© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/17 / 15. September 2017

Abgeordnete zum Anfassen
Wahlkampf an der Basis: Mit den konservativen CDU-Kandidaten Hans-Jürgen Irmer und Sylvia Pantel als Reporter in der Region unterwegs
Hinrich Rohbohm

Die Halle bebt. Ein ohrenbetäubender Jubel brandet auf, als der TV Hüttenberg gegen den MT Melsungen den Ausgleich erzielt. Es ist der dritte Spieltag der Handball-Bundesliga. Derby-Zeit. Der favorisierte Europacup-Aspirant Melsungen gastiert bei den gerade aufgestiegenen Hüttenbergern, beides Handball-Clubs aus Hessen. Die Hüttenberger sind für ihre Heimspiele in die Ostsporthalle von Gießen ausgewichen. 2.000 Zuschauer passen hier hinein.

Einer von ihnen ist Hans-Jürgen Irmer, CDU-Bundestagskandidat für den Wahlkreis Lahn-Dill und langjähriger Landtagsabgeordneter. Der TV Hüttenberg gehört zu seinem Wahlkreis, genau wie die ebenfalls in der Handball-Bundesliga spielende HSG Wetzlar. „Handball hat in meinem Wahlkreis einen hohen Stellenwert“, sagt er. Da gilt es dabei zu sein, mitzufiebern, zu sehen und gesehen zu werden.

Plötzlich ertönt ein gellendes Pfeifkonzert in der Halle. Hans-Jürgen Irmer schüttelt den Kopf. „Das müßte normalerweise zwei Minuten Zeitstrafe geben“, ruft er empört. „Hebt’se, Hebt’se“, feuern die Hüttenberger Fans ihre Mannschaft unterdessen immer wieder an. Beim Stand von 14:14 ist Halbzeit. Und Irmer ist bereits wieder auf dem Sprung. Er muß weiter. Zum „Tag der Heimat“ des Bundes der Vertriebenen. Auf dem Weg zu seinem Wagen zeigt der gelernte Lehrer auf die gegenüberliegenden Gebäude der Universität Gießen. „Hier habe ich studiert“, erzählt er. Englisch, Erdkunde, Sozialkunde. Damals hatte er sich im RCDS engagiert, dem Ring Christlich-Demokratischer Studenten.

Im Wahlkreis bekannt wie ein bunter Hund

Er hatte schon damals Anfeindungen durch linksradikale Gruppen miterleben müssen, den Haß, die Intoleranz, den Mangel an demokratischem Bewußtsein. Das prägte ihn. Das stählte ihn. Bis heute. Die Anfeindungen aus dem linken Lager sind geblieben, die Gelassenheit darüber ist bei ihm aber im Laufe der Jahre hinzugekommen. „Zensur findet bei mir nicht statt“, sagt er. Jeder solle seine Meinung frei sagen dürfen. Eine Selbstverständlichkeit, für die im politischen Alltag dennoch immer wieder aufs neue gerungen werden müsse. Im Wahlkreis sind ihm solche Anfeindungen fremd. Die Leute kennen und schätzen ihn. „Das haben wir uns hier in den letzten vierzig Jahren mit kontinuierlicher politischer Aktivität erarbeitet“, schildert er den Umstand, daß die CDU die einstige SPD-Hochburg Lahn-Dill-Kreis inzwischen geknackt hat.

Der 65jährige hat seinen Wahlkampfbus erreicht. Die Schiebetür an der Seite des Fahrzeugs ist mit dem Konterfei des Kandidaten bedeckt. Irmer hat den Wagen extra für den Wahlkampf angemietet. „90 Stunden habe ich in diesem Fahrzeug inzwischen verbracht.“ Er sitzt hinter dem Steuerrad, hat seinen großen schwarzen Terminkalender aufgeschlagen und geht die nächsten Veranstaltungen durch.

Kurzer Stopp zu Hause. Kleidung wechseln, Krawatte umbinden. Anschließend ein kurzer Gang ins Arbeitszimmer, einige Eintragungen auf dem iPad vornehmen. Gemeinsam mit seiner Frau geht es mit dem CDU-Bus weiter zum Tag der Heimat. Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) wird dort sprechen.

Irmer kennt ihn gut aus seinen fast 20 Jahren im Hessischen Landtag, wo er unter anderem als stellvertretender CDU-Fraktionschef und bildungspolitischer Sprecher seiner Partei gewirkt hatte. Nachdem die bisherige CDU-Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises ihren Verzicht auf eine erneute Kandidatur erklärte, stellte sich Irmer als Kandidat zur Verfügung.

Auf dem Tag der Heimat ist auch er als Redner vorgesehen. Etwa 200 Heimatvertriebene sind erschienen. Einige tragen Trachten, führen auf der Bühne Tänze auf, singen Heimatlieder. In seinem Grußwort schlägt Irmer vor, Klassenfahrten für Schüler in die Vertriebenengebiete finanziell zu fördern. „Wenn wir das nicht machen, wer sonst?“ fragt er in den Saal. Niemand kann und will ihm da widersprechen, der Applaus gehört ihm.

