© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/17 / 25. August 2017

„Diese Politik zerstört unser Land“
Gelingt der AfD am 24. September der große Sprung? Alice Weidel und Alexander Gauland wollen die zerstrittene Partei in den Bundestag führen
Moritz Schwarz

Frau Dr. Weidel, Ihr Duo wird gerne als „die Liberale und der Konservative“ beschrieben. Trifft das zu?

Alice Weidel: Freiheitlich-liberal, ja das trifft auf mich zu!

Herr Dr. Gauland?

Alexander Gauland: Edmund Burke, Begründer des angelsächsischen Konservativismus, war selbst Liberaler. Diese Positionen waren nie wirklich getrennt.

Einspruch Frau Weidel?

Weidel: Nein, denn wenn Herr Gauland sagt, er würde gerne auch in hundert Jahren noch über den Marktplatz gehen können, ohne zu glauben, im Orient sei zu sein, halten Sie das möglicherweise für eine rein konservative Position. Das erscheint aber nur deshalb so, weil der Liberalismus bei uns heute politisch korrekt verbogen ist. Was ist tatsächlich klassisch liberal? Die Verteidigung des Lebens, der Freiheit und des Eigentums! Woraus sich die Idee der wehrhaften Demokratie ableitet. Damit sind wir dann bei der Klammer, die Liberalität und nationalen Gedanken der AfD verbindet.  

Also Harmonie – keine Reibungspunkte?

Weidel: Ich muß Sie enttäuschen, wir arbeiten hervorragend zusammen. Vielleicht gibt es einen Reibungspunkt – aber da sind wir beide professionell.  

Daß nämlich Frau Weidel Ihren Freund Björn Höcke aus der Partei werfen will, ist kein Problem für Sie, Herr Gauland?

Gauland: Das Problem ist erst einmal still gestellt. Die Schiedsgerichte der Partei müssen das entscheiden. 

Sein Ausschluß ist eher unwahrscheinlich. Hat Herr Gauland also gut reden, Frau Weidel?

Weidel: Ich habe im Fall Höcke eine gut begründete Position, akzeptiere natürlich aber auch andere Meinungen. Zudem bin ich gewählt worden, um mit Herrn Gauland konstruktiv zusammenzuarbeiten. Zur Professionalität gehört, Differenzen hintanzustellen, um unseren Auftrag zu erfüllen: die AfD erfolgreich in den Bundestag zu führen!  

Nun müssen Sie mit Höcke Wahlkampf machen. Ist das nicht mindestens pikant?

Weidel: Als Spitzenkandidatin bin ich auch für Thüringen da. Es ist es meine Aufgabe, in allen Bundesländern Wahlkampf zu machen.  

Sie, Herr Gauland, gelten als Vertreter des sozialen Flügels, Sie, Frau Weidel, als Vertreterin der sogenannten Marktliberalen. Kommen Sie sich da nicht ins Gehege?

Weidel: Nein, denn die AfD als „Partei der kleinen Leute“, wie Herr Gauland einmal gesagt hat, das kann ich unterschreiben! Warum? Weil zu einer guten Wirtschaftspolitik auch Entlastung für mittlere und untere Einkommensschichten gehört: Die AfD ist klar die Steuersenkungs- und Steuervereinfachungspartei! „Mehr Netto vom Brutto“, das ist das Credo – das automatisch eine gute Sozialpolitik beinhaltet. Denn Leistungsanreize dürfen wir durch zuviel Umverteilung – also zu hohe Besteuerung – nicht zerstören. Und daß unsere Steuer- und Abgabenlast zu hoch ist, kritisiert die OECD jedes Jahr. Dagegen liefert die AfD Konzepte: vereinfachten Stufentarif bei den Einkommenssteuersätzen, Familiensplitting nach dem Divisor-Prinzip – also daß, wie in Frankreich, das Gesamteinkommen durch die Zahl der Familienmitglieder geteilt wird –, Abschaffung der kalten Progression, Senkung der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent, Abschaffung des Soli, eine Abgabenbremse, die sich am BIP orientiert.      

Herr Gauland, kommt Frau Weidel da als Wolf im Schafspelz daher?

