© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/17 / 25. August 2017

Eher unwahrscheinlich
Gebietsreform verschoben: Der Koalitionsknatsch in Thüringen läßt die Chancen für ein rot-rot-grünes Bündnis auf Bundesebene weiter schwinden
Christian Schreiber

Nach Niedersachsen könnte in Thüringen das nächste linke Regierungsprojekt scheitern. Die Linkspartei, die mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten stellt, müht sich verzweifelt um eine Vermittlerrolle. Der SPD-Vorsitzende Andreas Bausewein drohte einem Bericht der Thüringer Allgemeinen zufolge in der vergangenen Woche erstmals offen mit einem Scheitern des deutschlandweit ersten Bündnisses unter Führung der Linkspartei: „Die Grünen müssen sich im klaren darüber sein, daß sie mit ihrer Verzögerungstaktik das gesamte Vorhaben gefährden – und damit in der Konsequenz auch das rot-rot-grüne Bündnis.“ 

Im Kern geht es bei dem Streit um eine Gebietsreform (JF 20/17). Die Fronten sind derart verhärtet, daß niemand mehr im Falle einer Abstimmung für eine Mehrheit im Landtag garantieren mag. Sollte ein Abgeordneter aus dem Bündnis mit Nein stimmen, wäre das von Ramelow vorangetriebene Projekt am Ende. Vorgesehen war eine Reduzierung der 17 Landkreise und 850 Gemeinden, von denen am Ende nur 200 übrigbleiben sollen. Die Grünen als kleinster Koalitionspartner waren stets skeptisch, hatten sich bis vor kurzem aber der Koalitionsdisziplin gebeugt. Dann votierte ein Kleiner Parteitag gegen die Gebietsreform. Die Landtagsabgeordneten sind daran zwar nicht zwingend gebunden, dennoch entschied sich die Koalition, das Projekt bis 2021 zurückzustellen. 

Denn eine Mehrheit war schon deshalb wackelig, weil sich auch in Reihen der SPD-Kommunalpolitiker großer Widerstand gegen das Projekt regte. Eine Abstimmung mit offenem Ausgang sollte offenbar unbedingt verhindert werden. Regionale Medien berichten von anstehenden Parteiwechseln. Bereits im Frühjahr war eine Abgeordnete von der SPD zur CDU gewechselt und hatte die Mehrheit damit auf eine Stimme schmelzen lassen. Zur SPD wiederum gehört Oskar Helmerich, der 2014 auf der Liste der AfD in den Landtag gewählt worden und nach einem Zerwürfnis mit Fraktionschef Björn Höcke später zur SPD gewechselt war. 

Der durch die Verschiebung des Projekts notdürftig ausgehandelte Koalitionsfrieden war gerade ein paar Tage alt, da gab es schon wieder Unruhe. Der neugeschaffene Posten des für die Kreisgebietsreform zuständigen Staatssekretärs sorgte in den Reihen der Koalition für erhebliche Aufregung. Grünen-Fraktionschef Dirk Adams kritisierte , die Kommunikation der SPD mit den Koalitionspartnern sei „unglücklich gelaufen“. Am Montag warf der dafür ausersehene Harald Zanker (SPD) schließlich entnervt hin, da er am Reformwillen der Grünen zweifle.

Was die Koalition noch zusammenhält, ist die Tatsache, daß es bei einem Scheitern wohl nur Verlierer geben würde. Zwar käme die Linkspartei nach aktuellen Umfragen immer noch auf mehr als 20 Prozent, würde das Ergebnis von 2014 aber deutlich unterbieten. Die chronisch schwache SPD kämpft um ein wenigstens zweistelliges Ergebnis und die Grünen wären vom Scheitern an der Fünfprozenthürde bedroht.

Angesichts der Turbulenzen in Thüringen scheint ein solches Bündnis auf Bundesebene nach der Bundestagswahl Ende September nahezu ausgeschlossen. Der Linken-Politiker Gregor Gysi rief seine Partei kürzlich fast schon verzweifelt zu Kompromissen auf. „Wir sollten SPD und Grünen ein klares Angebot machen“, sagte Gysi dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der ehemalige Linken-Fraktionschef will etwa in strittigen Fragen der Außenpolitik auf die beiden Parteien zugehen. 

Die Parteispitze um Katja Kipping und Bernd Riexinger forderte den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz auf, sich für einen Politikwechsel auszusprechen. Dieser verhalte sich derzeit wie ein Blättchen im Wind. Einen direkten Zweikampf mit Kanzlerin Angela Merkel werde er immer verlieren. „So wie es derzeit aussieht, ist Rot-Rot-Grün nicht die wahrscheinlichste Option“, sagte Kipping.