© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/17 / 22. September 2017

Unabhängigkeitsreferenden von Katalanen und Kurden
Im Zug der Zeit
Martin Schmidt

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist wieder ein großes Thema. Gerade in diesen Tagen, da sich die Katalanen anschicken, am 1. Oktober ein Referendum für die Trennung von Spanien abzuhalten und die Kurdenregierung im Nordirak für den 25. September eine Volksabstimmung zur Schaffung eines eigenen Staates plant. Beide Vorhaben haben entschiedene Gegner: die EU, die USA, die Türkei und vor allem die Regierungen in Madrid und Bagdad. 

Die veröffentlichte Meinung stellt die Gefahr in den Vordergrund, solche Sezessionen würden die „Büchse der Pandora“ öffnen und Dominoeffekte in anderen multiethnischen Staaten heraufbeschwören. Zweifellos könnte ein katalanischer als auch ein kurdischer Nationalstaat schwerwiegende Konflikte nicht nur in den betroffenen Regionen zur Folge haben. Jedoch gilt dies gleichermaßen, wenn man den kämpferischen Nationalbewegungen dauerhaft das Recht auf Selbstbestimmung verweigern würde. Nicht zuletzt geht es bei den beiden komplexen Fragen um die grundsätzliche Haltung zu Mitwirkungsrechten von Bürgern und Völkern und um die Frage, ob dezentrale gegenüber zentralistischen Strukturen den Vorzug erhalten sollten. Nationale Unabhängigkeitsbestrebungen sind nicht anachronistisch, sondern liegen im „Zug der Zeit“. Die globale Realität sieht eben anders aus, als sie sich universalistische, postnationale und säkulare Brüsseler wie Berliner Ideologen erträumen.