Gauland: Nein, Frau Weidel hat recht. Und nach einer aktuellen DIW-Studie hat die AfD inzwischen den größten Arbeiteranteil in der Wählerschaft aller deutschen Parteien, nämlich 34 Prozent – gegenüber CDU/CSU mit 16, SPD mit 17 und Linken mit nur elf Prozent. Unser Programm wird also offenbar vom sogenannten kleinen Mann sehr geschätzt. Der falsche Eindruck einer Konfrontation zwischen Marktliberalen und Sozialen bei uns hat nichts mit der AfD von heute zu tun, sondern mit der Debatte vor Beschluß unseres Parteiprogramms, als die Idee aufkam, die Arbeitslosen- durch eine Privatversicherung zu ersetzen. Was für mich übrigens nie in Frage kam – denn hinter Bismarck gehe ich nicht zurück! Die Idee hat sich nicht durchgesetzt und Frau Weidel hatte auch nichts mit ihr zu tun.

„Deutschland zuerst“ heißt Ihr Wahlkampfmotto. Vorgeworfen wird Ihnen deshalb Nationalismus. Was meinen Sie tatsächlich damit?

Weidel: Ganz einfach: Es bedeutet, daß die Regierung primär die Interessen des deutschen Volkes zu vertreten hat.

Gauland: Richtig. Und es meint nicht: Deutschland allein. Deutschland zuerst ja, aber wir bleiben Teil multilateraler Strukturen. Ja selbst – ich sage aber deutlich: das steht derzeit nicht an – wenn wir gezwungen wären, den Euro oder die EU zu verlassen, sollten wir das nur gemeinsam mit anderen Ländern tun und mit diesen eine neue Ordnung schaffen. Das ist für mich eine Lehre unserer Geschichte nach Bismarck, als wir versuchten, auf eigene Faust zu operieren – was uns wiederholt nicht gut bekommen ist. Als Hoffmann von Fallersleben „Deutschland über alles“ dichtete, meinte er, wir sollten Deutschland über alles lieben, nicht über alle Ordnung stellen.

Über die Bundestagswahlkampagne der AfD haben Sie, Frau Weidel, Mißmut geäußert. Ist das Konzept schlecht?

Weidel: Die Macher haben sich sicherlich große Mühe gegeben, aber es trifft nicht meinen Geschmack. Mit einigen der eher plumperen Plakate erreiche ich meine Wähler nicht – die der bürgerlichen Mitte. Außerdem: Die Kampagne wurde den Landesverbänden fertig vorgesetzt, statt diese einzubeziehen. Fazit: Etliche können mit ihr nichts anfangen.

„Plumpere Plakate“ – zum Beispiel?

Weidel: Etwa, der Islam passe nicht zu unserer Küche, oder Bikini statt Burka. Das ist mir zu flach. Und „Burka? Ich steh’ mehr auf Burgunder!“ verstehe ich nicht einmal. Mein Hauptproblem aber ist, wie Frauen dargestellt werden. Oft erinnert das Frauenbild an eine Volksfestreklame. Immer wieder kommen Frauen in Trachten vor. Ich mag Trachten, aber welche Frau läuft in Deutschland außerhalb von Cannstatter Wasen und Oktoberfest in Tracht herum? Praktisch keine. Wer soll sich also damit identifizieren? Und das, wo wir bereits ein enormes Problem mit der Wählergruppe der Frauen haben, von denen zuletzt nur 15 Prozent für uns stimmten.

Herr Gauland, teilen Sie die Kritik?  

Gauland: Es gibt einige Plakatmotive, die wir schon gemeinsam aussortiert haben, ja. Die Macher der Kampagne wollten allerdings durch einen lockeren Stil die AfD aus der Schmuddelecke holen, in der sie angeblich steht. In den Landesverbänden Bayern und Baden-Württemberg aber wurde das als unernst empfunden. Für diese wirkt die Kampagne, als ob es dem Land gutgehe, das sei nicht angemessen und definiere die politischen Probleme nicht. Andere Landesverbände kritisierten, vor vollendete Tatsachen gestellt worden zu sein. Nun machen einige statt dessen eine alternative Kampagne, die in Bayern entwickelt wurde. Ich respektiere das. Denn man kann niemanden zwingen, Plakate zu kleben, die er nicht möchte.

Welche Rolle spielt Gewalt im Wahlkampf?

Gauland: Es fängt damit an, daß wir in einigen Städten nicht einen Saal für Wahlkampfveranstaltungen bekommen.  

Weidel: Nicht einmal in meinem eigenen Wahlkreis kann ich eine Veranstaltung durchführen. Es ist unglaublich!

