© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/17 / 08. September 2017

Schlecht gelaunt beim Protokoll
Im Schatten der Einheit: Vor 30 Jahren besuchte Erich Honecker erstmals offiziell die Bundesrepublik
Detlef Kühn

Vor dreißig Jahren ging für den Generalsekretär der SED und Vorsitzenden des Staatsrats der DDR ein lange gehegter Wunsch in Erfüllung. Vom 7. bis zum 11. September 1987 durfte er der Bundesrepublik Deutschland einen offiziellen Besuch abstatten.  

Wenn auch dieser Besuch nicht die ersehnte völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik brachte, glich die protokollarische Abwicklung dieses Ereignisses mit Nationalhymne und Ehrenkompanie doch weitgehend einem gewöhnlichen Staatsbesuch. Honecker hatte auch sonst Gründe zur Zufriedenheit. Der Zeitgeist im Westen hatte sich für die DDR-Führung günstig entwickelt. Schon im Juni hatte der Staatsratsvorsitzende, nach langem Zögern Den Haags, endlich den Niederlanden einen dreitägigen Staatsbesuch abstatten dürfen – vorher war ihm dies bereits 1980 im neutralen Österreich gelungen. 

Wichtiger noch: Die SPD hatte – seit sie nach dem Ende der Regierung Schmidt/Genscher in der Opposition war – gegenüber der SED eine separate, auf Anerkennung abzielende  Deutschlandpolitik betrieben, die im August 1987 zu einem „gemeinsamen Papier“ der beiden Parteien führte (JF 35/17), in dem sie sich unter anderem wechselseitig ihre „Existenzberechtigung“ versicherten. Wiedervereinigung war nicht mehr vorgesehen; die Sozialdemokraten wollten, wie Egon Bahr es ausdrückte, nunmehr die Chancen der Deutschen in Zukunft in der Teilung suchen. 

Deutsche Frage aktuell nicht auf der Tagesordnung

Ähnliche Anzeichen von politischer Knochenerweichung in der „nationalen Frage“ gab es auch in anderen Parteien und in vielen Medien. Im Westen waren die Anhänger einer operativen Wiedervereinigungspolitik eine Minderheit geworden. Sie befürchteten nicht ohne Grund, daß Honeckers Besuch in Bonn ihre Position weiter schwächen könnte.

Es gab allerdings auch Zeichen der Ermutigung. Am 12. Juni 1987 besuchte US-Präsident Ronald Reagan nicht nur die Bundesrepublik, sondern vor allem West-Berlin, wo er vor dem Brandenburger Tor an der Mauer seine berühmte Rede hielt, in der er den sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow direkt ansprach und aufforderte, „diese Mauer niederzureißen“. 

Allen, die ihm unmittelbar oder im Fernsehen zuhörten, war klar, was die Folge wäre, wenn Gorbatschow dieser Aufforderung folgte: Die Wiedervereinigung wäre unvermeidlich; denn die DDR war ohne Mauer nicht lebensfähig. Sie würde ausbluten. Entsprechend kühl war die Reaktion im politischen Bonn und in den meisten Medien, wo man nach Reagans Temperamentsausbruch möglichst schnell wieder zum gewohnten Tagesgeschäft zurückkehren wollte. Das gelang jedoch nur bedingt. Vor allem in der DDR hatten viele Menschen Reagans Rede als Ermutigung und als Zeichen verstanden, daß immerhin der mächtigste Mann der westlichen Welt sie nicht vergessen hatte. Das hatte Langzeitwirkung, auch auf die friedliche Revolution im Herbst 1989 in der DDR.

Auch Helmut Kohl konnte beim Besuch Honeckers die Reagan-Rede nicht ignorieren. In seiner Tischrede am 7. September in der Bonner Redoute versicherte er seinem Gast zwar, daß „die deutsche Frage zur Zeit nicht auf der Tagesordnung der Weltgeschichte“ stehe. Das konnte Honecker aber nur wenig trösten; denn Kohl erinnerte gegenüber dem Gast mit strenger Miene gleichzeitig an den Verfassungsauftrag des Grundgesetzes zur Wiedervereinigung und betonte die Offenheit der Zukunft, indem er ausführlich die Rechtslage im geteilten Deutschland darlegte. Die Breitenwirkung dieser hochpolitischen Rede war groß, zumal Honeckers Erwiderung eher banal und fast hilflos ausfiel. Beide Reden wurden live sowohl im West- als auch im DDR-Fernsehen übertragen. Im Osten konnte man sich also auf Kohl berufen, ohne sich dem Verdacht auszusetzen, den Medien des Klassenfeindes erlegen zu sein.

Der Staatsbesuch Honeckers in der Bundesrepublik brachte der SED-Führung zwar eine protokollarische Aufwertung, aber kaum Entlastung an der Heimatfront. Sie blieb unpopulär, auch wenn manche Medien im Westen, etwa die Zeit, dies nicht wahrhaben wollten. Zwei Jahre später erkannten es auch politisch Blinde. Das deutsche Volk entschied sich für die Einheit.






Detlef Kühn war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts