© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/17 / 15. September 2017

Das müßte besser geregelt werden
Studie: Die „Ängste der Deutschen“ enthalten einen klaren Auftrag an die Politik / Gefahren werden vom Volk realistisch eingeschätzt
Christian Vollradt

Sorglos sind die Deutschen nicht. Am meisten fürchten sie sich vor Terrorattacken (71 Prozent), ergab die vergangene Woche in Berlin vorgestellte Umfrage „Die Ängste der Deutschen“. Das ist einer der höchsten Werte, die jemals gemessen wurden. Zum nunmehr 26. Mal veröffentlichte die R+V-Versicherung ihre jährlich erhobenen Daten, die damit als einzige Langzeitstudie zu diesem Thema hierzulande gelten. 

An zweiter Stelle der Skala liegt mit 62 Prozent die Angst vor politischem Extremismus, wobei hier nicht zwischen linkem, rechtem oder islamischem Extremismus differenziert wird. 61 Prozent der Befragten befürchten Spannungen durch den Zuzug von Ausländern. Daß die Euro-Schuldenkrise den Steuerzahler teuer zu stehen kommt, befürchten 58 Prozent; genauso viele sorgen sich um Schadstoffe in Nahrungsmitteln. 57 Prozent befürchten, mehr Asylbewerber könnten das Land überfordern.

Große Angst vor Kontrollverlust

Die geringe Sorge vor eigener Arbeitslosigkeit (27 Prozent) sowie die zurückgegangene Furcht vor einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen (mit 26 Prozent auf dem vorletzten Platz der Rangliste) spiegelt laut den Herausgebern der Studie die gute wirtschaftliche Lage in Deutschland wider.

Insgesamt nahm der aus diesen Werten kombinierte „Angstindex“ 2017 im Vergleich zum Vorjahr um sechs Prozentpunkte auf 46 Prozent ab. Daraus zu schließen, daß sich die Deutschen grundsätzlich nun weniger Sorgen machten, wäre jedoch falsch, warnte der Heidelberger Politologe Manfred Schmidt, der als wissenschaftlicher Berater für die Studie der Versicherung tätig ist. „Wer dieses Ergebnis kurzfristig betrachtet, bekommt ein verzerrtes, ja sogar ein irreführendes Bild“, mahnte der Hochschullehrer. Mittel- und langfristig betrachtet seien die größten Ängste der Deutschen „sehr hoch und liegen weit über dem üblichen Niveau“.

Letztlich enthalte die Zusammenstellung der Ängste der Deutschen einen Forderungskatalog an die Politik, der besage: „Das gehört besser geregelt!“ Bei der Umsetzung dieses Forderungskataloges attestiert der Wissenschaftler der Politik durchwachsene Ergebnisse. Während die Ängste in bezug auf soziale oder ökologische Probleme durchaus aufgegriffen worden seien, würden andere Ängste geradezu ignoriert. Dies sei vor allem bei der Flüchtlings- sowie der Eurokrise zu beobachten. Die Eurokrise werde aktuell von der Politik praktisch totgeschwiegen, meint Schmidt. „Die Ansicht der Bevölkerungsmehrheit dazu halte ich für realistischer als die der meisten Politiker.“ 

Daß die Volksvertreter ihren Aufgaben gewachsen sind, bezweifelt die Mehrheit der Deutschen (55 Prozent). „Die Angst vor einem Kontrollverlust des Staates ist weiterhin groß und manifestiert sich auch in der Beurteilung der Politiker“, so Schmidt. Zwar haben sich deren „Schulnoten“ im Vergleich zum Vorjahr leicht verbessert (von durchschnittlich 4,2 auf 3,9. „Dennoch ist das Urteil für die politische Klasse wenig schmeichelhaft“, konstatiert der Politologe. „Nur knapp neun Prozent der Deutschen stellen den Politikern ein positives Zeugnis aus und bewerten ihre Arbeit mit ‘sehr gut’ oder ‘gut’. Fast jeder dritte Befragte (30 Prozent) straft sie hingegen mit ‘mangelhaft’ oder ‘ungenügend’ ab.“ 

Als typisch deutsch deutet Schmidt das Streben nach Sicherheit und Stabilität. Deswegen läßt der Wissenschaftler auch die Beschwichtigung nicht gelten, wonach es wahrscheinlicher sei, einen Sechser im Lotto zu gewinnen als bei einem Terroranschlag ums Leben zu kommen. „Die Deutschen sind nicht so egozentrisch“, betont er bei der Vorstellung der Studie. „Sie achten nicht nur auf ihre persönliche Betroffenheit, sondern es geht um die Befürchtung, Staat und Gesellschaft könnten durch den Terror ins Wanken geraten.“ Die Rede von der „German Angst“ jedenfalls sei eine Fehldiagnose, meint der Politologe. Denn: „Die meisten Ängste haben einen realen Kern.“