© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/17 / 28. Juli / 04. August 2017

Alltag im Umbruch
Ritter, Bauern, Lutheraner: Die bayerische Landesausstellung in Coburg gibt Einblicke in die Welt um 1500
Felix Dirsch

Um Luther und die Folgen seines Wirkens kommen größere Präsentationen in diesem Jahr kaum herum, auch die in Coburg nicht. Zwischen dem heutigen bayerischen Territorium und Luther existieren Berührungspunkte. Er verblieb auf der Burg, während seine Getreuen zum Augsburger Reichstag 1530 weiterreisten. Für den Reformator, über den die Reichsacht verhängt worden war, wäre ein derartiger öffentlicher Auftritt zu gefährlich gewesen.

Die Coburger Ausstellung wirft in erster Linie folgende Fragen auf: Welche gesellschaftlichen, politischen und kirchlichen Strukturen bestanden, als die weltgeschichtlichen Veränderungen begannen? Sehnte man allgemein einen Umbruch herbei? Aufs Ganze gesehen ist die Antwort „Jein“ naheliegend. Wie immer im Rahmen von Umbruchprozessen läßt sich der Wunsch nach Neuem feststellen, aber auch verbreitete Hoffnung auf Bewahrung des Überlieferten.

Die Ausstellung liefert viele Belege dafür, daß die nominelle Gliederung der Gesellschaft in Adel, Klerus sowie Bauern, Handwerker und Händler längst im Aufbruch begriffen war. Immer mehr Lebensformen tauchten auf, die sich in das Ständesystem nicht einordnen ließen. Ein zunehmender Pluralismus machte sich bemerkbar. Das Leben in der Stadt und auf dem Land entwickelte sich immer weiter auseinander.

Die Darstellungen sind erfreulicherweise differenziert. Bauer ist nicht gleich Bauer, es gab reiche Hofbesitzer ebenso wie unfreie Bauern in Ostelbien und diverse Varianten dazwischen. Kompliziert waren Rechtsstand und Abgabensystem. Immerhin bestand für den Einzelnen die Möglichkeit, an den Territorialherrn zu appellieren. Für den größten Teil der Bevölkerung galt seinerzeit, wie noch lange danach: „Reich ist der Mann, der sich satt essen kann.“

Die meisten Städte konnten ihren Rechtsstatus aus dem Mittelalter bewahren. Ohne ihre relativ autonome Stellung hätte sich die Reformation kaum durchsetzen können. Der Handel in den Städten gewann spürbar an Gewicht. Nicht zuletzt der Reichtum hervorgehobener Familien wie der Fugger verdeutlicht diese Entwicklung hinreichend.

Irdische Tage galten nichts im Vergleich zur Ewigkeit

Daß die Welt um 1500 im Umbruch war, ist eine Binsenweisheit. Der Ausblick in die Neue Welt wenige Jahre vorher öffnete ungeahnte Horizonte. Ein Reflex des veränderten Raumbewußtseins ist die Modellierung einer größeren Zahl von Globen. Etliche tradierte Berufsgruppen, etwa der Ritterstand, verlieren drastisch an Einfluß. Einige der präsentierten Rüstungen dürften damals schon wie Relikte angemutet haben.

Ein nicht geringer Teil der Ausstellung umfaßt den Komplex „Glaube und Frömmigkeit“. Den meisten galten die relativ wenigen irdischen Tage nichts im Vergleich zur Ewigkeit. Diese verbreitete Haltung eröffnete aber, paradox genug, im Diesseits neue Märkte. Überall begegnete man sakralen Gegenständen, vielen frommen Stiftungen, einem inflationär praktizierten Ablaßhandel, jenseitsorientierten unzähligen Kunstwerken und vielem mehr. Zu den letzteren zählt, besonders eindrucksvoll, die „Schlagfigur des Todes auf einem Löwen“. Der Tod besiegt, obwohl leichtgewichtig, den Löwen. Der Besucher kann eine voll funktionstüchtige Reproduktion des Originals aus dem frühen 16. Jahrhundert bestaunen.

Selbstverständlich thematisiert die Ausstellung auch den Prozeß der Konfessionalisierung. Gemeint ist „die geistige und organisatorische Verfestigung der seit der Glaubensspaltung auseinanderstrebenden christlichen Bekenntnisse zu einem halbwegs stabilen Kirchentum nach Dogma, Verfassung und religiös-sittlicher Lebensform“ (Ernst Walter Zeeden). Spätestens ab Mitte des 16. Jahrhunderts kam es zu ernsthaften Versuchen der katholischen Reform, neben kriegerischen der Gegenreformation. Lange vorher traten altgläubige Theologen, von denen in der Ausstellung der Ingolstädter Gelehrte Johannes Eck besonders gewürdigt wird, Luther entgegen. Ebenfalls zur Sprache kommt auch die partielle Durchsetzung des neuen Glaubens auf dem Gebiet des heutigen Bayern, etwa durch den „Konfessionalisten“ Graf Joachim von Ortenburg.

Ein kleinerer Teil der Ausstellung findet in der evangelischen Kirchengemeinde St. Moriz in Coburg statt. Dort kann man einen umfangreichen Bestand an sakralen Kirchengeräten aus dem 15. bis 18. Jahrhundert betrachten. Darunter ist auch ein berühmter vergoldeter Kelch aus Kupfer. Er gehört zu den ältesten Vasae sacrae der Gemeinde.

Der Rundgang endet mit einem imposanten Lichtschauspiel, das den Facettenreichtum der Freiheit zeigt. Reformatoren wie Luther setzten sich mit Nachdruck für die Verwirklichung der „Freiheit eines Christenmenschen“ ein. Diese ist aus Sicht aktueller Freiheitsvorstellungen zwar nicht mehr zentral, aber immerhin einer der Bausteine und Voraussetzungen moderner Selbstvergewisserung und Normgenese. Auf diese Weise wird ein Bogen geschlagen von Luthers zentraler Absicht zur unmittelbaren Gegenwart.

Die Ausstellung „Ritter, Bauern, Lutheraner“ ist bis zum 5. November auf der Veste Coburg und in der Kirche St. Moriz, Pfarrgasse 7,  täglich von 9 bis 18 Uhr zu sehen. Der Katalog mit 392 Seiten und etwa 350 farbigen Abbildungen kostet in der Ausstellung 24 Euro.

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