© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/17 / 11. August 2017

Vergemeinschaften auf Raten
Euro-Krise: Unterschätzte Gefahren bei den „Europäischen Sicheren Anleihen“ / Eurobonds durch die Hintertür?
Dirk Meyer

In Wahljahren neigen Regierungsparteien dazu, klare Kante zu zeigen: „Wir lehnen Eurobonds weiterhin ab“, verspricht Unionsfraktionsvize Ralph Brinkhaus. „Wir brauchen keine Eurobonds und nicht noch mehr Gemeinschaftshaftung“, erklärt sein SPD-Amtskollege Carsten Schneider. „Wir haben nicht den ungerechten Länderfinanzausgleich in Deutschland geändert, um ihn in Europa einzuführen“, so der bayrische Finanzminister Markus Söder (CSU). AfD und FDP waren immer dagegen. Selbst die einstigen Befürworter – Teile der SPD, Grüne und Linke – wollen davon nichts mehr wissen.

Die erstmals 2010 diskutierten Eurobonds sind Anleihen, die von Mitgliedstaaten der Währungsunion gemeinsam ausgegeben werden. Kritikern gelten sie als Instrument zur Vergemeinschaftung nationaler Staatsschulden, denn jeder Staat haftet für die gesamte Anleihe bei Ausfall anderer Schuldnerstaaten. Hochverschuldete Euro-Staaten kämen noch günstiger an Kredit. Bereits heute führen die Rettungsschirme (EFSF, ESM) dazu, daß das Gebot des Haftungsausschlusses (Art. 125 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) unglaubwürdig ist und der Kreditzins deshalb selbst für die Krisenstaaten nur eine geringe Risikoprämie beinhaltet. Allerdings sind Eurobonds mit Deutschland derzeit nicht zu machen. Dies scheint auch die EU-Kommission zu berücksichtigen, denn in ihren neuesten Strategiepapieren zur Zukunft Europas taucht dieses Finanzierungsinstrument nicht mehr auf. 

Dem Wunsch nach sicheren Anleihen liegen zwei Aspekte zugrunde: Sie sind für institutionelle Kapitalanleger wie Banken und Versicherungen wichtig, um Verbindlichkeiten in ferner Zukunft hinreichend sicher bedienen zu können. Staatsanleihen werden aufsichtsrechtlich zwar als sicher behandelt, de facto sind sie aber mehr oder weniger unsicher. Damit entsteht ein zweites Problem, denn im Krisenfall bekommt ein Staat keinen Kredit mehr, die Anleihekurse stürzen ab, und die zumeist heimischen Banken als Halter dieser Papiere geraten in Not. Über die Verflechtung der Kapitalmärkte kommt es zu einer Staaten- und Bankenkrise, die die Finanzstabilität gefährdet.

Europäische Sichere Anleihen (European Safe Bonds/ESBies) sollen beide Probleme lösen. Der Vorschlag dieser staatsanleihebesicherten Wertpapiere beruht auf zwei Prinzipien: Diversifikation und Risikoteilung. Im ersten Schritt bündelt man Staatsanleihen der Euroländer anteilig, etwa entsprechend dem jeweiligen Kapitalanteil an der EZB (Deutschland 25,6 Prozent; Frankreich 20,2 Prozent; Italien 17,5 Prozent oder Griechenland 2,8 Prozent).

In einem zweiten Schritt werden zwei Tranchen mit unterschiedlichen Ausfallwahrscheinlichkeiten gebildet. Die Senior-Tranche (70 Prozent) sind ESBies mit vorrangiger Bedienung. Die Junior-Tranche (30 Prozent) ist der Sicherheitspuffer. Im Fall der Insolvenz eines Euro-Staates müssen die Gläubiger diesen Ausfall zuerst hinnehmen. Den Status einer „sicheren Anleihe“ verlieren die ESBies erst, wenn das Land mehr als 30 Prozent seiner Schulden nicht zahlt.

Eine gefährliche Verflechtung der Risiken

Die von den Banken gehaltenen Staatspapiere wären diversifiziert, die Verflechtungen zwischen Banken und Staaten gelockert und die Liquidität und die Transmission der Geldpolitik verbessert. In seinem Jahresgutachten 2016/17 sieht der Sachverständigenrat der Bundesregierung den Hauptvorteil der ESBies „in der Schaffung einer sicheren europäischen Wertpapierklasse bei gleichzeitiger Wahrung der Marktdisziplin und ohne explizite Vergemeinschaftung der Risiken.“ Also alles gut?