Gauland: Selbst Wirte, die vermieten wollen, können das wegen des Drucks nicht. Außerdem: Angriffe auf unsere Plakate, Autos, Büros, Infostände, sogar Wohnungen und Mitglieder selbst.

Was ist im Wahlkampf die größte Herausforderung für Sie?

Gauland: Medial durchzudringen! Wir erleben, daß wir selbst mit neuen und interessanten Themen nicht beachtet werden. Würden Frauke Petry und ich etwas gegeneinander sagen, bekämen wir überall Schlagzeilen. Machen wir aber sachliche politische Arbeit, berichtet kaum ein Medium.  

Weidel: Dazu kommt der TV-Boykott: Unter den 162 Politikern in den vier großen Talkshows „Plasberg“, „Illner“, „Maischberger“ und „Will“ saßen im ersten Halbjahr 2017 nur vier AfD-Vertreter – gerade einmal 2,5 Prozent. Und das, obwohl wir Anfang 2017 noch bei 15 Prozent lagen. Und während wir nicht eingeladen sind, übernehmen Politiker von CDU/CSU, FDP und SPD dort im Wahlkampf etliche unserer Positionen! Allerdings hat man offenbar erkannt, daß man es sich nicht leisten kann, uns aus dem Wahlkampf herauszuhalten, denn jetzt kommen die Einladungen – immerhin.

Die größte Herausforderung für Sie ist nicht Angela Merkel?

Gauland: Nein, denn selbst mit 15 Prozent war die AfD nie groß genug, um Frau Merkel abzuwählen. Das kann, wenn überhaupt, nur die SPD. Allerdings, im Bundestag werden wir eine Opposition sein, vor der sich die Union fürchten wird.  

2015 schien die AfD Gewinnerin der Asylkrise zu sein. Nun aber ist das die Kanzlerin, die fast wieder so gut dasteht wie zuvor. Ist das nicht eine Niederlage für Sie?

Weidel: Für wen das auf jeden Fall eine Niederlage ist, ist Deutschland. Auch wenn Merkel sich berappelt hat, Deutschland hat verloren. Denn es wird die Folgen all ihrer Fehlentscheidungen tragen müssen.

Welche Folgen sind das?

Weidel: Folgen, die viele Wähler offenbar noch nicht spüren, weil ihre Auswirkungen noch nicht bei ihnen angekommen sind: Die langfristigen Folgen etwa der Euro-Rettungspolitik, der Klimawende oder des Asylchaos. Doch das könnte schon bei der nächsten Wahl 2021 ganz anders sein. Am raschesten ist wohl die Erosion der Inneren Sicherheit zu spüren: Schauen Sie in die Statistiken: bei Mord etwa haben sich die Zahlen von 2015 auf 2016 verdoppelt. Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind um 120 Prozent gestiegen. Dann das Delikt Gruppenvergewaltigungen – stellen Sie sich vor, das gab es bis vor kurzem als eigene Rubrik noch gar nicht. Doch „dank“ eines Anstiegs um 130 Prozent innerhalb der Tätergruppe Asylbewerber in nur einem Jahr, ist sie nun offenbar nötig. Während der Verfassungsschutz warnt, daß es in Europa Tausende islamistischer Schläfer gibt. Man darf sich gar nicht vorstellen – denken Sie etwa daran, was gerade in Barcelona passiert ist –, was uns da noch bevorstehen könnte!

Gerade das Sicherheitsgefühl hat sich seit der Bundestagswahl 2013 massiv verändert: Erstaunlich, wie viele Frauen inzwischen Angst haben, nachts auf die Straße zu gehen. Bürger rüsten sich mit Pfefferspray und Waffenscheinen, Attentate selbst in der friedlichen Provinz, Einzug des islamistischen Terrors in der Hauptstadt. Und doch kaum Umfrageverluste für die etablierten Parteien. Wie erklären Sie sich das?

Gauland: Vor der Asylkrise stand die AfD bei etwa drei Prozent, dann bei 15 Prozent. So spurlos ist die Entwicklung also nicht. Aber, grundsätzliche gesellschaftliche Veränderungen vollziehen sich nun mal selten rasch. Meist ist es ein langer Prozeß. Und wäre die Asylkatastrophe weiter öffentlich im Bild so präsent wie 2015, bekämen wir im September 25 Prozent, glauben Sie mir.Nun, zwar hält sie an – aber eben nicht im Bild. Zudem sind Wahlentscheidungen komplexe Vorgänge und oft nicht einfach nur an ein oder zwei Themen gebunden. Was glauben Sie, lieber Herr Schwarz, welche Energie nötig ist, einen Traditionswähler von der Union wegzubringen, selbst wenn er mit Merkels Politik tief unzufrieden ist?

