© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/17 / 11. August 2017

Genderfloskeln als Politikersatz
Vertraut Plattes von Judith Butler
Dirk Glaser

Wenn Judith Butler, die Urmutter der Gendertheorie, aus Berkeley zu Gastvorträgen an deutsche Universitäten eilt, sind die Hörsäle stets brechend voll. Eine Star-Professorin tritt auf, die sich als lesbische Frau wie als Israel-Kritikern meilenweit von ihrem Herkunftsmilieu entfernt hat, in das sie 1956 als Tochter strenggläubiger Juden hineingeboren wurde.

Mit jedem neuen Buch wird ihr akademischer Weltruhm allerdings mehr zum Mysterium. Ihr deutscher Verlag, Suhrkamp natürlich, sieht das zwar anders und bewirbt ihr jüngstes Werk mit dem Rezensentenlob, es zeige „die Denkerin auf dem Höhepunkt ihres Schaffens“. Tatsächlich ist diese geistige Höhenluft dünn. Denn Butlers „Anmerkungen“ zur „performativen Versammlungstheorie“ zweitverwertet nur altes Zeug, ihre sattsam vertrauten, öden Ideologeme zur Geschlechterpolitik. 

Neu ist, daß sie es wagt, diese Plattheiten nun als geballte Ladung anzubieten. Der Band wimmelt von Redundanzen. Unzählige Male klagt sie über neoliberale Herrschaftsstrukturen, die „bestimmte Bevölkerungsteile als unbetrauert ausweisen“. Ebenso nervt das mit reichlich Sozialromantik aufgepumpte Widerstandsrezept einer „Allianz der Körper“, die per Demo oder Hausbesetzung sich öffentlichen Raum erobern – nicht etwa das Betriebsgelände von Google. 

Zu welchen grotesken Fehlurteilen die beim Israel-Boykott engagierte politische Analphabetin von den illusionären Positionen ihres Genderismus („bei der großen Mehrheit von uns legen medizinische Fachleute das Geschlecht fest“!) aus notwendig gelangt, dokumentiert ein die „Arabellion“ feiernder Text von 2012 in wünschenswerter Prägnanz. Was auf dem Tahrir-Platz geschah, könnten Demos von „Transgendern und Queers“ nachahmen! So breche sich „radikale Demokratie“ Bahn. Und gemeinsam schaffen alle, die unter einer numinosen – bei Butler selten auf ökonomisch tatsächlich mächtige Urheber zurückgeführten – Bedrohung des sozialen Abstiegs litten, „Bedingungen für ein lebbares Leben“. 

Nur in einer völlig desorientierten Gesellschaft, die solche „Denkerinnen“ hofiert, ist es möglich, mit „Geschlechterpolitik“ à la „Ehe für alle“ die existentiellen politische Probleme des Gemeinwesens zu verdrängen. 

Judith Butler: Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016, gebunden, 312 Seiten, 28 Euro