© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/17 / 25. August 2017

Gewarnt – und trotzdem überrascht
Spanien: Der islamistische Terroranschlag in Barcelona trifft die Nation zur Unzeit
Michael Ludwig

Lange Zeit wähnte sich Spanien vor dem Terror in Sicherheit, schließlich war es schon über 13 Jahre her, daß die Islamisten zuletzt zugeschlagen hatten – bei einer Serie von Attentaten auf Vorortzüge in Madrid starben damals 191 Menschen. Nun schien der Friede eingekehrt zu sein – die Blutspur zog sich durch andere Städte: Brüssel, Paris, Berlin, London.

Barcelona galt schon lange als besonders gefährdet

Doch bereits im Frühjahr 2015 hatte  das Innenministerium in Madrid eine breit angelegte Untersuchung durchgeführt, um die Gefahrenherde rechtzeitig in Erfahrung  zu bringen. Das Ergebnis: die Gefahr, daß es zu einem blutigen Anschlag kommt, ist in Katalonien am größten (JF 13/15).

Den Quellen zufolge, die die Tageszeitung ABC zitierte, bestehe in der nordöstlichen Provinz ein Gefahrenpotential von 29 Prozent. Rund 400.000 Islamgläubige lebten dort, es gebe 268 Moscheen und Gebetshäuser – mehr als in allen anderen Teilen des Landes. In einer bereits früher bekanntgewordenen Einschätzung der US-Botschaft in Madrid hieß es dazu: „Die enorme Einwanderung, legal wie illegal, von Nordafrika sowie aus Pakistan und Bangladesch verwandelt die Region in einen Magneten, der Terroristen anzieht und in ein ideales Terrain, um neue zu rekrutieren.“ Barcelona galt und gilt als besonders gefährdet.

Am Donnerstag vergangener Woche kehrte die Wirklichkeit dann auf grausame Weise zurück. Bei blutigen Anschlägen von Dschihadisten in Barcelona und in der Küstenstadt Cambrils kamen 14 Personen ums Leben, über 100 wurden verletzt. Die Verbrechen treffen das Land in einer innenpolitisch hochexplosiven Lage. Sie führen womöglich dazu, daß sich die Fronten zwischen Madrid und Barcelona noch weiter verhärten werden. 

Zunächst schien es so, daß der Terror die beiden verfeindeten Seiten eher zusammenführt, denn weiter auseinanderdriften läßt. Die gesamte spanische Bevölkerung bekundete ihren Schmerz über das, was in der katalanischen Hafenstadt geschehen war, und die große und eindrucksvolle Trauerfeier am vergangenen Freitag, an der rund 100.000 Menschen teilnahmen, ließ plötzlich ein Gefühl der historischen und emotionalen Verbundenheit aufkommen, das man längst verloren glaubte. 

Der Schatten, den der Terror über die nordöstliche Provinz warf, einte die Menschen, aber führt er auch die Politiker zusammen, die wie feindliche Brüder auseinanderstreben? 

Mitte vergangener Woche explodierten in der Stadt Alcanar, rund 200 Kilometer südlich von Barcelona, in einem Haus über einhundert Gasflaschen sowie Sprengstoff mit der Bezeichnung TATP, den Dschihadisten verwenden und wegen seiner verheerenden Wirkung „Mutter des Satans“ nennen. Das Haus wurde völlig zerstört, zwei Menschen – darunter der gesuchte Imam der muslimischen Gemeinde in Ripoll Abdelbaki Es Satty, der als Kopf der Terrorzelle genannt wird – kamen darin um. 

Nach Angaben der katalanischen Polizei Mossos vereitelte der Unfall einen verheerenden Anschlag. Das spanische Online-Portal „El Confidencial“ will erfahren haben, daß die Islamisten die von Antoni Gaudí entworfene Basilika „Sagrada Familia“ in die Luft sprengen wollten. Die Basilika gilt als das bekannteste Wahrzeichen Barcelonas und wird jeden Tag von Tausenden von Touristen besucht.

Nachdem „Plan A“ der Terroristen gescheitert war, verwirklichten sie – offensichtlich überstürzt – ihren „Plan B“. Knapp 24 Stunden später raste ein Lieferwagen auf der Flaniermeile der katalanischen Metropole, Las Ramblas, wahllos in die Menschenmenge – 13 Menschen starben, rund 100 wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt, darunter 13 Deutsche. 