Ihr Ziel kann aber doch nicht sein, nur in den Bundestag zu kommen – sondern zudem auf Kosten der Etablierten. Denn ohne Verluste tut denen Ihr Einzug doch nicht wirklich weh.

Gauland: Doch, auch schon der Einzug tut ihnen weh. Und wenn wir nicht auf Kosten der Union einziehen, dann auf Kosten anderer Etablierter.

Trotz sieben bis zehn Prozent für die AfD –  je nach Umfrage – verzeichnet keine der etablierten Parteien relevante Verluste, sondern etwa die gleichen Zustimmungswerte wie bei der Bundestagswahl 2013. 

Weidel: Jede Wahlanalyse zeigt, daß wir von den Etablierten profitieren. Und schauen Sie nach NRW, dort wurde entgegen der Wahlversprechen von CDU und FDP die Polizei abgebaut. Ich kann nur hoffen, daß die Wähler begreifen, was also von den Versprechen der Etablierten zu halten ist und sie sich das für die Bundestagswahl merken.

Gauland: Außerdem kommen unsere Wähler natürlich nicht nur von den Etablierten, sondern auch von den Nichtwählern und etlichen Kleinparteien.  

Der FDP gelingt im Herbst laut Umfragen wohl eine triumphale Rückkehr. Warum?  

Weidel: Zum Beispiel weil Christian Lindner in NRW eine starke Leistung gezeigt hat, das muß man anerkennen. Jedoch zum Teil auch wieder mit der Übernahme etlicher unserer Forderungen. Aber ich wage zu prophezeien, daß viele der FDP-Wähler im Herbst danach ihr blaues Wunder erleben werden, wenn sie erkennen müssen, wie viele der FDP-Versprechen – mal wieder – nicht umgesetzt werden.

Sind unter den derzeit acht Prozent Zustimmung für die FDP nicht etliche Ihrer Wähler?

Weidel: Tatsächlich schneidet die FDP auch deshalb so gut ab, weil sie als bürgerliche Protestpartei wahrgenommen wird. Das allerdings ist für die AfD auch ein gesundes Korrektiv – daß eine zweite Protestformation am Markt ist, mit der man konkurrieren muß.

Die AfD war diesbezüglich bereits Marktführer, die FDP vom Markt gefegt. Optimale Voraussetzungen, sich als Nummer eins zu behaupten. Doch statt dessen führt nun auch wieder die FDP den bürgerlichen Protest an. Was haben Sie falsch gemacht?

Weidel: Ich kann Ihnen kaum widersprechen, denn wo liegt das Wählerpotential der AfD? In der bürgerlichen Mitte! Also ja, die FDP hat etwas richtig und die AfD hat Fehler gemacht. Hauptfehler war es, zugelassen zu haben, daß das Image als einer bürgerlichen Partei Schaden genommen hat.

Stimmt das, Herr Gauland? Und wenn ja, tragen Sie dann nicht eine Mitschuld?

Gauland: Es ist richtig, daß der Streit unserem Image geschadet hat. Deshalb habe ich gehofft, die Parteiführung würde nach der Dresdner-Rede Björn Höckes – Stichwort Holocaust-Mahnmal – sagen: Erstens: Mist! Zweitens: Teilen wir nicht! Drittens: Deckel drauf. Statt dessen aber strengte sie ein Ausschlußverfahren an. Und so ist es gekommen, wie von mir vorausgesagt: Nun zieht sich dieser Streit durch sämtliche Landesverbände und tritt zudem immer wieder in den Schlagzeilen hervor. Und das irritiert die Wähler. Viele sind zwar sehr großzügig uns gegenüber, weil sie in uns eine Graswurzelpartei mit anarchischen Zügen sehen. Aber daß die Sache nun kein Ende nimmt, nehmen uns doch viele übel. Obendrein ist mit einer Lösung so schnell nicht zu rechnen, weil so ein Verfahren Monate, ja Jahre dauern kann – sehen Sie sich die Ausschlußverfahren gegen Thilo Sarrazin oder Wolfgang Clement bei der SPD an.

