© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/17 / 01. September 2017

Feridun Zaimoglu. Der ehemalige Popliterat zeigt sich fasziniert von Luthers Sprache
Der deutsch Gewordene
Sebastian Henning

Weniger als Autor denn als Maskottchen des Literaturbetriebs begann die literarische Laufbahn des Feridun Zaimoglu. Der 1963 in der nördlichen Türkei Geborene kam 1965 nach Deutschland. Mit dem unmißverständlich „Kanak Sprak. 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft“ betitelten Buch erschien er 1995 auf der Bildfläche deutscher Medien, die das Grelle und Laute nur allzu bereitwillig verstärkten. Doch der Kieztürke vom Dienst hat bald schon versucht, sich den Erwartungen zu entziehen. Den archaisch veredelten Gossen-Slang hat er nicht zum Sprachrohr deutsch-türkischer Ermächtigung ausgebaut, wie es die Multikulti-Phantasten gern gehabt hätten. Diesen hat er gar wiederholt ihre Verblendung vorgehalten. Heftig kritisierte er Merkels Asylpolitik und bescheinigt der Türkei „eine nicht überwundene Tradition der Gewalt, Minderwertigkeitskomplexe und einen immer noch nachwirkenden postimperialen Schock“.

Binnen zwei Jahrzehnten hat Feridun Zaimoglu einen erstaunlichen Weg von der Brutalisierung der deutschen Sprache bis zum derb-sinnlichen Lutherdeutsch zurückgelegt. Sein jüngster Roman „Evangelio“ droht im Titel mit der guten Nachricht des Evangeliums ebenso dringlich, wie die Warnrufe „Feurio“ und „Mordio“ vor Brand und Anschlag warnen. Die Geschichte des von außen bedrohten und von innen angefochtenen Reformators wird darin aus der Perspektive des katholischen Kriegsknechts Burkhard erzählt, der vom Landesherrn zu dessen Schutz abgestellt wurde.

An Luther interessiert Zaimoglu vor allem das „kräftige gute Deutsch“. Bereits als Zehnjähriger hat er die Lutherbibel gelesen. Seinem Historienschmöker haftet allerdings noch einiges von der Gefallsucht des einstigen Popliteraten an. So handelt es sich bei der Erzählweise weniger um einen Stil als vielmehr noch um einen Klang, der dem Leser hier entgegentönt. 

Er habe einen glühenden Gottesglauben – jedoch eine Skepsis gegenüber Religionen, betont der Autor. Und natürlich hält er die AfD für Rattenfänger und ließ sich von der SPD in die Bundesversammlung senden, um Frank-Walter Steinmeier zu wählen.

Indessen ist seine selbst postulierte Deutschwerdung über die Sprache nicht abgeschlossen. Die Einsichten übertreffen gegenwärtig noch das Gestaltungsvermögen. Zaimoglu mokiert sich über die Blauäugigkeit und Heuchelei der Kultur- und Medienschaffenden, deren Hätschelkind er noch immer ist. „Die Zeit der Intellektuellen ist vorbei, und das ist gut so.“ Daß die Literatur keine politische Hebelwirkung habe, findet er gut.

Feridun Zaimoglu hat sich mit dem Deutschwerden einiges vorgenommen. Jedoch gerade darin ist er den eingefleischten Deutschen am innigsten verwandt, die wieder werden sollten, was er neu wird.