© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/17 / 25. August 2017

Generalprobe für die Revolution von 1918
Vor hundert Jahren wurde der erste Matrosenaufstand in der deutschen Flotte niedergeschlagen und die Rädelsführer exekutiert
Jan von Flocken

Im Sommer 1917 spitzte sich die Kriegslage für Deutschland gefährlich zu. An der Westfront errangen die Briten während der Zweiten Flandernschlacht erhebliche Vorteile.  Hinzu kam eine verschlechterte Stimmung in der Heimat. Anfang August tauchten Zehntausende illegale Plakate und Handzettel auf, in denen die Arbeiter der Rüstungsindustrie zum Generalstreik aufgefordert wurden. Dahinter steckte die linksradikale Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD), die sich im April 1917 von der SPD abgespalten hatte.

Eine Soldatenmeuterei mußte unter diesen Bedingungen besonders alarmierend wirken, zumal wenn sie sich in unmittelbarer Nähe zur Zivilbevölkerung abspielte. Am 2. August 1917 verließen mehr als 600 Matrosen der Linienschiffe „Prinzregent Luitpold“ und „Friedrich der Große“, die in Wilhelmshaven vertäut waren, ohne Erlaubnis ihre Einheit und fanden sich auf einer revolutionären Demonstration zusammen. Die Männer drohten mit Generalstreik der gesamten Flotte sowie Sabotageakten und forderten, „dem Krieg mit Gewalt ein Ende zu machen“.

Die Ereignisse in Rußland waren das Vorbild

Rädelsführer der Meuterei waren der 22jährige Signalgast Max Reichpietsch und der 24jährige Heizer Albin Köbis, beide aus Berlin stammend. Köbis hatte auf SMS „Prinzregent Luitpold“ mit dem Heizer Hans Beckers sowie auf SMS „Friedrich der Große“ mit Reichpietsch, dem Heizer Willy Sachse und dem Matrosen Wilhelm Weber am 24. Juli 1917 eine revolutionäre Zelle gebildet. Das war möglich, weil die meisten großen Schiffe der Kaiserlichen Marine seit der Skagerrakschlacht im Sommer 1916 untätig in den Häfen lagen. Hier konnte man unauffällig Verbindungen knüpfen. Vor allem die Verpflegungslage erregte den Unmut der Seeleute. „Jeden Tag Zusammmengehauenes, und dabei so dünn, so kraft- und geschmacklos gekocht, daß ich immer hungriger aufstand als ich mich zu Tisch setzte“, klagte ein Matrose.

Albin Köbis war zweifellos der führende Kopf der Rebellion. Er hielt enge Kontakte zur USPD, bekam von ihr Propagandamaterial und entwarf ein revolutionäres Aktionsprogramm für die Flotte. Die Ereignisse in Rußland, wo während der Februarrevolution der Zar gestürzt wurde, waren für ihn ein erklärtes Vorbild. Reichpietsch hingegen erwies sich als notorischer Unruhestifter. Er erhielt insgesamt 14 Disziplinar- und Kriegsgerichtsstrafen, unter anderem wegen Diebstahls, Ungehorsam, Unpünktlichkeit und Fernbleiben vom Borddienst. Sein Verteidiger sagte später, es sei Reichpietsch weniger um Politik als um Krawall gegangen.

Nach Niederschlagung des Aufstandes kam es am 25. August zum Kriegsgerichtsverfahren gegen Köbis, Reichpietsch, Beckers, Sachse und Weber. Admiral Reinhard Scheer, Sieger der Schlacht am Skagerrak und in diesem Fall oberster Gerichtsherr, stellte fest: „Die Untersuchung der Vorfälle ergab, daß hinter diesen verhältnismäßig geringfügigen Ausbrüchen eine sehr ernst aufzufassende Bewegung stand, die sich zum Ziel gesetzt hatte, eine gewaltsame Lahmlegung der Flotte herbeizuführen, sobald der geeignete Zeitpunkt den politischen Drahtziehern gekommen schien.“

Während der Verhandlung übernahm Willy Sachse, mit 21 Jahren jüngster Angeklagter, die Rolle des Kronzeugen und belastete seine Kameraden schwer. Weber spielte so lange die verfolgte Unschuld, bis Köbis ihm ein wütendes „Dieser Heuchler!“ entgegenschleuderte. Beckers bestritt alles, was sich irgendwie leugnen ließ. Köbis und Reichpietsch schwiegen unklugerweise.

Einer der Pflichtverteidiger betonte: „Bei Leuten, die jahraus, jahrein auf den großen Schiffen denselben Dienst tun und nicht die anregende Auffrischung erhalten, sich im Kampfe mit dem Feind betätigen zu können, und die andererseits täglich eine geistige Nahrung in Zeitungen und Flugblättern vorgesetzt bekommen, welche von Kriegsmüdigkeit und der Verurteilung unserer Kriegsführung strotzen, ist es leider möglich, ihre Gesinnung zu beeinflussen und sie zur Pflichtvergessenheit zu verführen.“

An Bord herrschte günstiger  Nährboden für Revolten

Am 26. August ergingen Todesurteile gegen sämtliche Angeklagte wegen „vollendeter kriegsverräterischer Aufstandserregung“, wobei die Richter (drei Marineoffiziere und zwei Juristen) für Sachse und Weber ein Gnadengesuch empfahlen. Beckers schrieb direkt an Admiral Scheer und behauptete, „daß auch wir als Sozialdemokraten noch jederzeit bereit wären, eine zweite Skagerrakschlacht im selben Geiste zu schlagen wie damals“.

Reinhard Scheer ließ Milde walten, denn er wußte auch: „Die Bordverhältnisse boten besonders auf den großen Schiffen leider einen günstigen Nährboden für solches Treiben, da die Mannschaften dauernd in enger Berührung mit der Heimat standen und von dem Niedergang der dort herrschenden Stimmung nicht freigehalten werden konnten.“ Beckers, Weber und Sachse wurden zu Zuchthausstrafen begnadigt; sie kamen schon ein Jahr später im Gefolge der Novemberrevolution frei. 

Für den Anführer Köbis und den Unruhestifter Reichpietsch gab es keine Gnade; sie fielen am 5. September unter den Kugeln des Exekutionskommandos. Es waren zwei von insgesamt 48 Todesurteilen an Militärpersonen, die während 51 Kriegsmonaten in Deutschland vollstreckt wurden.