Gegen Abend ein Bummel durch die Innenstadt von Wetzlar. Reizvolle Fußgängerzone, schmucke Fachwerkhäuser. „Du brauchst doch gar nicht mehr hier ’rumlaufen, du wirst doch eh gewählt“, ruft ihm jemand aus einem Café heraus zu. Doch das „Herumlaufen“ ist ein wesentlicher Bestandteil von Irmers Wahlphilosophie. Die Leute kennen ihn. Präsenz zeigen, nah am Bürger sein. In Gesprächen konkrete Hilfe anbieten, anstatt die Wähler mit nichtssagenden Polit-Floskeln einzunebeln. Als konservativer CDU-Kandidat setzt er weniger auf die Polit-Prominenz aus Berlin. Statt dessen hat er Leute wie den Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt, den langjährigen Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes Josef Kraus oder die Publizistin Birgit Kelle als Referenten in seinen Wahlkreis geholt.

Er hat den Verein Pro Polizei gegründet, dessen Vorsitzender er ist und der in der Bevölkerung auf große Resonanz stößt. Er ist Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, zudem Herausgeber des Wetzlar-Kuriers, den er gemeinsam mit seiner Frau betreibt und den alle Haushalte des Lahn-Dill-Kreises einmal monatlich erhalten. Zudem publiziert er den Gesundheitskompaß, ein vierteljährlich erscheinendes Magazin. Ob Redaktion oder Anzeigenakquise, das Ehepaar Irmer organisiert alles weitgehend selbst. „Viel Zeit für Urlaub bleibt da nicht, maximal zehn Tage“, sagt Irmer knapp.

Auch an den Infoständen bleibt sich der gebürtige Limburger treu. Anstelle von Standardbroschüren aus dem Adenauer-Haus verteilt er Sonnencreme an die Damen. „Damit Sie im Sommer nicht rot werden“, ruft er ihnen den darauf stehenden und mit seinem Namen versehenen Schriftzug noch einmal zu.

Ein weiteres Irmer-typisches Wahlwerbemittel ist ein Grundgesetz im Mini-Format. Am frühen Morgen steht er damit vor den gewerblichen Schulen der Kleinstadt Dillenburg. „Manche verteilen den Koran, ich habe mich für das Grundgesetz entschieden“, sagt er zu den Schülern, denen er die Exemplare neben Kugelschreibern und Textmarkern anbietet. Im Anschluß kurz noch einen Kaffee trinken mit den Helfern von der Jungen Union. Dann geht es schon wieder weiter zum nächsten Infostand.

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An Infoständen ist auch Sylvia Pantel unterwegs. Die 56jährige ist Bundestagsabgeordnete im Wahlkreis Düsseldorf II, der den südlichen Teil der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt umfaßt. Vor vier Jahren kandidierte sie erstmalig für den Bundestag. Und gewann ihren Wahlkreis auf Anhieb. Mit ihrer Region ist die Mutter von fünf Kindern eng verbunden. Gebürtige Düsseldorferin, in der Rheinmetropole aufgewachsen. Bodenständigkeit sowie eine Politik mit Herz und gesundem Menschenverstand sind ihr wichtig.

Daß sie eine Konservative ist, daraus macht sie keinen Hehl. „Nur wenn man einen Standpunkt hat, wissen die Leute, was sie zu wählen haben“, sagt sie. „Wir müssen aber wieder mehr auf unseren Parteitagen inhaltlich diskutieren, das tun wir schon seit langem nicht mehr“, beklagt Pantel. Der Bundestagswahl sieht sie optimistisch entgegen. „Vor vier Jahren war die Stimmung nicht so gut wie heute“, ist ihr Eindruck. Den Umstand, daß der Union mit der AfD neue Konkurrenz von rechts entstanden ist, nimmt sie ernst. „Man merkt, daß sie die Wahlkreise vorher analysiert haben.“

Besonders um die Rußlanddeutschen, bisher eine treue Wählerklientel der Union, macht sie sich Sorgen. „Wir müssen aufpassen, daß wir diese Leute nicht an die AfD verlieren“, warnt sie. Im Wahlkampf geht Pantel daher gezielt in Stadtteile mit hohem Anteil an Rußlanddeutschen. Sie hat einen russischsprechenden Bundestagskollegen mitgenommen. „Als ich auf deutsch mit denen sprach, stieß ich auf kalte Ablehnung. Aber als wir die Unterhaltung auf russisch fortsetzten, wurden uns Kaffee und Stühle gereicht“, erzählt sie. Pantel betreibt ihren Wahlkampf daher auch mit Infos auf russisch und wegen des hohen Anteils an polnischstämmigen Bürgern auch auf polnisch.

