© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/17 / 15. September 2017

Streit um „Demokratieabgabe“
Rundfunkgebühr: Ein Bündnis fordert einen stärkeren öffentlich-rechtlichen Rundfunk / Tübinger Richter schaltet Europäischen Gerichtshof ein
Ronald Berthold

In rund 15 Monaten wird der deutsche Gebührenzahler wissen, ob ARD, ZDF und Deutschlandradio zu Recht den Rundfunkbeitrag erheben. In einem aufsehenerregenden Fragenkatalog hat der Richter beim Tübinger Landgericht, Matthias Sprißler, den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Unterstützung bei einer Entscheidung über Vollstreckungsverfahren gegen Beitragssäumige gebeten. Die Antworten werden für den Jahreswechsel 2018/19 erwartet – und sie werden grundsätzlicher Art sein. Es geht um die rund acht Milliarden Euro, die der finanziell am besten ausgestattete öffentlich-rechtliche Rundfunk der Welt jedes Jahr von den deutschen Haushalten bekommt.

Bisher spielt keine Rolle, ob ein Empfangsgerät vorhanden ist oder ob der Zuschauer das Angebot überhaupt nutzt. Die 17,50 Euro im Monat muß jeder bezahlen. Der Tübinger Richter will von seinen Luxemburger Kollegen wissen, ob dies juristisch tragfähig ist. Sprißler würde die Zwangsgebühr gern streichen. Das hat er bei vorigen Vollstreckungsverfahren durchblicken lassen. Allerdings sind seine Entscheidungen zugunsten der Gebührenzahler nie rechtskräftig geworden, weil sie eine übergeordnete Instanz aufgehoben hat.

Der EuGH kann in dieser Sache kein Urteil sprechen. Dennoch kommt seinen Antworten große Bedeutung zu, weil damit erstmals geklärt wird, ob der Rundfunkbeitrag in seiner jetzigen Form mit europäischem Recht vereinbar ist. Es geht auch um die Frage, ob die Anstalten, die die Bezeichnung „Staatsfunk“ vehement ablehnen, behördliche Bescheide ausstellen dürfen. Besondere Brisanz dürfte die Antwort des EuGH haben auf die Frage, ob die Europäische Kommission den 2013 von der GEZ-Gebühr abgelösten Beitrag vorher hätte genehmigen müssen. 

Einschaltquote dürfe kein Gradmesser sein 

Vom Schreiben aus Luxemburg will Sprißler seine Entscheidung abhängig machen. Solange hat er die Verfahren ausgesetzt. Sollte der EuGH Zweifel an der Rechtmäßigkeit haben, dürfte es höheren deutschen Instanzen künftig schwerfallen, die Entscheidungen aus Tübingen aufzuheben. Sollte dies der Fall sein, steht die bisherige Finanzierung von ARD und ZDF auf der Kippe. Denn dies hätte nicht nur Signalwirkung für Urteile über andere säumige Beitragszahler, sondern würde zu einer Grundsatzklage gegen den Beitrag führen.

In der Debatte erhalten die Anstalten nun Unterstützung von „Vertretern aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft“. In einem offenen Brief fordern 45 Unterzeichner „einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk“. Dadurch daß die Kosten stabil gehalten werden sollen, würden ARD und ZDF auf eine „Nischenfunktion“ reduziert. Logische Folge: Der Beitrag müßte weiter steigen. Denn schon jetzt „leidet“ die Qualität unter dem „Sparzwang“. Der Brief kann  als Unterstützung für die Forderung nach einer weiteren Erhöhung verstanden werden. Erst Mitte August hatten die Sender verlangt, die Gebühren ab 2020 schrittweise auf 21 Euro im Jahr 2029 anzuheben.

Wer sich die Mitglieder der „Zivilgesellschaft“, die den Brief unterschrieben haben, näher anschaut, wird sich darüber nicht wundern. Neben Parlamentariern von Grünen und Piraten sowie Gewerkschaftsfunktionären stehen auch zwei ZDF-Fernsehräte hinter dem siebenseitigen Schreiben. Sie meinen: „Der Auftrag bestimmt den Beitrag – nicht umgekehrt“. Heißt: Die Höhe der Gebühr sollte sich danach richten, was die Öffentlich-Rechtlichen brauchen, um die Grundversorgung zu leisten. Daß die bisherigen acht Milliarden nicht ausreichen, daran läßt der Brief keinen Zweifel. Seine Hauptaussage lautet: „Gäbe es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht, müßte man ihn gerade jetzt erfinden.“ Daher sei auch – so wörtlich – die „Demokratieabgabe“ unabdingbar.

Allerdings fordern die ARD- und ZDF-Fans auch „Transparenz“ – nicht nur „über Finanzentscheidungen“. Dort gäbe es, was die „Zugänglichkeit von Berichten der Landesrechnungshöfe“ angehe, „einiges zu verbessern“. Wichtig sei auch „Transparenz von Entscheidungen hinsichtlich der Auftragsfortentwicklung sowie organisatorischer und programmlicher Umsetzung“.

Die Einschaltquote dürfe kein Gradmesser für die öffentlich-rechtlichen Angebote sein. Diese müßten sich „eben auch und vor allem an Minderheiten richten“. Das dürfte die Kritiker kaum besänftigen. Denn diese bemängeln schon länger, daß Interessen und Lebensformen der Bevölkerungsmehrheit im Programm zunehmend weniger Berücksichtigung finden.