© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/17 / 25. August 2017

Als Sippenhäftlinge interniert
Ausstellung in Berlin: Verschleppte Kinder nach dem 20. Juli 1944
Peter Möller

Die Rache war fürchterlich. Nach dem gescheiterten Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 nahm das nationalsozialistische Regime nicht nur an den Verschwörern rund um den Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg blutige Vergeltung. Auch den Familien der Beteiligten sollte alles genommen werden: der Besitz, der Name, die Identität – die Kinder. In den Wochen nach dem 20. Juli wurden mehr als 150 Angehörige der Widerstandskämpfer als „Sippenhäftlinge“ vom Regime festgesetzt, darunter zahlreiche Jugendliche, Kinder und Kleinkinder. Der Nachwuchs wurde in einem eilig für diesen Zweck geräumten Kinderheim im thüringischen Bad Sachsa (heute Nieder-sachsen) interniert. Ihrem Schicksal hat die Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin unter dem Titel „Unsere wahre Identität sollte vernichtet werden“ nun eine Sonderausstellung gewidmet.

Für die betroffenen Kinder waren die Erfahrungen traumatisch. Geschwister wurden voneinander getrennt, Jungs und Mädchen in unterschiedlichen Gebäuden untergebracht. Doch damit nicht genug: bei ihrer Ankunft mußten die Kinder alle persönlichen Erinnerungsstücke sowie Fotos oder Briefe abgeben. Ihnen wurde verboten, sich untereinander über ihre wahre Identität zu unterhalten. Die Jüngeren bekamen zudem neue Vornamen. Das Betreuungspersonal wird zur strikten Geheimhaltung verpflichtet. Später, so die Pläne, sollten die kleineren Kinder adoptiert und die Älteren unter neuen Namen in nationalsozialistischen Internaten „auf Linie“ gebracht werden. Zwischen August 1944 und November 1945 befanden sich insgesamt 46 verschleppte Kinder in Bad Sachsa.

Wäre es nach SS-Chef Heinrich Himmler gegangen, wäre das Regime auch bei den Frauen und Kindern der Verschwörer bis zum äußersten gegangen. „Die Familie Graf Stauffenberg wird ausgelöscht werden bis ins letzte Glied“, kündigte Himmler auf einer Gauleitertagung in Posen Anfang August 1944 an. Doch ein Schreiben des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD, Ernst Kaltenbrunner, zeigt, daß das Regime diesen Schritt schließlich doch scheute. In dem Runderlaß Kaltenbrunners, mit dem er im Dezember 1944 auf Gerüchte in der Bevölkerung über das Schicksal der Familienangehörigen der Verschwörer reagierte, werden die Sippenhaft und die erzwungenen Namensänderungen als zeitlich befristete Maßnahme zum Schutz der Betroffenen vor „unnötigen Anfeindungen“ dargestellt. Bereits im September und Oktober 1944 entließ das Regime dann eine große Zahl von Sippenhäftlingen wieder aus den Gefängnissen und Konzentrationslagern. Die internierten Kinder, deren Mütter wieder frei waren, konnten in ihre Familien zurückkehren.

Kein Wort über den Antrieb Stauffenbergs

Die übersichtlich gestaltete Sonderausstellung im ersten Stock des Bendlerblocks zeichnet nach einer knappen Einführung in den Umsturzversuch und die Geschichte des Kinderheimes die Schicksale der Kinder in Bad Sachsa und das der wichtigsten Familien der Verschwörer des 20. Juli detailliert nach. Daneben wird auch die Odyssee der zumeist nach Schlesien verschleppten älteren Sippenhäftlinge dokumentiert.

Für viele Kinder, die in Bad Sachsa verblieben waren, dauerte die Trennung von ihrer Familie auch nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes an. Nachdem am 12. April 1945 amerikanische Truppen Bad Sachsa besetzt hatten, stellte der neu eingesetzte Bürgermeister Willi Müller die Insassen des Kinderheimes unter seinen persönlichen Schutz. Viele von ihnen konnten aufgrund der Umstände im völlig zerstörten und besetzten Deutschland aber erst im Sommer oder Herbst 1945 zu ihren Müttern zurückkehren. Im November verließen die letzten Kinder das Heim.

Die Texte der umfangreich bebilderten Erklärtafeln der Ausstellung, die auch zahlreiche faksimilierte zeitgenössische Dokumente präsentieren, sind durchweg sachlich gehalten. Mitunter wirken die kurzen Beiträge jedoch arg unbeholfen und hölzern, etwa wenn es heißt: „Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft und weltanschaulicher Prägung setzen sich bereits in der Weimarer Republik mit dem Nationalsozialismus auseinander und warnen vor der drohenden Diktatur.“

Zudem entsteht mitunter der Eindruck, daß um den nationalkonservativen Hintergrund der wichtigsten Akteure des Widerstandes des 20. Juli bewußt ein Bogen gemacht wird. Vor allem wenn es um Graf Stauffenberg geht, erscheinen die Ausstellungstexte seltsam distanziert. „Den katholisch erzogenen Claus Schenk Graf von Stauffenberg zeichnet früh ein sozialethisch begründetes Verantwortungsbewußtsein aus“, heißt es etwa in der kurzen biographischen Skizze zum Hitler-Attentäter. Kein Wort über die entscheidende Bedeutung des Dichters Stefan George für das Denken und Handeln Stauffenbergs oder den Patriotismus als wichtigen Antrieb für den Einsatz seines Lebens im Kampf gegen das NS-Regime.

Sicher, der Platz für Erklärtexte in einer solchen Ausstellung ist knapp und soll die Besucher nicht ermüden – aber wer sich bislang noch nicht mit dem 20. Juli beschäftigt hat, läuft Gefahr, von dieser Ausstellung bei der politischen Verortung des nationalkonservativen Widerstandes auf die falsche Fährte gesetzt zu werden.

Die Ausstellung ist bis zum 10. Januar 2018 in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Stauffenbergstraße 13-14, wochentags von 9 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, Sa./So. ab 10 Uhr, zu sehen. Telefon: 030 / 26 99 50 - 00

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