Sie stellen auf den internen Streit ab, Herr Gauland. Ihr eigenes internes Strategiepapier sagt aber, schädlich sei auch das Image, daß die AfD „nach rechts scheinbar offen ist, (was) von breiten Teilen der Gesellschaft abgelehnt wird“.

Gauland: Das stimmt. Allerdings in welchem Ausmaß unser Image dadurch und in welchem Ausmaß es durch den Streit beschädigt wird, da bin ich wohl anderer Ansicht als Frau Weidel. Was aber nicht schlimm ist, denn einig sind wir uns, daß beide Faktoren eine Rolle spielen. Jedenfalls haben Frau Weidel und ich auch ein Video aufgenommen, in dem wir an unsere Mitglieder appellieren, darauf zu achten, daß einzelne nicht immer wieder Stuß reden zum Schaden der Partei. Jedoch mache ich einen unbedingten Unterschied zwischen der Rede Björn Höckes – die kein Stuß war und die man inhaltlich so halten kann, die aber nicht in die politische Landschaft paßt – und Vorfällen wie etwa in Sachsen-Anhalt, wo ein AfD-Mitglied Heiko Maas mit Heinrich Himmler verglichen hat. Das etwa ist typischer Stuß. Leider aber bekommt man so etwas in einer offenen Partei wie unserer letztlich nicht wirklich in den Griff und muß irgendwie damit leben.

Aber ...

Gauland: Und lassen Sie mich noch etwas sagen: Frau Weidel hat vorhin gefragt, wo das Wählerpotential der AfD liegt und richtig geantwortet: in der bürgerlichen Mitte. Ja, stimmt. Auch das Meinungsforschungsinstitut Insa hat uns das bestätigt. Dennoch warne ich: Ich warne davor, deshalb den Protestgestus, den wir haben – indem wir uns mit gewissen Straßenprotesten solidarisieren –, aufzugeben. Natürlich ist das ein immerwährender Drahtseilakt. Aber zu glauben, wir könnten eine rein bürgerliche Partei sein und uns vom Straßenprotest – der natürlich manchmal auch nicht so fein ist – abkoppeln, würde uns dorthin führen, wo Bernd Lucke gelandet ist, dessen neue Partei Liberal-Konservative Reformer keiner auch nur wahrnimmt. Fazit: Was wir brauchen ist ein Gleichgewicht zwischen bürgerlichen Reformern und Unterstützung für die  Sorgen und Nöte der kleinen Leute. Wenn laut Studie viele unserer Wähler Arbeiter sind, dann muß ich deren Interessen auch vertreten. Auch wenn da manchmal unfeine Worte fallen. Wir können uns – und ich will das auch gar nicht! – von diesen kleinen Leuten nicht frei machen, denn von ihnen kommt unsere Kraft! Ich erinnere an die frühen Grünen. Dort machten die sogenannten Fundis den ideologischen Kram, und die „Realos“ gingen ins Parlament. Das war eine gute Arbeitsteilung!

Einverstanden Frau Weidel?

Weidel: Wissen Sie, ich mache mittlerweile fast vier Jahre ehrenamtlich für die AfD Politik. Ich tue das gern und mit großem Einsatz. Und warum? Weil mir irgendwann einfach der Hut hochgegangen ist, angesichts all der Rechtsverstöße dieser Regierung. Ich habe es satt, über internen Quark zu diskutieren. Über irgendwelche echten oder vermeintlichen Versehen, über semantische Details, über Wendungen, die nichts mit der Realität zu tun haben. Dabei ist gerade der Realitätssinn das, wofür ich den Konservatismus schätze. Und Realität ist: Bei jedem Bürgerdialog, auf jeder Veranstaltung in den vergangenen Monaten konnte ich feststellen, daß der Protest keine Frage des Milieus mehr ist. Ein Bandarbeiter bei Daimler versteht genauso gut wie ein Arzt oder Anwalt, daß die verfehlte Politik der Kanzlerin Deutschland schadet. Die Themen liegen auf der Straße: Altersarmut, Eurorettung, Steuer- und Abgabenlast, illegale Migration und steigende Kriminalität. Das beschäftigt den Wähler! Was den Wähler aber milieuübergreifend, also vom Arbeiter bis zum Akademiker, nicht beschäftigt, sind hingegen Debatten über Holocaust-Mahnmale oder das Fortpflanzungsverhalten von Afrikanern. Noch nie ist ein Bürger zu mir gekommen und hat sich für solche Themen interessiert. Deshalb warne ich davor, daß wir hobbyideologische Schwerpunktsetzungen mit einem drohenden Verlust unseres „Protestcharakters“ rechtfertigen. Hier müssen wir an uns arbeiten, denn daraus resultieren häufig interne Meinungsstreitigkeiten, und die kosten Zeit. Und eines muß uns klar sein: Jede Sekunde, die wir auf internen Streit verwenden, ist eine verlorene Sekunde für Deutschland. 

