© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/17 / 15. September 2017

Endstation in Formia
Migration via Italien (Teil 2): Katz-und-Maus-Spiele mit Schwarzafrikanern / Die Mafia verdient ordentlich mit
Hinrich Rohbohm

Langsam setzt sich der Zug von Villa San Giovanni aus in Bewegung. Im Gang neben der Zugtür stehen zwei junge Schwarzafrikaner. Nervös blicken sie durch die Waggons, halten Ausschau nach dem Schaffner. Als der kommt, sind die beiden plötzlich verschwunden. Sie tauchen erst wieder auf, nachdem der Kontrolleur einige Waggons weiter gegangen ist. 

Sie beratschlagen sich. Getrennt voneinander suchen sie einen Sitzplatz, jeweils einige Reihen voneinander entfernt. Trotz der Hitze in Süditalien trägt einer der beiden eine schwarz-grüne Trainingsjacke. Seine dunkle Hose ist an den Knien zerrissen. In der Hand hält er ein rotes Cap, seinen ebenfalls stark ramponierten Rucksack hat er neben sich auf den Sitzplatz gelegt. 

Auch der andere Mann ist für die Jahreszeit ungewöhnlich warm angezogen, trägt einen weißen Pullover mit dunkelblauen Streifen in der Mitte. Schnell wird klar: Bei den beiden Männern handelt es sich um Immigranten aus Afrika, die sich von Süditalien weiter in Richtung Norden durchschlagen wollen. Reden wollen sie nicht. Jedenfalls sind ihre Gesten so zu verstehen. 

Es sind nicht viele Schwarzafrikaner im Zug. Acht insgesamt. Die Hälfte ähnlich gekleidet wie die beiden Männer. Sie sitzen jeder einzeln für sich, stets mehrere Reihen voneinander entfernt. In Lamezia Terme müssen zwei von ihnen den Zug verlassen. Keine Fahrkarten. Der Schaffner geleitet sie hinaus. Friedlich und sogar lachend steigen die Männer aus. Für Fahrkarten fehlt ihnen das Geld.

Denn die ihnen vom italienischen Staat zugestandenen 2,50 Euro Taschengeld pro Tag versickern allzu oft in den großen Taschen der Mafia, die an der Unterbringung der Migranten kräftig verdient. Im Laufe der Jahre sind Migranten neben dem Drogenhandel zu einer lukrativen Einnahmequelle für Mafia-Organisationen geworden. Allein in Lamezia Terme haben über 20 Clans der kalabrischen Ndrangheta ihren Sitz. 

In Crotone, einer Küstenstadt im Osten Kalabriens soll einer dieser Clans über Jahre hinweg 32 Millionen Euro aus einem Aufnahmelager für sich abgezweigt haben. Die Migrantenunterkunft zählt mit zu den größten in Italien und wird von der katholischen Organisation La Misericordia verwaltet. 

Unter den inzwischen festgenommenen Tatverdächtigen befindet sich neben dem Chef von La Misericordia auch ein örtlicher Priester. Für „spirituelle Hilfe“ bei den Migranten soll er pro Jahr 150.000 Euro erhalten haben. Die Polizei bezeichnet Aufnahmezentren wie das in Crotone inzwischen offen als „Geldautomaten für die Mafia“ und „Spitze eines Eisbergs“.

Über 300 Millionen Euro fließen bis 2020 darüber hinaus aus dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU in die italienischen Migrationsunterkünfte. Und damit im Falle des Zuwendungsmißbrauchs zumeist direkt in die Geldbeutel der Mafiaclans. 

Auf ihrem Weg nach Norden landen einige der Migranten auch in Gegenden wie der Ebene von Gioia Tauro, wo sie zumeist erst einmal auf Zwiebelfeldern und Zitronenplantagen arbeiten. Angeworben und eingesetzt von Genossenschaften, die von den Clans der Ndrangheta kontrolliert werden. 

Auch hier haben italienischen Ermittlungsbehörden zufolge die kriminellen Clans durch dafür gezahlte öffentliche Fördergelder Millionenbeträge kassiert. 

Die Migranten arbeiten auf den Feldern von früh morgens bis abends oftmals für einen Tageslohn von gerade einmal fünf Euro. Und verdrängen damit die ohnehin schon für Niedriglöhne arbeitenden osteuropäischen Saisonarbeiter. Was der Mafia ebenfalls größeren Profit einbringt. Entsprechend stehen auch am Bahnhof von Lamezia Terme vereinzelt dunkelhäutige Männer mit alten Rucksäcken und zerfetzten Hosen am Bahnsteig, die einen Zug nach Norden besteigen.

Die beiden Schwarzafrikaner aus Villa San Giovanni haben unterdessen Glück. Bisher sind sie nicht kontrolliert worden. Der Zug fährt in Neapel ein. Es ist die erste Großstadt für Migranten auf ihrem Weg von Sizilien (JF 37/17) nach Norden. 

Flüchtlinge in die Villen von Capri einquartieren?

Weitere Schwarzafrikaner steigen zu. Sie haben Taschen, Rucksäcke und Plastikbeutel dabei. Plötzlich rennt ein Schwarzafrikaner mit Mütze und gelbem Pullover bekleidet aus einem gegenüberstehenden Zug heraus, sprintet den Bahnsteig hinunter. In seiner Hand hält er er zwei blaue Plastikbeutel. Polizisten folgen ihm, brechen die Verfolgung aber nach wenigen Metern wieder ab. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel, das auf italienischen Bahnhöfen mehrfach zu beobachten ist. 

Wenige Kilometer von Neapel entfernt befindet sich die Insel Capri. Rückzugsort reicher und prominenter Persönlichkeiten, die hier ihre luxuriösen Ferienvillen haben. Die Behörden hatten bei der Verteilung der Migranten im Land auch für das berühmte Eiland Kontingente vorgesehen. Einige der Luxusvillen sowie der Leuchtturm von Punta Carena sollten als Notquartiere für Afrikaner dienen. 

„Die Einwohner hier haben einen Aufstand gemacht“, erzählt uns der Chefarzt der Insel, Michele Fiorentino. Inzwischen hätten die Behörden von dem Vorhaben wieder Abstand genommen. Migranten in Luxusvillen, das wäre wohl auch in der Bevölkerung nicht gut angekommen. „Es ist wichtig, daß darüber berichtet wird“, sagt der Arzt, der lange Zeit in Deutschland lebte. „Die Bevölkerung soll offenbar gar nicht so viel über die Einwanderung erfahren, auch bei uns sind die Berichte in den Medien dazu wenig informativ“, meint er. Als es lautstarke Proteste der Einwohner gegen die Unterbringungspläne hagelte, sei den Behörden die Sache offenbar zu heiß geworden.

Unterdessen ist für die beiden Schwarzafrikaner in Formia irgendwo zwischen Neapel und Rom Endstation. Die Schaffner kontrollieren auf der Strecke zwischen den beiden Metropolen besonders sorgfältig. 

Diesmal geht ihnen auch der Mann im schwarz-grünen Trainingsanzug ins Netz. Die Handbewegung des Bahnbediensteten in Richtung Tür ist eindeutig. Der Migrant muß den Zug ebenso verlassen wie sein mitreisender Kollege im weißen Pullover. Die beiden setzen sich auf eine Bank am Gleis und warten. Wahrscheinlich auf den nächsten Zug in Richtung Norden.