© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/17 / 28. Juli / 04. August 2017

Zäh wie Kaugummi
NSU-Prozeß: Kurz vor dem Schlußplädoyer der Anklage bombardieren die Verteidiger das Gericht erneut mit Anträgen und sorgen für weitere Verzögerungen
Hinrich Rohbohm

Ein Mammutverfahren neigt sich dem Ende entgegen. 374 Verhandlungstage liegen hinter dem NSU-Prozeß vor dem Staatsschutzsenat in München. Mehr als 800 Zeugen hatte das Gericht vernommen, über 40 Sachverständige geladen. Die bisherigen Kosten: rund 56 Millionen Euro.

Nach mehr als vier Jahren oftmals zäh verlaufender Verhandlungen ist die Beweisaufnahme abgeschlossen, die Bundesanwaltschaft beginnt mit ihrem Plädoyer. Die Verteidiger der fünf Angeklagten Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, André E., Holger G. und Carsten S. bleiben ihrer Linie treu, bombardieren das Gericht mit Beweis- oder Befangenheitsanträgen. Das Gericht lehnt diese zwar nahezu vollständig ab. Jedoch müssen sie sich mit jedem Antrag neu beschäftigen, sich zur Beratung zurückziehen und die Verhandlung erneut unterbrechen. Eine zermürbende Prozedur für alle Prozeßbeteiligten wie auch für Zuschauer und Journalisten. 

Eine Prozedur, die auch vor dem ursprünglich geplanten Plädoyerbeginn in der vergangenen Woche ihren Lauf nahm. Die Verteidigung besteht darauf, das Plädoyer der Bundesanwaltschaft aufzeichnen zu lassen und stellt einen entsprechenden Antrag. Das Gericht lehnt ab. Prompt folgt ein Antrag auf Unterbrechung der Sitzung. Zur Vorbereitung eines weiteren Antrags, wie Ralf Wohllebens Anwalt, Olaf Klemke, erklärt. In diesen neuerlichen Antrag verpackt die Verteidigung nun ihre Gegenvorstellung zum ablehnenden Beschluß des Staatsschutzsenats. Und der Senat wiederum sieht sich veranlaßt, darüber gründlich zu beraten, vertagt die Verhandlung und läßt den folgenden Verhandlungstag entfallen. Aufstöhnen unter den Zuschauern. Angehörige der Opfer waren sehr kurzfristig nach München gereist, um dem Plädoyer beiwohnen zu können. Dutzende Journalisten hatten ihre Terminplanung umgehend ändern müssen. Um dann erneut jenes Pingpongspiel zwischen dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl und den Anklage-Verteidigern miterleben zu müssen, das sich schon seit Beginn des Prozesses im Mai 2013 wie Kaugummi durch die Verhandlungstage zog. 

Unmut bei den                 Anwälten der Nebenkläger

Protest herrscht auch vor dem Gerichtsgebäude am Münchner Stiglmaierplatz. Linksradikale aus den Reihen der Antifa machen Stimmung gegen die deutsche Justiz, protestieren mit Spruchbändern. „Kein Schlußstrich“ fordern sie. Die Hoffnung der Linksradikalen auf einen politisierten Prozeß hat sich bisher weitestgehend nicht erfüllt. Gericht und Bundesanwaltschaft hatten stets klargemacht, daß es in der Verhandlung nur um prozeßrelevante Fakten gehe. Die Beleuchtung der politischen Hintergründe und das rechtsextreme Netzwerk rund um den NSU sei dagegen nicht Bestandteil. Entsprechend groß ist der Unmut gerade bei jenen Anwälten aus den Reihen der Nebenkläger, die ebenso dem linksradikalen Milieu entstammen wie nicht wenige der berichtenden Journalisten. Einige Pressevertreter waren im Verlauf des Prozesses ein ums andere Mal mit lautstarken hämischen Bemerkungen und Gelächter unangenehm aufgefallen. 

Daß die Bundesanwaltschaft die Hauptangeklagte Beate Zschäpe für schuldig erklärt, gilt als sicher. Die 42jährige hatte im Verlauf der mehrjährigen Beweisaufnahme ein Teilgeständnis abgelegt, nachdem sie anfangs noch geschwiegen hatte. Sie gibt zu, die Zwickauer Wohnung des NSU in Brand gesetzt zu haben und gestand auch, jene Garage in Jena angemietet zu haben, die Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos genutzt hatten. Auch gibt sie zu, die Identitäten der beiden Männer gegenüber Nachbarn verheimlicht und das Geld des Trios verwaltet zu haben, das bei Raubüberfällen erbeutet worden war. Mit den Morden jedoch will sie nichts zu tun gehabt haben. Spannend dürfte daher die Frage sein, ob die Anklagevertretung Zschäpe lediglich als Mittäterin einstuft oder – was als wahrscheinlicher gilt – als zentralen Bestandteil des mutmaßlichen Terror-Trios. 

Insgesamt über 22 Stunden soll das Plädoyer der Bundesanwaltschaft gehen. Anschließend erfolgen die Stellungnahmen der Nebenkläger, ehe die Verteidiger der Angeklagten ihre Plädoyers beginnen.