Keinesfalls, denn zunächst findet eine Vergemeinschaftung von Risikoprämien unterschiedlicher Ausfallwahrscheinlichkeiten statt. Risiken werden umverteilt, aber nicht reduziert. Der gemittelte Zins beider Anleihe-Tranchen dürfte in etwa der Durchschnittsrendite der gewichteten Anteile der Staatsanleihen entsprechen. Deshalb wird kein privates Finanzinstitut als ESBies-Emittent auftreten, denn die Verbriefung wird keine lohnende Zinsdifferenz aus den originären Staatstiteln und den staatsanleihebesicherten Wertpapieren hervorbringen. Deshalb gibt es die ESBies bislang auch nicht. Weshalb wirbt die EU-Kommission dann für die „äußerst innovative“ Konstruktion? Die Lösung: Der ESM und die EZB kämen als Emittent in Frage. Hochrisikoanleihen (Griechenland) würden mit Nullzinsanleihen (Deutschland) und anderen Staatspapieren zusammengelegt.

Griechenland käme günstiger an Kredit – deutsche Bundesanleihen hätten zukünftig eine geringere „Safe-Haven“-Prämie. Im Krisenfall könnte der Anteil der Krisenstaaten bei neuen Verbriefungen erhöht werden. Sollte die Junior-Tranche am Markt nicht mehr verkäuflich sein, könnte sie vom ESM oder der EZB selbst gehalten werden. De facto würden die ESBies vom EU-Emittenten subventioniert. Der Kreditzins als Maß für das Kreditrisiko von Staaten würde weiter ausgehöhlt. Die ESBies wären marktbasierte Eurobonds mit Schuldenvergemeinschaftung. Die Verflechtung der Risiken würde nach einer Prognose der Ratingagentur Standard & Poor’s für die Senior-Anleihe eine BBB-Einstufung und für die Junior-Anleihe eine B- ergeben – also keine sichere Anleihe.

Was sind die Alternativen? Der Sachverständigenrat schlägt eine Entprivilegierung von Staatsanleihen vor, indem diese zukünftig von Banken risikoadäquat mit Eigenkapital unterlegt werden müßten. Großkreditgrenzen könnten Klumpenrisiken vermeiden. „Verantwortungsbonds“ (Accountability Bonds) werden vom Ifo-Institut vorgeschlagen. Hiernach dürfen Staatsanleihen nur als nachrangig zu bedienende Anleihen ausgegeben werden, sollte das strukturelle Haushaltsdefizit die im reformierten Fiskalvertrag vereinbarten 0,5 Prozent überschreiten. Generell würden Staatspapiere weniger attraktiv, und Staaten müßten zugunsten der Finanzstabilität der Eurozone solider haushalten.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

Der EU-Bericht der fünf Präsidenten:  www.ecb.europa.eu/





European Safe Bonds (ESBies)

Das Konzept der „Europäischen Sicheren Anleihen“ (European Safe Bonds/ESBies) wurde erstmals 2011 und präzisiert 2016 von Ökonomen der Princeton University (New Jersey) um den deutschen Wirtschaftsprofessor Markus Brunnermeier vorgestellt. Damals eskalierte die Euro-Krise, neben Griechenland waren auch Irland und Portugal auf Milliardenhilfen des Rettungsfonds EFSF angewiesen, um eine Staatsinsolvenz zu verhindern. 2012 folgte der mit 704,8 Milliarden Euro Stammkapital ausgestattete ESM, um auch Spanien, Zypern und möglicherweise weitere Euro-Staaten finanzieren zu können. ESBies sollen eine Alternative zum ESM sein: Die nach einem festen Schlüssel gebündelten Staatsanleihen der Euro-Länder wären neuartige Wertpapiere, die dann private Investoren kaufen könnten. ESBies hätten eine größere Ausfallwahrscheinlichkeit als Bundesanleihen, sollen aber sicherer als griechische Staatspapiere sein.

Konzept „ESBies – Safety in the tranches“:  scholar.princeton.edu