© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/17 / 28. Juli / 04. August 2017

Sie ist wieder da
Die Rückkehr der Asylkrise läßt sich nicht länger aus dem Wahlkampf heraushalten
Michael Paulwitz

Der Elefant im Raum läßt sich nicht länger unterm Teppich verstecken. Die Asylkrise ist zurückgekehrt in das öffentliche Bewußtsein und in den Bundestagswahlkampf. Aus der Realität war sie ohnehin nie verschwunden. Die Politik und die ihr ergebenen Medien haben lediglich keine Verrenkung gescheut, um die eigenen Augen und die der Bürger ganz fest zuzudrücken.

„Eine Situation wie im Jahre 2015 soll und darf sich nicht wiederholen“ – mit dieser banalen Ansage will das Wahlprogramm von CDU und CSU mißtrauische Bürger einlullen. Falls damit gemeint war, lediglich die Bilder endloser Migrantenkolonnen zu vermeiden, die den Kontrollverlust vor aller Augen offenbart haben, schien dies sogar gelungen – vor allem weil die Anrainerstaaten der 2015 zu trauriger Berühmtheit gelangten Balkanroute diese abgeriegelt hatten.

Sie taten dies, allen voran Ungarn, gegen den ausdrücklichen Willen und unter bis heute anhaltender Kritik aus Brüssel und seitens der deutschen Politik, und sie handelten auf eigene Initiative und Kosten im Sinne des im EU-Vertragsrecht geforderten Schutzes der EU-Außengrenzen. Ohne dafür Dank oder etwas von jener „europäischen Solidarität“ zu erhalten, in deren Namen man ihnen zumuten will, einen Teil der gegen ihren Willen eingeschleusten Migrantenströme aufzunehmen.

Die Atempause, die die mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten den „Moralimperialisten“ in Brüssel und Berlin damit verschafft haben, ist längst vorüber. Die illegale Einwanderung aus Afrika und dem Mittleren Osten nach Europa hat sich andere Kanäle gesucht. Über das Mittelmeer ergießt sich von Libyen aus nach wie vor eine stete Flut illegaler Migranten nach Europa.

Ja, die „Beteiligten“ haben aus der „Situation“ von 2015 „gelernt“, wie die Union in schönstem Kanzlerinnenzynismus verkündet. Die Massenmigration läuft jetzt stetig, aber eben gut verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit über Libyen, das Mittelmeer und Italien ab. Die Toten, die diese Völkerwanderung fordert, gehen auf das Konto der niemals zurückgenommenen Einladung der Kanzlerin an alle Wanderungswilligen dieser Welt, auf das Konto der als „humanitär“ und „Nichtregierungsorganisationen“ getarnten Schleuserkommandos und auf das Konto der Unfähigkeit und Unwilligkeit der EU und ihrer tonangebenden Mitgliedstaaten, dieses Treiben zu unterbinden.

Rund hunderttausend illegale Einwanderer sind seit Jahresbeginn durch die deutschen Grenzen gesickert – ohne Plüschtier- und Blumenregen und „Refugees welcome“-Schilder. Sieht so die „dauerhaft niedrige“ Zahl der „Flüchtlinge, die zu uns kommen“ aus, von der das Unionsprogramm euphemistisch spricht? Auch illegale Einwanderung auf diesem Niveau verändert die Bevölkerungsstruktur dauerhaft und löst das Staatsvolk unweigerlich auf.

Zumal niemand daran denkt, die in unverdrossenem Etikettenschwindel als „Flüchtlinge“ deklarierten Migranten wieder zurückzuschicken. Das CDU-Wahlprogramm sagt es ja selbst: Man wolle „unseren humanitären Verpflichtungen durch Resettlement und Relocation nachkommen“ – also durch Um- und Neuansiedlung.

Bundespräsident Steinmeier faselt derweil von „Integration“, die „Jahrzehnte beanspruchen“ werde, als sei es schon ausgemachte Sache, daß keiner je wieder gehen muß. Und die Propaganda der Zwangsgebührensender überschwemmt die Wohnzimmer wieder mit Bildern von mitleiderregenden „Flüchtlings“-Familien statt von fordernd auftretenden jungen Männern, als hätte es das Manipulations-Eingeständnis von „ARD aktuell“-Chefredakteur Kai Gniffke nie gegeben.

Das stillschweigende Kalkül, die „Um- und Neuansiedlung“ der in Italien angesammelten Migrantenmassen auf die Zeit nach der Bundestagswahl zu verschieben, ist offenkundig nicht aufgegangen: Die Aufnahmelager in Italien sind überfüllt, die italienische Regierung droht, den von Merkels Signalen Angelockten zweihunderttausend Visa auszustellen und sie nach Norden durchzuwinken, Österreich erwägt, gegen den neuerlichen Ansturm die Brennergrenze mit militärischen Mitteln zu sichern.

Die Wahlkampflügen der Regierungsparteien zerplatzen vor diesen Realitäten wie Seifenblasen. Die Warnungen von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz vor einer Verschärfung der Asylkrise sind wohlfeil: Die Kabinettsmitglieder seiner Partei haben die Willkommenspolitik der Kanzlerin von Anfang an mitgetragen und jeden noch so zaghaften Korrekturversuch blockiert. Nicht minder verlogen ist die CSU-Kritik an Schulzens Vorstoß: Die Seehofer-Partei saß die ganze Zeit bellend, aber nicht beißend im selben Boot.

Daß Schulz nun fordert, die Verteilung der Migrantenströme auf alle EU-Staaten durch Geldprämien und finanzielle Sanktionen zu erzwingen, legt die Lunte an das Pulverfaß, auf dem Europa sitzt. Die Isolation Deutschlands und die Spaltung Europas, die die Kanzlerin verursacht hat, würden dadurch auf die Spitze getrieben.

Immerhin: Dank Schulz steht die Asylkrise wieder auf der Tagesordnung. Um sie abzuwenden, muß Europa seine Grenzen schließen und illegale Migranten ausnahmslos zurückschicken. Die Mitgliedstaaten müssen die Häfen sperren und den humanitären Schleusern das Handwerk legen – ein folgenloser „Verhaltenskodex“ der Regierung in Rom und ein paar zaghafte kritische Worte des Bundesinnenministers sind dazu nicht genug.

Und Deutschland muß die „Flucht“-Ursache Nummer eins bekämpfen: die großzügige Alimentierung aller Illegalen, die es über die Grenze schaffen und keine Zurücksendung fürchten müssen. Das sind die Themen, über die in den kommenden Wahlkampfwochen zu sprechen sein wird.