarere Kreation. Angesichts dieser Wandlung von der Märchenfigur zum abgedroschenen Werbemotiv ist es kein Wunder, daß der linke Spiegel-Jugend-ableger Bento den Einhorn-Hype am liebsten für beendet erklären möchte.