© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/17 / 11. August 2017

Auch der Mann kommt auf den Geschmack
Plastisch-ästhetische Chirurgie: Der Drang nach Schönheit ist zwar relativ konstant geblieben, doch die Hemmschwelle, sich dafür kostspielig operieren zu lassen, sinkt rapide
Verena Rosenkranz

Der Wunsch nach einem perfekten Körper besteht nicht erst, seit uns die Medien und die Werbung das vermeintliche Idealbild des weiblichen (seit einigen Jahrzehnten übrigens auch des männlichen) Körpers eintrichtern. So offen wie derzeit wurde aber noch nie über eine Schamlippenkorrektur, die Oberarmstraffung oder Schweißdrüsenbehandlung gesprochen. Auch dieser höchstpersönliche Lebensbereich hat sich längst in das Internet verlagert. Neben Diskussionsforen, Bewertungsportalen und Seiten, wo die persönlichen Erfahrungen ausgetauscht werden können, mischen auch die Anbieter durch das Schalten von Werbeinseraten kräftig mit.

Dort wo Julia K. (Name der Redaktion bekannt) ein Bild ihrer Schlauchbootlippen als Beweis einer verpfuschten Botoxbehandlung in ein Schönheitsforum stellt und kein gutes Haar an dem Anbieter läßt, kommentiert ein anderer Arzt darunter, daß so etwas in seiner Klinik nicht passieren würde und der Preis zudem viel fairer sei. 

Das angeblich viel bessere Schönheitsinstitut ist nur wenige Straßen von jenem entfernt, das zwar Hunderte Frauen zuvor glücklich gemacht hat, allerdings auch für das entstellte „Duckface“ der blonden Studentin verantwortlich ist. Ein Risiko, das die Patientin bewußt eingegangen ist, und nach mehr oder minder sorgfältiger Beratung sogar über die Menge, die ihr injiziert werden sollte, mitbestimmt hat. Mehrere solcher Urteile könnten für den Betreiber der Beautyfarm über kurz oder lang sogar das Aus bedeuten, das Internet ist Fluch und Segen – in der Schönheitsbranche mehr denn je, das bestätigt auch der Präsident der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC), Dennis von Heimburg, in einem Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. 

„Fehler können überall passieren“

Sie nehmen starke Schmerzen in Kauf, legen sich freiwillig unter das Messer und bezahlen auch noch dafür. Etwa 400.000 Deutsche jährlich erwarten sich durch einen Schönheitseingriff das vollendete Glück, mindestens aber ein verbessertes Lebensgefühl. Das versprechen die unzähligen Spezialisten von Brustvergrößerungen, Fettabsaugungen oder Nasenkorrekturen auch in ihren sich gegenseitig wie am Basar unterbietenden Angeboten. Während bei prominenten TV-Ärzten Kosten überhaupt gar keine Rolle mehr zu spielen scheinen und der Preis nach oben hin offen ist, versuchen sich Markteinsteiger oder Billiganbieter mit Dumpingpreisen für das Silikonimplantat, die Faltenzaubermittel und Fett-weg-Methoden über Wasser zu halten – und gegenüber den mittlerweile salonfähig gewordenen Schönheitskliniken im benachbarten Polen und Tschechien zu bestehen. Zwischen 4.500 und 7.000 Euro zahlt Frau in Deutschland regulär etwa für den beliebtesten Eingriff, die Brustvergrößerung, während Günstiganbieter schon bei 2.400 Euro ansetzen. 

Die Nachfrage sei heute nur minimal höher als noch vor zehn Jahren, „aber die Hemmschwelle ist viel weiter gesunken, die Operationstechniken versprechen eine größere Sicherheit und so ist beispielsweise eine Brustvergrößerung salonfähig geworden“, bestätigt von Heimburg, der auch Nationalsekretär der International Society of Aesthetic Plastic Surgery (ISAPS) ist und damit einen Vergleich zu anderen Ländern ziehen kann. 

Den größten Teil der Patientengruppe bei diesem Eingriff stellen quer durch Europa Mütter ohne weiteren Nachwuchswunsch. „Das ist auch gar  nichts Verwerfliches. Frauen sind heute viel aktiver. Sie bewältigen Berufs- und Familienleben, natürlich zeigt sich das auch am Körper.“ Den Wunsch nach einer Rekonstruktion der Brust oder einer Straffung des Bauchgewebes kann der Schönheitschirurg darum noch am ehesten nachvollziehen.

 Sein Ziel und das seiner Kollegen in offiziellen Verbänden wie dem VDÄPC ist darum ein natürliches Ergebnis, bei dem der Betrachter nicht mehr merkt, daß ein Eingriff vorgenommen wurde. „Die Zeiten, in denen man gewollt dicke, runde Implantate eingesetzt hat, sind vorbei, wir kehren zum Ästhetischen zurück.“ Diesen Sinn für das Ästhetische hätten vor allem viele Jungärzte in Billigkliniken noch nicht ausreichend. Oftmals kommen sie direkt nach der Facharztausbildung in die aufgrund ihrer günstigen Preise boomenden Einrichtungen und müßten ein entsprechendes Können erst entwickeln. 

