© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/17 / 01. September 2017

Mißbrauchte „Macht um acht“
Medienkritik: Ein Buch ehemaliger NDR-Journalisten wirft der „Tagesschau“ Desinformation vor
Ronald Berthold

Die Empörung über die einseitige Berichterstattung der „Tagesschau“ nimmt seit Jahren zu. Nun ist ein überaus kritisches Buch zur politisch manipulativen und fehlerhaften Arbeit der „ARD aktuell“-Redaktion erschienen. Die Kritik kommt von links, ist weitgehend berechtigt, blendet aber ihrerseits zahlreiche Manipulationen – vor allem in der Innenpolitik – aus.

Die Autoren Uli Gellermann sowie die früheren NDR-Journalisten Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam beschränken sich fast ausschließlich auf die Ukraine- und Syrien-Berichterstattung des einflußreichsten deutschen Leitmediums. Ihr Buch heißt „Die Macht um acht“ – und daß diese mißbraucht werde, daran läßt das Trio keinen Zweifel. In rund 30 Fällen weist das Buch Fehlleistungen der „Tagesschau“-Mannschaft nach. Dabei geht es sowohl um das offenkundige Verschweigen wie auch das Verfälschen von Nachrichten.

Themen- und Fallauswahl sind zu einseitig

So verdienstvoll die Recherche, so sehr schmort sie im eigenen Saft. Den Schwerpunkt bildet die Dokumentation 27 eigener Programmbeschwerden beim NDR-Rundfunkrat. Die Art, wie die „Tagesschau“ die Krisen in der Ukraine und in Syrien behandelte, unterstreicht den Vorwurf der jeweils über 70 Jahre alten Autoren, die Redaktion vernachlässige absichtlich journalistische Sorgfaltskriterien. Doch die Konzentration auf diese beiden Konflikte wirkt auf Dauer ermüdend. Einigen Platz hätten sie besser anderen Fällen überlassen, in denen die „Tagesschau“ nicht weniger ideologisch und indoktrinierend arbeitet.

Nur kurz wird die „bedingungslose“ Parteinahme der ARD für Hillary Clinton und gegen Donald Trump im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf gestreift. Das Buch mahnt an, daß auch über Trump „ohne Tricksereien“ berichtet gehört hätte. In dem Fall kommen sie zu dem Ergebnis, „daß ARD und ZDF mit seriösem Journalismus so viel zu tun haben wie Trump mit Political Correctness“. Das war es dann aber schon an Aspekten, die über Kriegsberichterstattung hinausgehen. Hauptvorwurf: Die „Tagesschau“ orientiere sich an westlichen Vorgaben, die der Spekulant und Milliardär George Soros aushecke, um die Zuschauer für die Sicht der USA zu manipulieren.

Doch was ist mit der Berichterstattung über die Eurokrise, die Atomkraft, die AfD, Pegida, über die Zuwanderung, die Problematik mit hier lebenden Flüchtlingen? Nichts von den Fehlleistungen in diesen Fällen kommt in dem Buch vor. Dabei betreffen diese Nachrichtenfelder die Deutschen mindestens genauso wie Kriegsszenarien. Offenbar hindert die eigene politische Überzeugung die Autoren daran, hier den Finger in die Wunde zu legen. Dies wird bereits daran deutlich, daß sie behaupten, von Beginn an sei „die Grenze zwischen ARD aktuell und rechtskonservativen Medien“ durchlässig gewesen. Eine gewisse politische Blindheit auf dem linken Auge belegt auch die Feststellung, der „Tagesschau“ werde nicht grundlos eine „politische Schlagseite nach rechts“ nachgesagt. Dies zeigt sich auch, wenn die Autoren die Sendung attackieren, weil Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen im April 2016 mit den selbstkritischen Worten zitiert wurde, er habe es „für unwahrscheinlich gehalten, daß der IS die Flüchtlingskrise nutzen werde, um seine Anhänger unter die Flüchtlinge zu mischen“. Genau dies sei aber geschehen.

Journalisten aller Medien haben Kritiker stigmatisiert

Die Sendung hätte diese späte Erkenntnis nicht verbreiten dürfen, denn Maaßens Äußerung sei „dümmlich und unglaubwürdig“ gewesen. Damit machen sich die Verfasser lächerlich, zumal das Buch im Frühling 2017 erschienen ist. Inzwischen ist allgemein bekannt, daß sowohl Brüssel- als auch Paris-Attentäter über Deutschland einreisten. Von den zahlreichen Terroranschlägen, die als Flüchtlinge eingewanderte Islamisten inzwischen in deutschen Städten verübt haben, ganz zu schweigen.

Wer eine der wenigen Meldungen, die die „Tagesschau“ den vielen Schattenseiten der Masseneinwanderung widmete, kritisiert, trägt nicht zur eigenen Glaubwürdigkeit bei. Inzwischen belegen Studien, wie Journalisten aller Medien bei diesem Thema Gefahren ausgeblendet und berechtigte Kritik stigmatisiert haben. Der Sendung einen seltenen Lichtblick – es handelte sich hier nur um eine kurze Meldung, keinen Filmbeitrag – zum Vorwurf zu machen, zeigt, daß die Autoren in Sachen Einseitigkeit selbst im Glashaus sitzen. Trotz der guten Ansätze, die das Buch liefert, kann es das mit der Aufarbeitung der alltäglichen „Tagesschau“-Manipulationen nicht gewesen sein. Hier bietet sich ein weites Feld für andere Autoren, die über ein weniger eingeschränktes Weltbild verfügen.

Uli Gellermann, Friedhelm Klinkhammer, Volker Bräutigam: Die Macht um acht. PapyRossa, Köln, 2017, gebunden, 172Seiten, 13,90 Euro