Ist das ein Widerspruch zu Herrn Gauland oder verstehe ich Sie falsch?

Weidel: Wieso Widerspruch?

Weil er eben dafür plädiert hat, auch die politisch robustere Klientel, mit den „nicht so feinen“ Äußerungen, ins Boot zu nehmen, das mitunter jene Sachen sagt, über die zu diskutieren Sie offenbar so satt haben.

Weidel: Wissen Sie, ich kann jedem – auch aus der höheren Funktionärsebene – nur empfehlen, sich auch mal an Infostände zu stellen, um zu hören, was der Wähler wirklich denkt. Das ist enorm heilsam! Besonders möchte ich das all jenen Funktionären empfehlen, die immer wieder meinen, sich besonders weit aus dem Fenster lehnen zu müssen – und damit dafür sorgen, daß alle anderen von uns mit in Sippenhaft genommen werden. Und die FDP – davon bin ich felsenfest überzeugt – hätte niemals wieder auch nur einen Fuß auf den Boden bekommen, wenn wir unsere Arbeit gemacht hätten: nämlich sachlich und mit klarer Kante – ja, ich sage, à la Trump – Politik zu machen.  

Herr Gauland, sind es wirklich immer nur Björn Höcke oder André Poggenburg, die sich „weit aus dem Fenster lehnen“? Haben nicht Sie (Stichwort: „AfD ist eine populistische Partei“) und Jörg Meuthen („rotgrün versiffte Republik“), Frauke Petry („völkisch wieder positiv besetzten“) oder Beatrix von Storch („Ja“, auf die Frage, Waffengewalt gegen Frauen und Kinder anzuwenden) zu dem von Frau Weidel kritisierten Mißstand maßgeblich beigetragen?  

Gauland: Sie mischen jetzt durcheinander, was nicht zusammengehört. Nämlich einerseits Fehler wie die Äußerung Frau Petrys oder Frau von Storchs – die sich ja korrigiert hat –, wie sie jedem passieren können. Und bewußte Setzungen andererseits, wie „rotgrün versifft“ oder vielleicht meine Äußerung von der „Kanzlerdiktatorin“. So etwas kann man machen. Es mag nicht jedem gefallen, und man kann es kritisieren, aber ebenso kann man sich legitimerweise dafür entscheiden, das zu sagen. Legitim ist es aber nicht, alles in einen Sack zu packen.

Sie haben dazu das letzte Wort. – Frau Weidel, auf wieviel Prozent tippen Sie am Wahlabend?

Weidel: Ich mache da keine Voraussagen.

Herr Gauland?

Gauland: Ich auch nicht. Und laut Experten werden Wahlen sowieso erst in den vier Wochen davor entschieden. Und wer weiß, was da noch passiert.

Ab welcher Prozentzahl würden Sie von einem Sieg sprechen?  

Gauland: Alles ab zweistellig würde ich für ein sehr gutes Ergebnis halten.

Weidel: Das sehe ich ebenso.

Und einstellig wäre folglich eine Niederlage?

Gauland: Nein, aber es würde zeigen, daß man einiges hätte besser machen sollen.

Weidel: Eine Niederlage wäre es nur, würden wir den Einzug verpassen – was wir aber nicht zu fürchten brauchen.

„Einziehen“ ist nicht alles. Vor Monaten waren Sie noch mit Abstand drittstärkste Kraft. Schafft die AfD den Einzug nun nur mit mittelmäßigem Ergebnis, ist das kein Signal mehr – im Gegenteil, eher Entwarnung: Die Etablierten werden hinter vorgehaltener Hand lächeln: „Puh, nochmal halbwegs gutgegangen.“

Weidel: Da irren Sie sich. Und der Schreck wird spätestens dann groß, wenn wir sie mit guter Parlamentsarbeit in Unruhe versetzen.

