© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/17 / 18. August 2017

Ländersache: Nordrhein-Westfalen
Die Iren kommen
Christian Schreiber

Im bevölkerungsreichsten Bundesland herrscht in diesen Tagen Aufregung. Von „Rumtreibern und Nomaden“ ist die Rede, an zahlreichen Orten hagelte es Platzverweise. Sie selbst bezeichnen sich als „Pavee“, die Allgemeinheit spricht von „Travellern“ oder „Tinkern“. Es handelt sich um fahrendes Volk mit Wurzeln in Irland. Sie gelten als Nachfahren umherziehender Händler, unter denen sich früher Weber, Schuhmacher oder Erntearbeiter befanden.

Dort wo sie auftauchen, stoßen sie auf Skepsis und Ablehnung. Diebstähle, Lärm, Sachbeschädigung, Müllberge nach illegalem Campen – so manches wird den Landfahrern auf ihren Reisen vorgeworfen. Meist bekommen die Wildcamper die Erlaubnis der Städte, für eine Nacht zu bleiben, müssen dann aber am Folgetag wieder abreisen. In Nordrein-Westfalen mußte die Polizei in den vergangenen Tagen öfter ausrücken. Im sauerländischen Iserlohn habe es mehrere Fälle von Tankbetrug, Diebstahl und Sachbeschädigung gegeben. Ein Traveller zeigte den Hitlergruß, ein anderer lieferte sich eine Verfolgungsjagd mit der Polizei, weil er sich einer Alkoholkontrolle entziehen wollte.

Zu Wochenbeginn war die Gruppe auf 500 Personen mit 140 Gespannen angewachsen. Das Ausmaß der Wanderbewegung sei geringer als es die Schlagzeilen vermuten lassen, betonte ein Sprecher der irischen Traveller-Bewegung ITM gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. „Einige Familien mögen zum Arbeiten ins Ausland reisen, etwa zum Teeren. Aber es gibt traditionell im Sommer keinen allgemeinen Exodus, sicherlich nicht aus Irland.“ Nach Angaben der ITM gibt es in Irland rund 25.000 Traveller oder fast 4.500 Traveller-Familien. Früher reisten sie mit Kutschen, heute sind sie meist mit Wohnwagen und Zelten unterwegs.. Zu ihrer eigenen Kultur zählt auch eine eigene Sprache, die Shelta heißt.

In Deutschland sind die irischen Landfahrer in der Vergangenheit in großen Gruppen bei Zusammentreffen zu gemeinsamen Festen wie unter anderem Hochzeiten aufgefallen. Sie sind aber dafür bekannt, mit dem Asphaltieren von Einfahrten oder Landarbeiten ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Presseberichte über ihr aggressives Verhalten fördern ein negatives Bild, zumal die Finanzierung ihres teilweise aufwendigen Lebensstils unklar erscheint. Die Stadt Bonn mußte vor vier Jahren etwa vier Tonnen Abfälle vom Standplatz entsorgen, nachdem die Besucher einer Hochzeit abgereist waren. Zudem seien kostenlos zur Verfügung gestellte Toilettenhäuser umgeworfen worden. Die Traveller selbst fühlen sich ungerecht behandelt und beklagen Vorurteile. „Viel Lärm um nichts“, erklärte kürzlich auch ein Campingplatz-Betreiber. Rund 60 bis 100 Landfahrer seien im Frühling wie jedes Jahr rund zwei Monate auf seinem Platz gewesen. „Es ist wie immer harmlos verlaufen.“ Anders als erwartet blieb an Mariä Himmelfahrt ein Ansturm der Iren im Wallfahrtsort Kevelaer aus.
Nach jahrelangen Kampagnen erkannte das irische Parlament im März dieses Jahres die Traveller als ethnische Minderheit an. Wissenschaftler in Dublin und der schottischen Universität Edinburgh haben kürzlich herausgefunden, daß es genetische Unterschiede zwischen den Pavee und der irischen Normalbevölkerung gibt. Die hängen offenkundig damit zusammen, daß die Landfahrer jahrhundertelang isoliert waren.