© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/17 / 25. August 2017

Graue Wölfe im schwarzen Schafspelz
Deutsch-Türken: Recep Tayyip Erdogan fordert zum Wahlboykott auf / Dabei sind einige seiner treuesten Anhänger auch in der CDU aktiv
Christian Vollradt / Hinrich Rohbohm

Für ihn ist es eine Frage der Ehre: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat „meine Bürger in Deutschland“ dazu aufgerufen, bei der Bundestagswahl am 24. September nur für Parteien zu stimmen, die die „antitürkische Politik“ nicht mittragen. Also auf keinen Fall für CDU, SPD oder Grüne. „Sie sind alle Feinde der Türkei“, sagte Erdogan laut der amtlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Für die Spannungen mit der Türkei sei allein Deutschland verantwortlich. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) kritisierte Erdogans Aufruf scharf. „Das ist ein bislang einmaliger Akt des Eingriffs in die Souveränität unseres Landes“, sagte Gabriel dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Dies zeige, daß Erdogan „die Menschen in Deutschland gegeneinander aufhetzen will“.

„Wir rechnen mit deutlich niedrigerer Wahlbeteiligung“

Beobachter rechnen damit, daß die Worte des türkischen Präsidenten hierzulande unter türkischstämmigen Wahlberechtigten auf fruchtbaren Boden fallen werden. Nicht zuletzt, weil viele sich überwiegend oder sogar ausschließlich über regierungsnahe türkische Medien informieren, die zur Zeit auf Krawall in Richtung Berlin gebürstet sind. „Wir rechnen diesmal mit einer deutlich geringeren Wahlbeteiligung der Türkeistämmigen“, meinte etwa Joachim Schulte vom Meinungsforschungsinstitut Data 4U. In einer Befragung im Auftrag der erdogantreuen Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) gaben 15 Prozent an, sie wollten bei der nächsten Bundestagswahl nicht wählen, 41 Prozent waren noch unentschlossen. Und: „Nur ein Drittel der Deutsch-Türken schaltet zumindest hin und wieder einen deutschen Sender ein“, so Meinungsforscher Schulte.

In Deutschland leben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes knapp drei Millionen mit türkischen Wurzeln. Etwa 1,3 Millionen von ihnen sind in Deutschland wahlberechtigt. Betrachtet man die bisherige politische Verortung der Deutsch-Türken, so dürfte der Boykott-Aufruf in erster Linie die SPD treffen, der laut einer 2016 veröffentlichten Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration fast 70 Prozent zuneigen (JF 48/16). Nur 6,1 Prozent tendieren zur Union, die damit noch hinter Grünen und Linkspartei rangieren (siehe Grafik). Daß so viele Türkischstämmige in Deutschland zu Parteien links der Mitte tendieren, hat nichts mit progressiven Überzeugungen zu tun, sondern ist vor allem der Tatsache geschuldet, daß sie als „migrationsfreundlicher“ wahrgenommen werden (Stichwort: doppelte Staatsangehörigkeit).

Daß die traditionsgebundenen und konservativen Deutsch-Türken, die in ihrem Herkunftsland „rechts“ wählen, in Deutschland aber das Kreuz links machen, hat in der CDU – vor allem in Nordrhein-Westfalen – Begehrlichkeiten geweckt, was das mögliche Wählerpotential angeht. Mit dem Deutsch-Türkischen Forum, das mittlerweile unter dem neuen Namen „Union der Vielfalt“ (UdV) firmiert, warben die Christdemokraten gezielt um bürgerliche türkischstämmige Mitglieder. Allerdings um den Preis, daß sich da mancher mit zwielichtigen Verbindungen zur sich immer stärker nationalistisch gebärdenden AKP, zu türkisch-extremistischen Organisationen wie der Ülküci-Bewegung (Graue Wölfe) oder zur islamistischen Milli Görüs (IGMG) einnistete.

Zu denen, die frühzeitig vor dieser Gefahr gewarnt hatten, gehört die Düsseldorfer Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel: „Ich möchte in meiner CDU keine Extremisten“, stellte sie bereits 2014 mit Blick auf Sympathisanten der Grauen Wölfe in der NRW-Union klar. „Mit dem grundsätzlichen Problem, daß anscheinend immer mehr Extremisten versuchen, sich in anerkannten gesellschaftlichen Institutionen zu engagieren, um so für ihre undemokratischen Ziele zu werben, muß sich die CDU und auch unsere Gesellschaft insgesamt auseinandersetzen, wenn sich nicht grundlegende Koordinaten unseres Zusammenlebens verschieben sollen.“

Ein CDU-Ratsherr aus Wuppertal, der anonym bleiben möchte, weiß aus eigener Erfahrung bezüglich der Grauen Wölfe sowie der IGMG zu berichten: „Die rufen sogar öffentlich dazu auf, die deutschen Parteien zu unterwandern.“ Allein in seinem Kreisverband sei von fünf Mitgliedern bekannt, daß sie der Milli Görüs (IGMG) angehören. Ein weiteres Mitglied habe ihm einmal „stolz offenbart“, daß es den Grauen Wölfen angehöre. „Die Leute werden von den Kreisvorständen kritik- und kommentarlos aufgenommen, es findet ja praktisch keine Überprüfung auf einen ausländisch-extremistischen Hintergrund statt“, beklagt sich der Kommunalpolitiker im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. 