Gauland: Eben, und die Unruhe wird schon mit unserem Einzug einsetzen, weil vor allem die Union uns dann ständig als Bedrohung vor Augen hat. Sonst würden etwa Jens Spahn und andere CDU-Leute keine Aussagen machen, die reine AfD-Positionen wiedergeben. Der Punkt, den Sie meiner Ansicht nach übersehen, ist: Mit dem Einzug der AfD würde sich das erfüllen, wovor Franz Josef Strauß immer gewarnt hat, daß sich keine Partei rechts der Union etabliert.    

Mutmaßlich werden Sie im Bundestag durch eine Art „Nationale Front“ der Etablierten isoliert werden und daher keine Anträge durchbringen können. Wird damit Ihre Oppositionsarbeit nicht großenteils bereits ausgehebelt?

Weidel: Erstens werden wir durch sehr gute Parlaments- und Ausschußarbeit Druck vor allem auf die Union aufbauen. Dazu haben wir bereits zu jeder Ausschußart eine Expertengruppe zusammengestellt. Und in den Ausschüssen kann man wirklich auch Einfluß nehmen. Zweitens werden wir versuchen, Verfassungsklagen zu erwirken – etwa gegen die rechtswidrige Flüchtlingspolitik der Kanzlerin und das Netzwerkdurchsetzungsgesetz des Bundesjustizministers.    

Gauland: Außerdem hat man im Bundestag einen ganz anderen öffentlichen Resonanzboden – das können Sie mit den Landtagen gar nicht vergleichen.

Haben Sie keine Angst, durch Isolation in der Opposition zu „verhungern“? Das ist schon anderen Parteien vor Ihnen passiert – die übrigens sogar mit mehr Prozenten, als Sie möglicherweise haben werden, eingezogen sind.

Weidel: Das ist nicht vergleichbar. Das sehen Sie etwa im Berliner Abgeordnetenhaus, wo Anträge der AfD-Fraktion auch von anderen mitgetragen werden.

Wer wird Fraktionschef?

Gauland: Das bestimmt die Fraktion.

Sie beide sind natürlich die heißesten Kandidaten. Die Frage ist nur, wer von beiden?

Weidel: Jetzt geht es doch erstmal darum, die AfD in den Bundestag zu bringen.

Werden Sie das Duo fortsetzen, also als Doppelspitze die Fraktion führen?

Weidel: Herr Schwarz, Sie kriegen uns nicht.

Herr Gauland, Sie werden informell mächtigster Mann der Fraktion sein. Wenn Sie nicht selbst Chef werden wollen, werden de facto nicht Sie darüber entscheiden, wer statt dessen?  

Gauland: Wissen Sie, was ich so erlebe? Ich erlebe, daß Leute zu uns kommen und schon Posten haben wollen. Dazu hat Frau Weidel einen schönen Satz geprägt: „Wer Langeweile hat, der kann sich gerne bei mir ein paar Faltblätter abholen.“

Welche Rolle wird Frauke Petry in der Fraktion spielen?

Gauland: Das wissen wir nicht.

Frau Weidel?

Weidel: Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Mein Planungshorizont hat sich durch diesen intensiven und wohl wichtigsten Wahlkampf unserer Partei so verkürzt, daß ich voll auf ihn konzentriert bin. Wir beide machen zu zweihundert Prozent Wahlkampf, und was danach ist, ist eine Frage, mit der wir uns danach beschäftigen.

Nach einem Bundestagseinzug würde die Musik natürlich nicht mehr in der Parteiführung, sondern in der Fraktion spielen. Was bedeutet das für die Parteivorsitzenden Petry und Meuthen?

Gauland: Das mag schon sein, aber daraus kann ich nichts ableiten, weil da viel zu viele Unwägbarkeiten im Spiel sind. Entscheidend ist jetzt alleine, in möglichst großer Mannstärke in den Bundestag einzuziehen.

Fühlen Sie sich von Frau Petry im Wahlkampf unterstützt?

Gauland: Nun ja ... ich würde sagen, wenn sie sich in der Fraktion ins Team einfügt, dann wird auch sie dort natürlich eine gewichtige Rolle spielen. Es hängt von ihr ab, ob sie das will oder nicht.

