© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/17 / 28. Juli / 04. August 2017

Die kriegslüsternen Schlüsselfiguren
Helmut Roewer erklärt, warum im 20. Jahrhundert der übergroße Einfluß leitender Politiker in Demokratien verheerende Folgen hatte
Jürgen W. Schmidt

Als prägnante Inhaltsangabe des „neuen Roewer“ möge der Untertitel seines Buches „Warum eine anglo-amerikanische Allianz Deutschland zum zweiten Mal angriff und die Rote Armee in Berlin einmarschierte“ dienen. Wer allerdings bei Helmut Roewer „Geschichte als historische Sozialwissenschaft“ erwartet, sollte sein Werk am besten nicht in die Hand nehmen. Hier stimmt Helmut Roewer nämlich eher mit Karl Marx überein, wenn er darauf besteht, daß alle Menschen von ihren Interessen geleitet werden und manche leider die Möglichkeit erhalten, als leitende Politiker von Großmächten diese in die Tat umzusetzen. 

Roewer rückt die Mächtigen der Zeit in den Fokus

Falls die Wünsche des eigenen Volkes damit nicht übereinstimmen, um so schlimmer für dieses. Als Beispiel dafür mögen die US-Amerikaner dienen, welche nach dem Ersten Weltkrieg vor allem der Wunsch bewegte, nie wieder in europäische Händel hereingezogen zu werden, und die seitens ihres demokratisch mehrfach wiedergewählten US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt genau das erleben mußten. Roosevelt gelang es immer aufs neue, die amerikanische Bevölkerung propagandistisch um den Finger zu wickeln. Dabei ist Roewer Feind jedweder Verschwörungstheorien und belegt deswegen in über 900 Fußnoten aus historischer Fachliteratur und gedruckten Quellensammlungen alle vorgebrachten Fakten, so unglaublich sie manchmal erscheinen mögen. 

Zudem kann Roewer immer wieder erstaunliche Zitate und Erkenntnisse aus Aktenstudien in angelsächsischen, deutschen und österreichischen Archiven beisteuern. Dem historischen Zufall, einer von den meisten Historikern unterschätzten historischen Größe, weist Roewer eine gewisse Rolle zu. Denn es läßt sich kaum bezweifeln, wäre etwa Hitler bei seinem Putsch am 9. November 1923 erschossen worden, wäre Roosevelt am 15. Februar 1933 jenem Attentat auf ihn erlegen bzw. wäre Churchill an den Folgen seines bösen Verkehrsunfalles am 13. Dezember 1931 verstorben, sähe die Weltgeschichte jeweils anders aus. Wahrscheinlich wären dann die von den USA ausgehenden politischen und wirtschaftlichen Umtriebe zur Beförderung eines neuen Weltkriegs weniger energisch ausgefallen, hätte 1940 die Regierung Chamberlain womöglich den bis dato unglücklich verlaufenen Krieg mit Deutschland per Friedensschluß schnell beendet. Ein anderer deutscher Politiker an Hitlers Stelle hingegen hätte womöglich nicht so sendungsbewußt geglaubt, selbständig außenpolitisch agieren zu können. Selbst der ganz spezifische Rassenwahn Hitlers, den er Deutschland aufprägte, hätte sich dann eventuell schwächer ausgewirkt und vor allem nicht so verhängnisvolle Folgen sowohl für die Juden wie für die Europäer gehabt. Roewer spricht in seinem Buch deutliche Worte und steht dabei manchen linken Historikern näher, als diese glauben mögen. 

Bei vorliegendem Buch handelt es sich um den zweiten Band einer Trilogie (Band 1, JF 34/16), welche Ziele und reale Macht einer anglo-europäischen Geld- und Machtelite aufzeigt, der es gelang, der Geschichte des 20. Jahrhunderts ihren Stempel aufzudrücken. Andere Großmächte, welche mit diesem Machtblock nicht konform gingen, in erster Linie betraf das die bis Mitte des 20. Jahrhunderts wirtschaftlich und militärisch starke Großmacht Deutschland, wurden energisch bekämpft und niedergeworfen. 

Bewußt passives Verhalten der USA bei Kriegsbeginn

Der folgende dritte Band dürfte sich mit den Aktivitäten jenes anglo-amerikanischen Machtblocks gegenüber dem nach der Zerschlagung Deutschlands neu auftauchenden Antagonisten Sowjetunion/Rußland und noch später mit China beschäftigen. Roewer gelingt in seinem Buch der Nachweis, daß bereits seit Ende des Ersten Weltkriegs innerhalb der US-Machteliten ein neuer Krieg gegen Deutschland, das vorerst nach Versailles erledigt am Boden lag, immer wieder als „inevitable“ (unumgänglich) in der Luft lag. 

Oftmals hätte US-Präsident Roosevelt das politische Steuer in eine andere Richtung reißen können, falls er es nur gewollt hätte. Aber selbst als am 28. August 1939 der amerikanische Botschafter Joseph Kennedy in London Präsident Roosevelt auf Bitten englischer Politiker um eine amerikanische Vermittlung gegenüber Polen bat, ließ Roosevelt diesen entscheidenden Moment zum Friedenstiften vergehen. Ein deutscher Krieg gegen Polen dünkte ihm nutzbringender als die Erhaltung des Weltfriedens, den er oft und salbungsvoll im Munde führte. 

Es ist kein Wunder, daß angesichts einer solchen Politik der amerikanische Kriegsminister Stimson im November 1941 seinem Tagebuch anvertraute: „Die Frage war, wie wir sie (die Deutschen – J.S.) in die Position manövrieren können, den ersten Schuß abzugeben, ohne uns dabei allzusehr selbst in Gefahr zu bringen.“ Viele Seltsamkeiten und Rätsel angelsächsischer Politik, etwa die Kent-Wolkow-Spionageaffäre, finden im Buch ihre Erklärung und werden in die friedensfeindliche Politik jenes von Roewer ausgemachten alliierten Machtblocks eingeordnet, der damals antideutsch ausgerichtet war, ab 1945 antisowjetisch eingenordet wurde und der in ziemlich naher Zukunft ein antichinesischer Machtblock werden könnte. 

Roewer, der sich viel mit der Historie von Geheimdiensten beschäftigt hat, zeigt in seinem Buch außerdem, wie sich Geheimdienstgeschichte und politische Geschichte ab dem 20. Jahrhundert mehr und mehr durchdringen, weil es sich um zwei Seiten einer Medaille handelt. Nur daß man die eine Seite eben nicht so häufig wahrnimmt. Die Lektüre des Buches ist jedenfalls nie langweilig.

Helmut Roewer: Unterwegs zur Weltherrschaft. Band 2: 1918–1945. Verlag Scidinge Hall, Tübingen 2017, gebunden, 398 Seiten, Abbildungen 24,95 Euro