Sauer aufgestoßen ist manchem innerhalb der NRW-Union auch das Verhalten der Bundestagsabgeordneten Cemile Giousouf und der früheren Landtagsabgeordneten und jetzigen Integrationsstaatssekretärin Serap Güler. Die beiden hatten sich öffentlichkeitswirksam mit Vertretern von Milli Görüs gezeigt. Giousouf soll zum Ärger der Parteifreunde auch in einem den Grauen Wölfen nahestehenden Verein in Duisburg zu Gast gewesen sein, heißt es in einem parteiintern kursierenden Papier. 

Für Empörung sorgte eine Äußerung des Gelsenkirchener CDU-Stadtverordneten Ilhan Bükrücü über Erdogan: Der habe bisher nichts gemacht, „was nicht demokratiekonform“ sei. Bükrücü soll 2015 den Wahlkampf der AKP in Deutschland unterstützt haben und dafür ausgezeichnet worden sein. 

In Niedersachsen kam es unterdessen zu der kuriosen Situation, daß die Landes-CDU zwar einerseits die Verhandlungen in Sachen Islamvertrag mit dem Moscheeverband Ditib wegen dessen mangelnder Distanz zum Erdogan-Regime auf Eis legte, andererseits aber die Tochter des niedersächsischen Ditib-Chefs und frühere Vorsitzende der deutschen Ditib-Jugendorganisation „Bund der Muslimischen Jugend“, Sümeyra Kilic, bei der Kommunalwahl 2016 für den Stadtrat von Melle bei Osnabrück kandidieren ließ. Ein Widerspruch? Nein, meinte CDU-Generalsekretär Ulf Thiele. Die Kritik an Ditib richte sich gegen den möglichen Einfluß der türkischen Religionsbehörde auf den Verband. „Wir verwahren uns zugleich dagegen, die Mitglieder und Funktionsträger von Ditib pauschal zu stigmatisieren.“ Das widerspräche den Wertvorstellungen der Partei. Auch in anderen Kommunen des Landes kandidierten hochrangige Ditib-Funktionäre für die CDU. 

Beim CDU-Bundesparteitag im November vergangenen Jahres hatten unter anderem zwei Berliner Kreisverbände einen weitgehenden Unvereinbarkeitsbeschluß beantragt. Die Partei müsse „klare Kante zeigen und deutlich benennen, daß Erdogan-Anhänger und andere Antidemokraten in der CDU nichts zu suchen haben“, so Falko Liecke, stellvertretender Bezirksbürgermeister in Neukölln, in der Welt am Sonntag. Nach dem Willen der Antragsteller sollte daher die Mitgliedschaft in der CDU nicht vereinbar sein mit einer Mitgliedschaft in der AKP, bei Milli Görus oder in der AKP-nahen UETD. Das gleiche sollte auch für die Gülen-Bewegung, die rechtsextremen Grauen Wölfe sowie die kurdische Terrororganisation PKK gelten.

Der Parteiführung paßte diese konkrete namentliche Nennung nicht und so blieb am Ende nur eine ziemlich allgemeine Formulierung übrig, die im Zweifel viel Interpretationsspielraum läßt: „... daß eine Mitgliedschaft in der CDU mit einer Mitgliedschaft in einer Organisation unvereinbar ist, deren Ziele nach dem sachlich gerechtfertigten Verständnis der CDU die gleichzeitige Verfolgung der Ziele und Grundsätze der CDU ausschließen und dadurch die Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft der CDU beeinträchtigt.“

Nicht einfach, jemanden  aus der Partei zu werfen

Doch ohnehin mangele es in der Praxis vielen CDU-Funktionären an „Mut und Entschlossenheit, gegen solche Leute vorzugehen“, beklagt ein lieber ungenannt bleibender CDU-Ortsvorsitzender aus Nordrhein-Westfalen gegenüber der jungen freiheit. „Es ist nicht so einfach, jemanden aus der Partei auszuschließen. Das kann sich über einen längeren Zeitraum hinziehen. Und wenn das betroffene Mitglied dann am Ende nicht ausgeschlossen werden kann,weil die Beweise nicht stichhaltig genug sind, ist die Blamage groß.“ Deshalb sei es effektiver, solchen Leuten innerhalb der Partei so wenig Spielraum wie möglich einzuräumen. Aber auch er gibt zu, daß die mangelnde Überprüfung von Mitgliedsanträgen „zu Problemen“ führe. Immerhin: In Hamm hat die CDU im Januar nach einem über zwei Jahre währenden Verfahren den Kommunalpolitiker Zafer Topak ausgeschlossen, der sich seiner Mitgliedschaft bei den Grauen Wölfen (Ülkücü) gebrüstet hatte. 

Cemile Giousouf indes ist seit ihrem Votum für die Armenien-Resolution im Bundestag 2016 bei den türkischen Nationalisten unten durch. Zeitweise brauchte sie wie andere türkischstämmige Abgeordnete Polizeischutz. Vielleicht – Ironie des Schicksals – erleichtert nun ausgerechnet Erdogans Wutrede wider die Feinde der Türkei im deutschen Parteienspektrum den Christdemokraten diesen Selbstreinigungsprozeß.