© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/17 / 01. September 2017

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Ausnahmezustand
Christian Vollradt

Im gleißenden Licht der Augustsonne glitzert die Spree. Sanft gleitet ein Boot der Wasserschutzpolizei den Bogen zwischen Paul-Löbe- und Elisabeth-Lüders-Haus entlang. Die Büros der Bundestagsabgeordneten scheinen vor sich hin zu dösen. Der Wahlkampf findet „draußen im Lande“ statt und anscheinend nicht hier; das Berliner Regierungsviertel im Energiesparmodus, „stand by“... 

An normalen Tagen macht sich das auch in der Bundespressekonferenz (BPK) bemerkbar. Eine Handvoll Journalisten sitzt vor fast derselben Zahl Ministeriumssprechern und spielt ein eher zähes Frage-Antwort-Pingpong. Nicht so am Dienstag. Da hatten die Hauptstadtjournalisten die Bundeskanzlerin zur traditionellen Sommerpressekonferenz geladen. Schon eine Dreiviertelstunde vor Beginn stauen sich vor dem noch verschlossenen großen Saal die Reporter, Fotografen, Kamera- und Tonleute. Die Fernsehteams besprechen Positionen und „Aufsager“, andere Medienleute palavern. Als sich endlich die Glastür öffnet, gleicht die Szene am Einlaß den Bildern vergangener Tage, als Aldi Computer zum Schleuderpreis feilbot. Tatsächlich ist kurze Zeit später auch der letzte Platz belegt. Die Meute wartet auf Frau Merkel. 

Sichtlich gut gelaunt, mit rotem Blazer betritt die Kanzlerin das Podium, redet zehn Minuten über dies und das, während der BPK-Vorsitzende im Akkord bereits die Fragewünsche seiner Kollegen notiert. Schnell sind es über neunzig. Für Themenvielfalt ist gesorgt: die Türkeipolitik („Ich würde gern bessere Beziehungen zur Türkei haben, aber wir müssen der Realität ins Auge sehen“) gehört dazu wie auch das Diesel-Thema („Umweltauflagen einhalten, Fahrverbote verhindern, das ist unser Ziel“).  

Und natürlich der ganze Komplex Zuwanderung und Asyl. Merkel bleibt dabei: Es sei „richtig und wichtig“ gewesen, in der „humanitären Ausnahmesituation die Menschen aufzunehmen“. Genauso wichtig sei nun, die „irregulären“ Zustände zu beenden. Ob es trotz der Ablehnung durch die EU-Kommission auch über den November hinaus noch Kontrollen an den deutschen Außengrenzen geben werde? „So wie es aussieht, brauchen wir diese Grenzkontrollen, und ich bin sicher, daß wir sie auch haben werden.“ Und der zu erwartende Familiennachzug? „Ich werde mir das Anfang des Jahres anschauen; also, wenn ich die Chance bekomme, wir haben ja vorher noch eine Wahl.“ Ihr süffisantes Schmunzeln verrät, daß sie wenig Zweifel am Verbleib im Amt hat. Was sagt sie zu den „Merkel muß weg“-Rufen? Das sei halt Demokratie. „Gegen das Gebrüll muß man Flagge zeigen.“ Deswegen mache sie besonders oft Station im Osten der Republik.

Warum sie nur einmal im Jahr zur Pressekonferenz vorbeikomme, wird Merkel am Ende gefragt. „Wie oft hätten Sie mich denn gern?“ fragt sie zurück. Immerhin sei sie in zwölf Amtsjahren schon 21mal dagewesen. Dann verabschiedet sie sich, die zwei schweren (Diesel-)Limousinen rauschen ab. Die Mittagssonne brennt, die Spree plätschert dahin, ein Ausflugsdampfer tuckert vorbei. Von Deck wehen leise Musikfetzen herüber. Berlin macht Siesta.