© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/17 / 08. September 2017

„Die Linke im Aufwind“
Einige Formate für junge Wähler im Vorfeld der Bundestagswahl sind eindeutig tendenziös
Ronald Berthold

Wie immer, wenn es gespielt jugendlich zugeht, liegt die Grenze zur Peinlichkeit nicht weit. Beim Versuch, die angeblich desinteressierte Generation für die Wahlteilnahme zu begeistern, greifen Die Zeit und das öffentlich-rechtliche Internetprogramm „Funk“ gehörig daneben. Anbiederndes Motto des ARD-ZDF-Gemeinschaftsangebotes: „So machst du bei der Bundestagswahl 2017 das reflektierteste Kreuz ever!“

Gesicht des Programms ist die sogenannte „Snapchat“-Reporterin Eva Schulz. Sie „boxt sich mit dir durch die deutsche Politik: mutig, witzig, ehrlich – und immer mit den richtigen Fragen“, behauptet „Funk“, das dafür extra die Facebook-Seite „Deutschland3000“ eröffnet hat. Eine dieser „richtigen Fragen“ lautet, ob die Linkspartei „immer bloß dagegen“ sei. Natürlich nicht. Ulla Jelpke und andere Abgeordnete setzten „wichtige Themen auf die Agenda: Rüstung, Rechtsextremismus, Migration und Flüchtlinge“.

Rot-Rot-Grün muß nicht unrealitisch sein

„Die Linke hat Aufwind“, erfährt der junge Zuschauer unreflektiert – dafür aber „ever“. Und daß „endlich“ mehr Leute in die Partei ein- als austreten. Evas Fazit, für das sie mit Gebührengeldern bezahlt wird: „Ihr macht das mit der Opposition schon richtig gut. Aber wollt ihr nicht langsam auch mal regieren?“ Dann bedauert sie, daß Rot-Rot-Grün „unrealistisch“ sei. Aber das „müßte es echt nicht sein“.

Mit einer anderen Rubrik will „Funk“ Interesse an spröden Wahlprogrammen wecken. Da die offenbar noch abtörnender sind als Wahlsendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, faßt der Standup-Künstler Moritz Neumeier für das Publikum die Papiere zusammen. In zwölf Minuten spricht der 29jährige zum Beispiel über die Ideen der CDU. Die rote Pappnase, mit der er sich auf seiner eigenen Facebook-Seite präsentiert, hat er dafür abgenommen. Lässig soll es trotzdem sein: So steht er im grauen Pulli mit einem Collegeblock und einer Kaffeetasse vor einer weißen Steinmauer und referiert das Programm in Jugendsprache. Die Zuschauer hören etwas vom Ziel der Vollbeschäftigung und daß eigentlich alles so bleiben soll, wie es ist.

So löblich das Experiment: Spannend geht anders – und sachlich richtig auch. Denn nicht nur beim Solidaritätszuschlag wird’s falsch: „Der Westen zahlt ein bißchen Geld an die östlichen Länder, damit die aufgebaut werden können.“ Darüber, daß alle Deutschen den Soli abführen, hätte ein ARD-Redakteur den Comedian vielleicht mal briefen können. Und daß die jährlichen Soli-Einnahmen von 16,85 Milliarden Euro selbst für die Staatssender nicht „ein bißchen Geld“ sind, vielleicht auch. Denn sie erhalten „nur“ halb soviel an Gebühren. Immerhin korrigiert die Redaktion Neumeiers Behauptung, der Spitzensteuersatz greife schon ab 40.000 Euro, mit einem Einblocker, daß 53.666 Euro richtig seien. Daß der Künstler hier netto und brutto verwechselt, berichtigt aber niemand. Und beim „Baukindergeld“, das die CDU fordert, wird das Ganze zur Realsatire. „Weiß nicht genau, was es heißt“, sagt Neumeier. Er schiebt noch ein „Keine Ahnung“ hinterher und empfiehlt dann, sich das Programm selbst durchzulesen. So geht Qualitätsfernsehen von ARD und ZDF für junge Leute. 

Da „Deutschland3000“ bei nur 12.000 „Gefällt mir“-Angaben praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit sendet, mögen die Fehler nicht ganz so tragisch sein – die verschwendeten Gelder der Gebührenzahler dafür vielleicht um so mehr.

Schwacher Trost: Der für junge Leser konzipierte Online-Ableger der Zeit macht es nicht besser. Für „Ze.tt“ begleiten vier Menschen den Wahlkampf aus Sicht der Jungwähler. „Vier vor Wahl“ nennt es die Berichterstattung, und die Auswahl dafür sagt viel über das Jugendbild des Mediums aus: Drei haben einen Migrationshintergrund, einer ist kleinwüchsig. Fast schon als Kunststück erscheint es, daß die vier gleichzeitig auch noch die Minderheitskriterien homosexuell, schwarz, geflüchtet und muslimisch abdecken.

Dementsprechend schlagen sich die Herausforderungen des Teams auf die Berichterstattung nieder. Jouanna Hassoun beispielsweise ist „wütend“, daß die Flüchtlingspolitik so „diskriminierend“ sei und viele Immigranten „auf dem Weg hierher vergewaltigt oder gar ermordet werden“.

Zum Schluß eine Frage an die Zeit sowie ARD und ZDF: Wie wollt ihr eigentlich jene Jugendlichen für die Stimm­abgabe motivieren, die zur Mehrheit gehören und noch nicht „endlich“ in die Linke eingetreten sind?