Wenige Stunden darauf erschoß die Polizei im Küstenort Cambrils südlich von Barcelona fünf mutmaßliche Terroristen, die auf der Promenade mit Messern und Äxten eine Frau getötet hatten. Für beide Anschläge hat der Islamische Staat die Verantwortung übernommen. Die Mitglieder der Terrorzelle, die sie ausgeführt haben, haben arabische Wurzeln und stammen fast alle aus Marokko. 

Scharmützel zwischen Katalanen und Madrid

Der Fahrer des Lieferwagens, ein 22jähriger Marokkaner namens Younes Abouyaaqoub, wurde nach einer mehrtägigen Fahndung in einem Weinberg nahe der katalanischen Gemeinde Subirats von der Polizei gestellt und erschossen. Vier weitere  Anhänger des Islamischen Staates, die in die Attentate verwickelt sein sollen, sitzen in Haft.

Die Anschläge treffen Spanien zur Unzeit. Die Provinzregierung Kataloniens hat angekündigt, am 1. Oktober die Bevölkerung darüber abstimmen zu lassen, ob sie sich vom spanischen Mutterland trennen und einen eigenen, unabhängigen Staat ausrufen soll. Die Regierung in Madrid hält dies für verfassungswidrig und will es mit allen Mitteln verhindern. Wechselseitige Beschimpfungen und Drohungen machten die Runde, an ernsthafte Verhandlungen dachte keine der beiden Seiten. 

Als Ministerpräsident Mariano Rajoy in Barcelona eintraf, um an den Trauerfeierlichkeiten  teilzunehmen, brachte er nicht nur sein Mitgefühl für die Opfer zum Ausdruck, sondern appellierte in indirekter Weise auch daran, die Einheit des Landes zu bewahren: „Ich will die Solidarität ganz Spaniens mit der Stadt Barcelona zum Ausdruck bringen. Wir sind vereint, um den Terrorismus zu besiegen.“ König Felipe VI. schlug in die gleiche Kerbe, als er sagte: „Ganz Spanien ist Barcelona.“ 

Ob diese Worte auf fruchtbaren Boden fallen werden, scheint allerdings zweifelhaft. Kataloniens Präsident Carles Puigdemont hatte schon kurz nach dem Anschlag erklärt, daß dieser nichts an dem „Fahrplan zur Unabhängigkeit“ ändern werde. 

Als nicht besonders feinfühlig in dieser schwierigen Situation zeigte sich der Verantwortliche für die katalanische Sicherheit, Joaquin Form, der in einem Rundfunkinterview erklärte: „Es gibt vierzehn Tote: eine Italienerin, eine Portugiesin, eine Frau mit spanischen und argentinischem Paß, zwei Katalanen und zwei mit spanischer Nationalität …“ Diese Unterscheidung zwischen katalanischer und spanischer Nationalität, die bislang nicht existiert, löste in der spanischen Presse helle Empörung aus. Die kompromißlose Unabhängigkeitsbewegung „Asamblea Nacional Catalana“ (ANC) setzte dem noch eins obendrauf. „Wenn du Solidarität mit Barcelona demonstrieren willst, hisse die katalanische Fahne, nicht die spanische.“

Die linksradikale Anti-System-Partei CUP hat angekündigt, daß sie bei der geplanten Großdemonstration an diesem Sonnabend, die dem Terrorismus die Stirn bieten soll, nicht vertreten sein wird. 

Besonders auf den König hat es die CUP abgesehen, der neben den Spitzenpolitikern des Landes ebenfalls in Barcelona erwartet wird. „Die ganze Welt weiß, welche freundschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen die spanische Monarchie mit den Monarchien am Persischen Golf pflegt – wie Katar und die Emirate –, die den Dschihad finanzieren und die dafür verantwortlich sind, was in Barcelona geschehen ist.“

 Bei der CUP handelt es sich nicht um irgendeine Splitterpartei, sondern um eine Bewegung, die im katalanischen Parlament vertreten ist und auf deren Stimmen Regierungschef Puigdemont angewiesen ist.