Langsam schiebt sich der beigefarbene BMW-Combi der CDU-Bundestagskandidatin auf den Düsseldorfer Gertrudisplatz. Der Kofferraum ist randvoll mit Wahlkampfmaterial. Sylvia Pantel steigt aus dem Wagen. Regenwetter. Die Christdemokratin verzieht keine Miene, schreitet statt dessen sofort zur Tat, kramt Luftballons, Kugelschreiber, kleine Plastikwindräder, CDU-Kaffeetassen und Handzettel heraus. „Da hinten müssen noch Luftballons hin, die Windräder kommen auf die Tische. Ich besorge uns noch ein paar Regenschirme“, ruft sie ihren Wahlhelfern zu.

Die bekennende Konservative, die auch dem Berliner Kreis angehört, will mit Persönlichkeit beim Wähler punkten. Nicht nur konservative Positionen vertreten, sondern sie auch mit Leben füllen ist ihre Philosophie. Sie hat eine Treckertour organisiert. Etwas „Bodenständiges“ im Zeitalter der Digitalisierung. Ein Korso von Traktoren, die sternförmig durch den Düsseldorfer Süden tuckern. Eine Aktion, die man eher in einem ländlichen Wahlkreis vermuten würde. Eine, die aber zu Sylvia Pantel paßt.

„Dazu stehe ich, egal, ob ich dafür gescholten werde“

Der Regen wird stärker. Kalter Wind kommt auf, der einen Sonnenschirm der Grünen über den Marktplatz wehen läßt. Pantels CDU-Pavillon hält, wird für Passanten zum willkommenen Unterstand. „Hallo“, begrüßt sie sofort die Schutzsuchenden. „Wollt ihr Kaffee, einen Berliner? Wir können gleich reden.“ Sylvia Pantel ist in ihrem Element.

Ebenso im „Domhof“, einer Gaststätte im Düsseldorfer Stadtteil Unterbilk. Die CDU hat hier zu einer Informationsveranstaltung geladen. 25 Leute sind erschienen. Interessierte Bürger und Parteimitglieder. Es geht um Straßen, Schulen, Kinderbetreuung. Aber auch zur Bundespolitik kommen Fragen.

„Das Flüchtlingsthema wird mir viel zuwenig behandelt. Wir werden dazu doch an den Infoständen befragt werden“, meint eine besorgte CDU-Frau. Pantel verteidigt den Kurs der Bundesregierung, räumt aber ein: „Wir haben uns teilweise nicht an unsere Gesetze gehalten.“ Sie übt Kritik an Medienvertretern, die mit oftmals einseitiger Berichterstattung Rechtsanwendungen aushebeln würden. „Allerdings sehe ich da eine neue Generation von Juristen und Polizisten kommen, die Achtundsechziger treten langsam ab.“

Einen Tag später sitzt sie mit ihren politischen Kontrahenten im Veranstaltungssaal der katholischen Gemeinde St. Lambertus im Herzen der Düsseldorfer Altstadt. Für sie kein leichter Termin. Eingefunden haben sich Interessenvertreter der Sozialindustrie: Erzieher, Pädagogen, Leute aus Pflegeberufen. Traditionell eine Domäne der SPD. Es mögen gut 100 Leute sein. Die Gäste zeigen sich sachlich interessiert, keine emotionalen Ausbrüche. Gut für Pantel, da es der Konkurrenz nicht gelingt, sie mit einem Thema in die Enge zu treiben. In einem Punkt bleibt der Christdemokratin ein Alleinstellungsmerkmal. Die Kandidaten von SPD, Grünen, der Linken und der FDP sprechen sich alle für eine Cannabis-Freigabe aus. Pantel widerspricht. „Ich halte da überhaupt nichts von. Wir gefährden unsere Kinder und Jugendlichen.“

„Dazu stehe ich, egal ob ich dafür gescholten werde oder nicht“, sagt sie der JF. Bei den Christdemokraten ihres Wahlkreises kommt ihre Geradlinigkeit an. „Wir haben mit dir den gesunden Menschenverstand im Bundestag vertreten“, lobt sie ein CDU-Ortsvorsitzender. Alle Gäste nicken.





Hans-Jürgen Irmer MdL

Geboren 1952 in Limburg an der Lahn

Verheiratet, zwei Kinder

Römisch-katholisch

Oberstudienrat

Seit 1998 Kreisvorsitzender der CDU Lahn-Dill

Seit 1983 CDU-Direktkandidat für den hessischen Landtagswahlkreis 17 Lahn-Dill II

Gewann zwischen 1999 und 2013 viermal das Direktmandat

Langjähriger Abgeordneter des Hessischen Landtags, unter anderem stellvertretender CDU-Fraktionschef und bildungspolitischer Sprecher





Sylvia Pantel MdB

Geboren1961 in Düsseldorf

Verheiratet seit 1979, fünf Kinder

Römisch-katholisch

Spediteurin, zwischen 1995 und 2001 Vollzeitpflege einer Familienangehörigen

Zwischen 2004 und 2013 jeweils direkt gewählte Ratsfrau im Stadtrat der NRW-Landeshauptstadt Düsseldorf

2013 über den Bundestagswahlkreis 107 Düsseldorf II direkt in den Bundestag gewählt

Mitglied des Berliner Kreises

Mitglied der Donum-vitae-Stiftung