© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/17 / 15. September 2017

Eine notwendige Bloßstellung
Der katholische Kirchenrechtler Georg May beklagt den schleichenden Niedergang dessen, was einmal die Theologie ausmachte
Martin Lohmann

Es gibt immer wieder Klagen darüber, daß der Glaube mehr und mehr verdunstet. Und diese Feststellungen richten sich gerade auch in die Kirche selbst hinein, weil offenbar selbst Priester und Bischöfe nicht mehr das glauben, was die katholische Kirche seit Jahrhunderten lehrt. Vieles scheint im Wandel, nicht wenige Gläubige sind verunsichert, weil offenbar vieles nicht mehr gilt, woran sie sich bisher hielten.

Sind die Wunder Jesu etwa nicht mehr als eine Einbildung der damaligen Jünger? Ist Jesus Christus tatsächlich von den Toten auferstanden? Ist seine Aussage, Jesus sei die Wahrheit, das Leben und der Weg, heute überholt? War Jesus überhaupt der Sohn Gottes? Hat ihn das jüdische Mädchen Maria wirklich vom Heiligen Geist empfangen? Ist das Altarsakrament der heiligen Eucharistie mehr als eine Symbolik? Gibt es das wirksame Sakrament der Sündenvergebung tatsächlich? Ja, ist alles, was man einst mit Sünde verbunden hat, noch gültig? Oder war Jesus nichts anderes als ein Sozialreformer, der im Lichte neuester Forschungen ausschließlich hinsichtlich seiner „politischen Ideen“ gesehen werden muß?

Wer so fragt, bekommt auch in der Kirche und vor allem von Theologen sehr unterschiedliche Antworten. Ein schleichender Niedergang dessen, was einmal die Theologie ausmachte, scheint unaufhaltsam am Werk zu sein. Kein Wunder also, daß – wenn denn die Theologie schon so vieles zerredet und atomisierend zu analysieren meint – auch Bischöfe und Priester im Kern verunsichert und glaubensschwach sind, da sie schließlich alle in ihrer Ausbildung durch ein Studium der Theologie gehen mußten. 

Eine gewagte These? Eine viel zu radikale und viel zu freche These? Der anerkannte Theologieprofessor und Kirchenrechtler Georg May, 1926 geboren und mit einer sehr langen Zeit der Erfahrung und Beobachtung ausgestattet, sagt eindeutig: Nein. Es sei genau so. Und daher hat er sich, aus großer Sorge und mit wissenschaftlicher Genauigkeit, an die Arbeit gemacht und legt in seinem neuesten Buch eine schonungslose und erhellende Analyse vor. Der Titel des mit mehr als 1.100 Seiten und vom Inhalt her gewichtigen Buches ist Programm: 300 Jahre gläubige und ungläubige Theologie.

Übernahme unchristlichen Gedankengutes beklagt

Kein Geringerer als der emeritierte Papst Benedikt XVI., ein Freund aus alten gemeinsamen Tagen, lobt den mutigen Theologen Georg May für seine Leistung. Anstelle eines Vorwortes liest man in dem Buch, das dazu befähigt, die Geister zu unterscheiden, aus der römischen Feder: „Besonders beunruhigt mich die Lage an den theologischen Fakultäten Deutschlands, die großenteils nicht in den Glauben hineinführen und noch weniger Hilfe auf dem Weg zum Priestertum sein können (...) Deswegen ist ein Buch, in dem Du die ungläubige evangelische und katholische Theologie bloßstellst, höchst angebracht und notwendig.“

Das Buch ist auch für Nicht-Theologen leicht zu lesen, denn der Autor beherrscht eine verständliche Sprache ebenso wie die Exaktheit der wissenschaftlichen Beweisführung. Dabei bedenkt May so gut wie jeden Theologen aus den vergangenen 300 Jahren, beschreibt den Einfluß einer protestantischen Theologie auf das Denken katholischer Theologen, den Einfluß der Aufklärung auf Theologie überhaupt und beschreibt die unkritische und zum Teil anpassungsbereite Übernahme unchristlichen Gedankengutes durch zunächst die protestantische, dann auch durch die katholische Kirche. 

Mays Werk ist im besten Sinne ein Kompendium, ein Nachschlagewerk, in dem man durch leichtes Suchen viel Wertvolles und Erklärendes finden kann. Satz für Satz ist die Lektüre ein Gewinn. Warum? Weil man versteht, was sich vor allem seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in der Kirche alles an Grundsätzlichem verändert hat, wie sehr durch die Theologie und ihre Vertreter wesentliche Elemente des katholischen Glaubens dem Verdunsten anheimgegeben und preisgegeben wurden – und werden. 

Jedem, dem es wirklich um eine Wiederentdeckung des wahren Glaubens geht, ist anzuraten, dieses Buch zu lesen und immer wieder in ihm zu stöbern. Es ist eine keineswegs immer angenehme, aber immer eine erkenntnisreiche Fundgrube. Und am Ende versteht man, warum Papst Benedikt seinem Freund schrieb, daß diese Bloßstellung „höchst angebracht und notwendig“ sei. Das Buch ist alles andere als bequem. Aber es ist durchgehend spannend. Und: Wer dieses Buch gelesen hat, weiß ziemlich genau, worauf es ankommen wird, wenn die Theologie wieder helfen soll, den Glauben zu stärken.

Georg May: 300 Jahre gläubige und ungläubige Theologie – Abriß und Aufbau. Sarto Verlag, Bobingen 2017, gebunden, 1.118 Seiten, 49 Euro