© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/17 / 11. August 2017

Im Wahlkampf eher unwillkommen
Abschiebungen: Bluttat von Barmbek befeuert die Debatte
Peter Möller

Seitdem Ende Juli in Hamburg der ausreisepflichtige 26 Jahre alte abgelehnte Asylbewerber Ahmad Alhaw in einem Supermarkt einen Mann erstochen hat, beherrscht das Thema Abschiebungen plötzlich wieder die öffentliche Debatte. Spätestens als die Bild-Zeitung Anfang vergangener Woche mit der Schlagzeile „Die Abschiebelüge“ aufmachte und detailliert das Scheitern der deutschen Abschiebepolitik dokumentierte, war im politischen Berlin auch dem Letzten klar, welche Brisanz dieses Thema für den Bundestagswahlkampf birgt. 

Denn bislang galt in weiten Teilen von Politik und Öffentlichkeit das Motto: so wenig Abschiebungen wie möglich. Zwangsmaßnahmen, wie etwa die Verhängung von Abschiebehaft, sind dementsprechend in den vergangenen Jahren immer weiter zurückgegangen. 

Grenzkontrollen effektiv gegen illegale Einreisen

Auch deshalb kommt das Thema allen Parteien mit Ausnahme der AfD nun mehr als ungelegen. Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel im vergangenen Jahr „eine nationale Kraftanstrengung zur Rückführung derer, die abgelehnt wurden“, angekündigt hatte, war das Thema schnell aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Zu Unrecht, wie ein Blick auf die aktuellen Zahlen zeigt. Denn von einer Abschiebe-Offensive kann angesichts von offiziell 226.457 ausreisepflichtigen Ausländern keine Rede sein. Im Gegenteil: Bis Ende Juni 2017 wurden nach Angaben des Bundesinnenministeriums 12.545 Ausländer abgeschoben – im Vorjahreszeitraum waren es dagegen 13.743 (minus neun Prozent). Die meisten Ausländer schob Nordrhein-Westfalen ab (3.168), gefolgt von Baden-Württemberg (1.888) und Bayern (1.596).

Das Beispiel Berlin zeigt exemplarisch das ganze Ausmaß des Scheiterns der deutschen Abschiebepolitik: Laut der Berliner Innenverwaltung lebten Ende 2016 etwa 10.500 ausreisepflichtige Ausländer in der Hauptstadt, am Stichtag 31. März 2017 waren es bereits 11.417. Doch das ist nur die Spitze des Eisberges: Denn zudem leben in Berlin gut 40.000 rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber, die aber von den Behörden geduldet werden, etwa aus humanitären Gründen oder weil, wie im Fall des Hamburger Messerattentäters, Papiere fehlen. 

Diese Zahlen sind ganz im Sinne des rot-rot-grünen Senats, dessen erklärtes Ziel es ist, möglichst wenig Ausländer abzuschieben. Während im ersten Quartal dieses Jahres 712 Ausländer aus Berlin abgeschoben wurden, waren es im zweiten Quartal 410 Menschen. Und auch die Zahl der freiwilligen Rückkehrer sinkt: Nach Angaben des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), reisten in den ersten sechs Monaten 793 Personen aus der deutschen Hauptstadt aus. Im gesamten Jahr 2016 waren es mit 1.837 Menschen deutlich mehr als doppelt so viele. In den anderen Bundesländern sieht es meist nicht viel anders aus.

Angesichts dieser Kleinstaaterei in der Abschiebepolitik wird der Ruf lauter, dem Bund hierbei mehr Kompetenzen zu übertragen. So forderte der Städte- und Gemeindebund in der vergangenen Woche mit Blick auf die Bluttat in Hamburg, ausreisepflichtige Asylbewerber bis zu ihrer Abschiebung in zentralen Einrichtungen unterzubringen. „Wir sind der Auffassung, daß Tatverdächtige, die ausreisepflichtig sind, nicht normal in einer Kommune oder einer Flüchtlingsunterkunft leben sollten, sondern in zentralen Einrichtungen der Länder oder des Bundes“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der Berliner Zeitung. 

Die Tatsache, daß viele Abschiebungen an fehlenden Personaldokumenten scheitern, hat auch die Diskussion über die Einreise von Asylbewerbern ohne Papiere neu befeuert. Wenn es dabei bleibe, daß „Tag für Tag viele hundert Drittstaatsangehörige mit ungeklärter Identität und Nationalität einreisen können, werden wir bei der Rückführung auch zukünftig große Probleme haben“, warnt etwa der scheidende CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach. Bestärkt kann er sich durch die Zahlen der zeitweiligen Grenzkontrollen im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel Anfang Juli in Hamburg fühlen. 

Während der Kontrollen überprüften die Behörden an den Grenzen 982.560 Personen. Das Ergebnis: Die Beamten stellten 4.546 illegale Einreisen, 6.125 Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht, 812 Drogendelikte fest und konnten 782 offene Haftbefehle vollstrecken. Als wie brisant Innenminister Thomas de Maizière die Zahlen einschätzt, zeigt die Tatsache, daß der Abschlußbericht zu den G20-Grenzkontrollen von seinem Ministerium bis heute nicht veröffentlich wurde. 

Auch eine weitere Erkenntnis der Behörde hätte de Maizière vermutlich am liebsten bis nach der Bundestagswahl unter Verschluß gehalten. Nach Ansicht der Experten mehren sich die Anzeichen, daß die Zahl der Asylbewerber wieder ansteigen wird. „Mehrere Indikatoren lassen einen Anstieg der illegalen Migration nach Deutschland in der zweiten Jahreshälfte erwarten“, heißt es laut Welt am Sonntag in einem Papier des Gemeinsamen Analyse- und Strategiezentrums illegale Migration (Gasim). Dadurch dürfte die Zahl der Ausländer, die zwar kein Asyl in Deutschland bekommen, aber aufgrund fehlender Papiere oder sonstiger Gründe nicht abgeschoben werden können, auch in den kommenden Monaten weiter steigen. 

Es gehört daher wenig Phantasie dazu vorauszusagen, daß das Thema Abschiebungen die deutsche Innenpolitik in den kommenden Monaten bestimmen wird.