© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/17 / 08. September 2017

Marktkonforme Demokratie
Der Alt-68er Hauke Brunkhorst wütet gegen Merkels Regierung: „Oppositionslose, technokratische Herrschaft“
Wolfgang Müller

Für den Sozialphilosophen Hauke Brunkhorst liegt die Europäische Union „schon fast in Trümmern“. Die Hauptschuldige heißt für den Habermas-Adepten Angela Merkel. Wie sie den Bundestag schon während der „Griechenlandkrise“ entmachtete, wie sie ihr Projekt der „marktkonformen Demokratie“ vorantreibt, den Staat zum Diener des globalisierten Finanzkapitalismus macht, „demokratische Selbstbestimmung“ abbaut und Europa immer tiefer in die soziale Krise reite – dies sei alles „schlicht verfassungwidrig“ (Blätter für deutsche und internationale Politik, 7/2017). Rührend, wie sich der altlinke Emeritus als Verfassungsschützer geriert, obwohl ihm sein Restverstand sagen müßte, daß für Merkel das Grundgesetz soviel ist wie für Reichskanzler von Bethmann Hollweg die Neutralität Belgiens – ein „Fetzen Papier“. Beim „Kampf um Wettbewerbsfähigkeit“ und bei der „sozialen Entrechtung der lohnabhängigen Klassen“ bleibt für Verfassungsideale eben nur im Wahlkampf Platz. 

Merkel exekutiert nur das „Regime des Euro“

Dabei setzt die „oppositionslose, technokratische Herrschaft“ Merkels, die stur das „Regime des Euro“ exekutiere, lediglich die Politik fort, die schon in den 1990ern „niemand wollte“. Trotzdem bestehe seitdem unter extrem ungleichen Lebensbedingungen eine Gemeinschaftswährung ohne demokratische Legislative und gewählte Regierung, und in der Eurozone regiere eine „Zentralbank ohne Staat“.

Dabei hatten viele unter Nationalneurosen leidende 68er wie Brunkhorst lange Zeit die Währungsunion laut als Aufbruch ins „postnationale Zeitalter“ bejubelt. Und noch immer preist er den Euro als „erfolgreich“. Nur leider sei bei der ökonomischen Verflechtung nicht an soziale Gerechtigkeit, an die Beseitigung „vertikaler Ungleichheiten“ gedacht worden, obwohl die EU-Bürokratie doch fähig gewesen sei, „horizontale Ungleichheiten zwischen Geschlechtern, sexuellen Orientierungen, Religionsgemeinschaften und Ethnien“ einzuebnen. Im Unterschied zu seinen Kollegen Slavoj Žižek oder Guido Giacomo Preparata ist Brunkhorst entgangen, daß die globalen Eliten mit dem neuen Opium fürs Volk, Diversity und Gender, die horizontalen Ungleichheiten kostengünstig abtragen, um die vertikalen zu verfestigen. Mehr ethnische, religiöse, geschlechtliche „Buntheit“ führt nicht zu mehr europäischer Demokratie und Solidarität, sondern zu weniger, wie in Rolf Peter Sieferles „Epochenwechsel“ (1994) nachzulesen ist. Brunkhorst setzt stattdessen nun darauf, daß Emmanuel Macron, ein Zögling der Hochfinanz, die „Idee eines sozialen Europa erneuern“ werde.