Weidel: Teamfähigkeit ist allgemein das Stichwort für die kommende Fraktion! Entscheidend ist, wer Mannschaftsgeist besitzt. Führungsfähigkeit besteht natürlich auch aus entschlossener Führung, aber ebenso aus sozialer Kompetenz. Auch deshalb, weil nur so jene Experten, die tatsächlich am besten für die Lösung bestimmter Aufgaben in der Fraktion geeignet sind, zum Zuge kommen können. Was wiederum zum Erfolg der Fraktion beiträgt.

Herrn Gaulands Strategiepapier stellt auch fest, daß der AfD die Themen „abhanden“ gekommen sind – Euro-, Asylkrise und Islam spielen beim Wähler nicht mehr die Rolle wie früher. Haben Sie eine Gegenstrategie?

Gauland: Ja, das ist derzeit so. Es gibt uns aber die Möglichkeit, uns mit anderen Themen vorzustellen. Denn wir haben viel mehr in petto als nur diese drei. Auch wenn ich mir keine Illusionen darüber mache, daß sie unsere Kernthemen sind.

Weidel: Nicht nur das, auch die Asylkrise von 2015 ist doch längst noch nicht ausgestanden. Im Gegenteil, ihre wahren Probleme beginnen jetzt erst. Was glauben Sie, was los ist, wenn sich etwa erst mal der Familiennachzug allein nur der Ankömmlinge von 2015 voll entfaltet hat. Allein auf diese Weise könnten am Ende sechs bis acht Millionen Menschen ins Land kommen. Das wären bis zu zehn Prozent der Bevölkerung! Ich sage also voraus, daß sich unser Land allein schon aufgrund der Krise von 2015 in den nächsten Jahren massiv verändern wird. Vielleicht so sehr, daß wir es bis zur Wahl 2021 nicht mehr wiedererkennen. Das ist heute ja schon auf unseren Straßen sichtbar. Und zwar nicht nur wegen der Einzeltäter, die rumpöbeln, rumspucken, rumtreten, rumgrapschen und rumvergewaltigen. Man hat heute schon Furcht, auf die Straße zu gehen oder mit Bus und Bahn zu fahren. Dann die Parallelgesellschaften in Berlin, Duisburg oder anderswo, die sich auch durch einwandernde EU-Bürger aus dem Osten und durch massiven Sozialbetrug speisen – all das ist nicht mehr hinnehmbar. Vielleicht merken das viele Bürger noch nicht, weil die Entwicklung wie bei dem Frosch im Kochtopf ist, dessen Temperatur nur langsam erhöht wird. Immer mehr merken es aber! Und hoffentlich bevor es der Politik gelungen ist, das Land zu zerstören. Und hoffentlich vertrauen sie statt dessen der AfD, die alles tut, um diesen Zug auf dem falschen Gleis noch vor der Katastrophe aufzuhalten. 






Dr. Alice Weidel, ist Mitglied im Bundesvorstand der AfD, leitet deren Bundesfachausschuß Euro und Währung und sitzt in der Bundesprogrammkommission, die sie bis Januar 2016 geleitet hat. Die Diplomkauffrau und Volkswirtin war zunächst bei Goldman Sachs beschäftigt, wo sie Pensionsfonds und Versorgungswerke von Unternehmen und internationalen Organisationen beriet, arbeitete dann in China und im europäischen Ausland und war im Vorstandsbüro der Allianz Global Investors tätig. Heute baut sie internationale Start-up-Unternehmen mit auf. Weidel, die die Kandidatenliste in Baden-Württemberg anführt, wurde 1979 in Gütersloh geboren. 

Dr. Alexander Gauland, ist stellvertretender Bundesvorsitzender sowie Fraktionsvorsitzender der AfD in Brandenburg, wo er von Oktober 2014 bis April 2017 auch Landesvorsitzender war. Der ehemalige Staatssekretär im Bundesumweltministerium war von 1973 bis 2013 Mitglied der CDU und leitete von 1987 bis 1991 die hessische Staatskanzlei unter CDU-Ministerpräsident Walter Wallmann. 1991 bis 2006 war er Herausgeber der Märkischen Allgemeinen in Potsdam sowie zeitweilig Kolumnist des Berliner Tagesspiegel. Er veröffentlichte etliche Bücher, darunter „Anleitung zum Konservativsein“. Geboren wurde der Jurist 1941 als Sohn eines durch die NSDAP frühpensionierten Polizeiobersten in Chemnitz.

 

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