© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/17 / 08. September 2017

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Vorige Woche gedachte die literarische Welt des 150. Todestages von Charles Baudelaire. Ein guter Anstoß, mal wieder sein 1857 erschienenes Hauptwerk, die Lyriksammlung „Die Blumen des Bösen“, zur Hand zu nehmen. Sechs Gedichte daraus trugen Baudelaire wegen „Beleidigung der öffentlichen Moral“ eine Verurteilung zu einer Geldstrafe ein. Sie mußten aus der zweiten Auflage getilgt werden. Eines meiner Lieblingsgedichte aus dem Band ist jedoch ein anderes, es trägt den Titel „Wahnsinn“ und endet mit den Zeilen: „Dich liebt ich, Nacht, ließ nicht der Sterne Strahl/ Vertraute Sprache zu mir niedergleiten,/ Ich suche tote, schwarze Einsamkeiten,// Doch Finsternis ist nur ein schwarzer Schal,/ Tausend Gesichter schau’n aus seinen Falten/ Verwandten Blicks, verlorene Gestalten.“


Fernsehduell Merkel/Schulz: 90 Minuten elende Lebenszeitverschwendung.


An Baudelaire fasziniert vor allem sein Hang zur Desillusion, Verzweiflung, Schwermut und Düsternis. Kürzlich ist bei Rowohlt nun eine neue Übersetzung von Simon Werle erschienen, die dem Anspruch nach semantisch werkgetreuer sein und damit der Klanggestalt des Originals näherkommen will. Eine Leseprobe deutet darauf hin, daß ihm das auch gelungen ist. Trotzdem ist mir meine Übertragung von Therese Robinson aus dem Jahre 1925 lieber, in der es gleich zu Anfang direkt an den Leser gerichtet heißt: „In Dumpfheit, Irrtum, Sünde immer tiefer/ Versinken wir mit Seele und mit Leib, (…)“.


„Politik bedeutet, und davon sollte man ausgehen, das ist doch, ohne darum herum zu reden, in Anbetracht der Situation, in der wir uns befinden.“ (Loriot)


Realer flüchtiger Moment, „An eine, die vorüberging“, lyrisch veredelt von Charles Baudelaire: „Der Straßenlärm betäubend zu mir drang./ In großer Trauer, schlank, von Schmerz gestrafft,/ Schritt eine Frau vorbei, die mit der Hand gerafft/ Den Saum des Kleides hob, der glockig schwang; // Anmutig, wie gemeißelt war das Bein./ Und ich, erstarrt, wie außer mich gebracht,/ Vom Himmel ihrer Augen, wo ein Sturm erwacht,/ Sog Süße, die betört, und Lust, die tötet, ein.// Ein Blitz … dann Nacht! – Du Schöne, mir verloren,/ Durch deren Blick ich jählings neu geboren,/ Werd in der Ewigkeit ich dich erst wiedersehn?// Woanders, weit von hier! zu spät! soll’s nie geschehn?/ Dein Ziel ist mir und dir das meine unbekannt,/ Dich hätte ich geliebt, und du hast es geahnt!“