© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/17 / 25. August 2017

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Wo nämlich der politisch Ungenehme als ‘Wolf’ und ‘gemeingefährlicher Radikaler’ angezeigt werden darf und die großen Meinungstrusts und Bewußtseinsmonopole keinen besseren Ehrgeiz kennen als die große Koalition noch einmal im kleinen Proporz nachzubilden, da ist wohl Feierabend mit den herkömmlichen Begriffen von ‘Demokratie’ und ‘freier Meinungsbildung’.“ (Peter Rühmkorf, 1967)

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Das Pew Research Center hat eine Untersuchung zur wechselseitigen Einschätzung von EU-Mitgliedsländern durchgeführt. Auf die Frage, welches Land die größte Produktivität besitze und unbedingtes Vertrauen verdiene, antwortete man in Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien, Tschechien, Polen: Deutschland. In Griechenland antwortete man: Griechenland.

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Fortschritt A: Die Ausstrahlung der BBC-Sendung „Dinge, die man jemandem, der eine Burka trägt, nicht sagt“ hat im Vereinigten Königreich zu Irritationen geführt. Manche Zuschauer glaubten, es handele sich um Satire, denn zu dezenten Jazzklängen im Hintergrund unterhielten sich zwei vollverschleierte Damen über ihre Erfahrungen mit Menschen, die an ihrer Kleidung Anstoß nehmen. Der Sender hat mittlerweile aufgeklärt, daß das Projekt ganz ernst gemeint sei und dem Ziel diene, Unverständnis und Vorurteile in der Bevölkerung abzubauen.

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Fortschritt B: In Belgien ist es zukünftig möglich, die Führerscheinprüfung auf arabisch abzulegen.

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Fortschritt C: Der Bürgermeister der britischen Stadt Oldham, Shadab Qumer, hat die Sitzung des Rates am 12. Juli mit dem Gebet eines Imams eröffnen lassen. Wie man dem Video auf der offiziellen Netzseite von Oldham entnehmen kann, erhoben sich alle Mitglieder brav und senkten andächtig die Köpfe.

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Die Äußerung der Linken-Abgeordneten Halina Wawzyniak, daß die SED im Kern eine „rechte Partei“ gewesen sei, hat unverdiente Aufmerksamkeit erfahren. Unverdient insofern, als es zu den politischen Taschenspielertricks der Linken gehört, ungenehme Linke zu Rechten zu erklären. Das begann nicht erst mit dem erweiterten Faschismus-Begriff Stalins, der die trotzkistische Konkurrenz wie die Sozialdemokraten („Sozialfaschisten“) traf, erreichte da aber einen ersten Höhepunkt. Interessanter sind die Vorhaltungen von Habermas gegen Dutschke, der mit dem Gewaltbegriff herumspielte und sich deshalb den Verdacht einhandelte, einem „linken Faschismus“ den Boden zu bereiten. Diese Wendung gegen die Neue Linke hatte allerdings auch schon Tradition. Viele Beobachter der Entwicklung in den USA waren durch den um sich greifenden Irrationalismus der Jugendbewegung verstört. Da erschienen selbst die Blumenkinder als „nette kleine Faschisten“ (Arnold Wesker) und die Radikalen auf dem Campus als „kleine Nazis“ (George Legman). Deren geistiger Vater war bekanntermaßen Herbert Marcuse, den ein anderer aus der Frankfurter Schule, Theodor

Adorno, einmal einen durch „Judentum verhinderten Faszisten“ genannt hatte. Eine Formulierung, die nicht so ganz und gar abwegig erscheint, wenn man den Voluntarismus Marcuses in Rechnung stellt und seine Neigung, immer haarscharf an Sorel vorbei zu argumentieren.

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Noch zu Glastonbury: Wer Zweifel an den fatalen Folgen der Hippie-Existenz hat, kann sich hier ein Bild machen. Die Stadt bietet Gelegenheit, die Entwicklung in allen Stadien zu beobachten. Da ist zuerst die junge Mutter in phantasievollem Gewand, barfuß, ein Kind auf dem Arm, das andere an der Hand, alle etwas angeschmuddelt, aber fröhlich, sie mit leicht verklärtem Blick auf dem Weg zur Gralsquelle, wo man jeden Abend lebendes Wasser schöpft und sich im Park ergeht. Es folgen die Bastler bunter Regenschirme und irgendwelcher Armbänder, die Touristen zum Kauf angeboten werden, dann die Bettler und die deutlich Verwahrlosten mittleren Alters. Zum Schluß kommen die, die geistesabwesend die Straße entlangschlurfen oder völlig apathisch und in Lumpen im Garten vor der Kirche lagern. Imponierend war der Fall der Cafébesitzerin, Tätowierungen am ganzen Körper, das Gesicht gezeichnet vom Drogenkonsum, die Zähne zerstört, aber offenbar seit längerem entschlossen zur Korrektur des Lebensweges; mit scharfen Worten jagte sie die Schnorrer und Kiffer weg, die sich an ihre Gäste heranmachen wollten, hinter der Bar übte sie ein eisernes Regiment und der Espresso, den sie servierte, war wirklich vorzüglich.

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 „Im Grunde ist die Allparteienregierung der geheimste Wunsch aller Gruppen. Das große Herrschaftskartell, die oppositionslose Demokratie, ist eine verborgene, selten offen zugegebene Zielvorstellung vor allem der durchschnittlichen Parteipolitiker, die in besonderem Maße den Druck der Interessenverbände spüren.“ (Waldemar Besson, 1962)


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 8. September in der JF-Ausgabe 37/17.