„Fehler können überall passieren, in geschulten Händen ist das Risiko aber geringer“, versucht von Heimburg auch seinen Patienten immer wieder den merkbar höheren Preis einer qualitativ hochwertigen Operation und des qualitativ hochwertigen Materials zu erklären. Doch nicht nur diese treiben den Preis in die Höhe, sondern auch ein seriöses Vorgespräch und medizinische Untersuchungen. „40 bis 60 Minuten sollte das Gespräch mit einem Patienten mindestens dauern, um seine Beweggründe und die Vorstellungen zu erörtern“, erklärt der erfahrene Mediziner. Vielfach stellt sich heraus, daß die Frau etwa gerade von ihrem Partner verlassen wurde und darum den Wunsch nach einer totalen körperlichen Veränderung hat. Daß eine Schönheitsoperation zu diesem Zeitpunkt das richtige Mittel für die verletzte Psyche sei, bezweifelt von Heimburg und lehnt oftmals ab. Doch auch die entsprechende Betreuung samt Nachsorge kostet Geld. Ein Punkt, an dem viele Kliniken sowohl in Deutschland als auch im Ausland sparen und so einen günstigeren Endpreis „für zwei BH-Größen mehr bitte“ erreichen.

Ähnliche Differenzen wie bei der Brustvergrößerung gibt es aber auch bei der Nasenkorrektur, Fettabsaugungen oder Brustverkleinerungen, die allerdings nur 3,2 Prozent der Operationen ausmachen. Nur bei der Faltenbehandlung müssen Frauen – aber auch immer mehr Männer – überall tief in die Tasche greifen. Das mittlerweile sogar bei unter 30jährigen beliebte Facelifting kostet pro Unterspritzung etwa 400 Euro, mit einem Termin ist es allerdings selten getan. 

Wer sich das nicht leisten kann und will, der ist dafür bestens im Morgenprogramm von RTL-Radio Berlin aufgehoben. Wochenlang wurde dort von Moderator Arno mit einer Gratis- Schönheitsoperation geworben. Einfach die Bilder der Problemzone einsenden, die Klatschredaktion würde diese dann „natürlich anonym“ an einen nicht näher genannten Arzt einreichen, der die Machbarkeit einer Operation beurteile. Und tatsächlich konnte man von Montag bis Freitag hysterisches Kreischen in der Livesendung vernehmen, wenn eine der Gewinnerinnen unter Namensverkündung angerufen wurde. Einmal Körbchengröße D, Rechnung an das Hauptstadtstudio.

 Bedenklich fanden die Vorgehensweise nicht nur etliche Zuhörer, sondern auch die Wettbewerbszentrale. Sie legte schließlich RTL die Einstellung der Sendung nahe. Die Verlosung von medizinischen Behandlungen sei unzulässig, verstoße gegen das Heilmittelgesetz, und das Berufsrecht verbiete Ärzten eine derartige Werbung. Auch der Ärzteverband bezog Stellung gegen das weitere Senken einer Hemmschwelle: „Es darf Patienten nicht erleichtert werden, einen schweren medizinischen Eingriff ohne Notwendigkeit an einem gesunden Körper durchführen zu lassen“, ist auch VDÄPC-Präsident von Heimburg der Meinung. 

Die Wartezimmer der Schönheitsschmieden werden aber längst nicht mehr nur von unzufriedenen Frauen besetzt, immer mehr Männer lassen sich einen persönlichen Makel im Aussehen wegoperieren. Und werden dankbar von den unzähligen Kliniken aufgenommen. Durchschnittlich 13,5 Prozent der Schönheitsoperationen entfallen nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) jährlich auf Männer. 

Gesellschaftlicher Druck läßt Nachfrage steigen

Die meisten Eingriffe betreffen Schlupflider – eine gar nicht so unsinnige Operation, wie Präsident von Heimburg erklärt. „Allerdings erst ab einem gewissen Alter.“ Dann, wenn die seitlich überhängende Haut zu Problemen im Sichtfeld führt, kann eine Lidplastik oder Operation der Tränensäcke für die Betroffenen nicht nur eine optische Verbesserung bedeuten.

Das Potential für die stark wachsende Branche – gab es nach Angaben der Bundesärztekammer im Jahr 2007 ganze 68 plastisch-ästhetische Chirurgen in Deutschland, stieg deren Zahl im vergangenen Jahr auf 574 – ist dennoch vor allem im Männersektor nach oben hin offen. Ein prominentes Negativbeispiel war Michael Jackson, in Deutschland sei die Nachfrage nach skurrilen Operationen aber wesentlich geringer. 

Viele ästhetische Chirurgen lehnen Eingriffe ab, bei denen die Patienten eher entstellt als verschönert werden, es aber selber nicht mehr merken. So auch von Heimburg, der etwa 20 Prozent seiner Klienten ablehnen muß, weil er eine Operation nicht verantworten könnte. „Entweder weil die Vorstellungen die Machbarkeit übertreffen, oder weil es gesundheitlich einfach nicht vertretbar“ wäre. Mit viel weniger Aufwand gehen aber die mittlerweile routinemäßig an Männern durchgeführten Brustverkleinerungen einher. Der Eingriff macht etwa zehn Prozent der Schönheitsoperationen beim „starken Geschlecht“ aus. 

Daß der Anteil der unzufriedenen Männer besonders in Deutschland erstaunlich hoch ist, gibt zu denken. Von Heimburg sieht nicht zuletzt auch die modefixierte Gesellschaft als einen Auslöser: „Slim fit und Fitneßstudiobodys tragen nicht gerade zu einem selbstbewußten Umgang mit seinem Körper bei.“ Jene, die den modischen Trend von enganliegenden Kleidungen und haarlos abgemagerten Männerbrüsten mitmachen, sind auch jene, die den Trend der Schönheitsoperationen mitmachen. Ein längst nicht ausgeschöpftes Marktsegment, wenn die Mode weiterhin mitspielt.