© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/17 / 08. September 2017

Eine Lösung ist nicht in Sicht
Asylkrise: Die Kanzlerin versucht, das Thema Migration aus dem Wahlkampf herauszuhalten – ohne Erfolg
Peter Möller

Die Lösung scheint so einfach: Um zu verhindern, daß sich weiterhin Hunderttausende Einwanderer über das Mittelmeer oder die Balkanroute auf den Weg nach Europa machen, soll künftig bereits in Nordafrika darüber entschieden werden, welche Flüchtlinge Asyl erhalten und welche nicht.

Darauf haben sich in der vergangenen Woche in Paris die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien mit Vertretern der afrikanischen Transitländer Niger, Tschad und Libyen geeinigt. Die beteiligten europäischen Staaten hoffen, dadurch die Mittelmeerroute endgültig auszutrocknen. Neu ist diese Idee nicht: Ähnliche Überlegungen für sogenannte Hotspots für Flüchtlinge in Afrika gibt es bereits seit Jahren, ohne daß diese jemals umgesetzt wurden. So waren etwa Ende vergangenen Jahres Pläne des Bundesinnenministeriums für Asylbewerber-Auffanglager in Tunesien bekanntgeworden. Auch hier sollten die Betroffenen unter Aufsicht der Vereinten Nationen bereits einen Asylantrag stellen können, um so die anhaltenden Flüchtlingsströme in halbwegs geordnete Bahnen zu lenken. 

Warum diejenigen Menschen, deren Asylantrag in einem solchen Hotspot abgelehnt wird, es dann nicht trotzdem versuchen sollten, illegal nach Europa zu gelangen, behielten die Staats- und Regierungschefs auch jetzt für sich. Daß sie sich dieses Problems durchaus bewußt sind, machte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Interview mit der taz deutlich, in dem sie eine größere Aufnahmebereitschaft signalisierte: „Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß wir mit afrikanischen Ländern Kontingente vereinbaren, wonach eine bestimmte Anzahl von Menschen hier studieren oder arbeiten kann. So würden wir Anreize dafür schaffen, legale Wege zu finden“, sagte Merkel. „Nur zu sagen, Illegalität geht nicht, und gar nichts anzubieten, ist falsch.“

„Türöffner für                   illegale Einwanderung“

Dennoch kam harsche Kritik an den Plänen von Lobbyorganisationen wie Pro Asyl. Deren Geschäftsführer Günter Burkhardt warf der Bundeskanzlerin in der ARD einen „Verrat an europäischen Werten“ durch die Beschlüsse von Paris und eine Aushebelung des individuellen Rechts auf Asyl vor. „Man kooperiert mit Verbrechern. Das muß man klar formulieren“, sagte Burkhardt mit Blick auf die beteiligten afrikanischen Regierungen. Eine Bereitschaft europäischer Länder, im Zuge sogenannter Resettlement-Programme Flüchtlinge in nennenswerter Zahl freiwillig aufzunehmen, sei zudem „nicht in Sicht“.

Unterdessen mahnte der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, die Rechtslage in Deutschland auf eine mögliche neue Flüchtlingswelle vorzubereiten. „Es muß vor allem sichergestellt werden, daß das Asylrecht nicht länger zweckentfremdet werden kann als Türöffner für eine illegale Einwanderung – und zwar von Personen, die ersichtlich kein Individualrecht auf Asyl in Deutschland oder der EU haben“, sagte er der Welt. Durch klare Regelungen müsse die bis heute fortbestehende Praxis beendet werden, „nach der jedermann auf der Welt mit der bloßen Erklärung, einen Asylantrag stellen zu wollen, ein Einreise- und damit faktisch ein Aufenthaltsrecht von nicht absehbarer Dauer erhält – das aufgrund der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten einer späteren Abschiebung dann vielfach kaum mehr zu beenden ist. Das kann ein Rechtsstaat nicht hinnehmen“, verdeutlichte Papier.

Doch in der innenpolitischen Debatte kurz vor der Bundestagswahl ist eine andere Frage der Einwanderungspolitik wesentlich brisanter. In der vergangenen Woche hatte die Bild unter Berufung auf Regierungskreise berichtet, daß allein die Zahl der in Deutschland lebenden Syrer, die ihre Familien nachholen dürfen, Anfang 2018 auf rund 390.000 Personen steigen könnte. Dabei handelt es sich um subsidiär Schutzberechtigte, für die der Bundestag den Familiennachzug bis März 2018 ausgesetzt hatte. 

Verhandlungsmasse          für Koalitionsgespräche

Ob dieser Einreisestopp, wie etwa von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) gefordert, verlängert wird, ist derzeit noch völlig offen. Die Bundeskanzlerin scheut bislang eine Festlegung und kündigte eine Entscheidung für das kommende Jahr an. Merkels Taktieren, das auch am Sonntag beim TV-Duell mit SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz deutlich wurde, hat einen Grund: In Berlin wird vermutet, daß die CDU-Chefin die Entscheidung über den Familiennachzug nach der Bundestagswahl als Verhandlungsmasse in Koalitionsgespräche nutzen möchte – mit der Option, einem potentiellen Koalitionspartner eine großzügige Nachzugsregelung im Tausch gegen Zugeständnisse auf anderen Politikfeldern anzubieten.

Auf ihrer traditionellen Sommerpressekonferenz in der vergangenen Woche sprach Merkel im Zusammenhang mit dem Familiennachzug von einer großen Herausforderung, etwa durch den zusätzlich benötigten Wohnraum. Wie viele Familienmitglieder von Flüchtlingen tatsächlich zusätzlich nach Deutschland einwandern würden, ist nur schwer vorauszusagen. Die Schätzungen gehen von einigen hunderttausend Nachzüglern bis hin zu weit über einer Million. Zahlen, die das Potential haben, die Diskussion über die Flüchtlingspolitik bis zur Bundestagswahl weiter anzuheizen.